Emmy-Awards / Die Last auf dem Haupt: „The Crown“ zeigt die Zerrissenheit der Monarchie im modernen Großbritannien
Die Emmy-Nominierungen sind seit vergangenem Dienstag bekannt. „The Crown“ wurde insgesamt 24-mal nominiert, unter anderem in der Königskategorie „Beste Dramaserie“. Die Handlungsachse der Serie bilden zwei paradoxe Fragen, zwischen denen die royale Familie eingekeilt ist: Wie viel Progressivität verträgt eine Institution, die von der Magie des Altertümlich-Geheimnisvollen lebt? Wie modern muss das Königshaus werden, um in der Gegenwart überleben zu können?
Die Nominierungen für die Emmy-Awards sind am vergangenen Dienstag in Los Angeles bekannt gegeben worden. Mit jeweils 24 Nominierungen liefern sich die Streaming-Serien „The Crown“ und „The Mandalorian“ ein knappes Rennen. Erstere kann sogar auf eine Auszeichnung in der prestigereichsten Kategorie „Beste Dramaserie“ hoffen. Die Netflix-Produktion beleuchtet das Leben der britischen Monarchen im Dunstkreis von Queen Elizabeth II. Erzählt wird die Geschichte einer Familie, deren Lebenswirklichkeit kaum weiter entfernt von derjenigen der Zuschauer sein könnte. Zerrissen zwischen symbolischer Überfrachtung und eingeschränkter politischer Handhabe wirkt das Haus Windsor sowohl unverzichtbar als auch unzeitgemäß; es muss – in der Serie wie auch im realen Leben – herhalten als Projektionsfläche für eskapistische Fantasien und ringt in einer demokratischen Gesellschaft zugleich um Relevanz und Legitimation. Der meisterhaft aufgebaute Spannungsbogen von „The Crown“ verläuft entlang der dadurch provozierten Bruchstellen. Diese ziehen sich durch die Familie wie auch durch die einzelnen Figuren selbst.
Elizabeth Alexandra Mary (Claire Foy) ist noch eine junge Frau, als ihr Vater stirbt und sie die Herrschaft in seiner Nachfolge antreten muss. Mit gerade einmal 26 Jahren besteigt sie den Thron, fortan muss sie ihren öffentlich-diplomatischen Pflichten als Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, als „Head of the Commonwealth“ sowie als weltliches Oberhaupt der Staatskirche Englands nachkommen. In den ersten beiden Staffeln von „The Crown“ wird gezeigt, wie die Queen langsam in diese verschiedenen Rollen hineinwächst und an Kompetenz und Autorität gewinnt. In ihren Entscheidungen muss sie immer wieder ihr eigenes Ermessen und die Meinung ihres Umfelds gegeneinander abwägen. Welche Fallstricke dabei lauern können und was das persönlich von ihr abverlangt, wird unter anderem durch wiederholt aufflackernde Streitigkeiten mit ihrem Ehemann Philip (Matt Smith) deutlich. Durch das willensstarke Auftreten seiner Partnerin fühlt sich der Duke, sich das traditionelle Männlichkeitsbild vor Augen haltend, nämlich wiederholt in die Ecke gedrängt.
Medien als Katalysator
Ab der dritten Staffel – und mit dem Wechsel der beiden Hauptdarsteller – findet dann eine subtile Öffnung des thematischen Fokus statt. Im Mittelpunkt steht nicht mehr vornehmlich der Bildungsweg von Queen Elizabeth, sondern der generationsübergreifende Entwicklungsprozess des ganzen Königshauses. Dieser wird, auf dramaturgischer Ebene, vorangetrieben durch die Erweiterung des Casts um die erwachsenen Königskinder Charles (Josh O’Connor), Anne (Erin Doherty), Andrew (Tom Byrne) und Edward (Angus Imrie) – wobei die zwei jüngeren nur als Randfiguren im familiären Geflecht auftauchen. Das vergrößerte Figurenarsenal erlaubt es, auf noch vielfältigere Weise die Reibungen zwischen dem Buckingham Palace und einem modernisierten Großbritannien zu zeigen. Es macht deutlich, dass das Gelingen der Veränderungen, die der königliche Hof in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlebt, sich im Wechselspiel mit gesellschaftlichen Neuerungen erprobt. Annes freierer Umgang mit Sexualität sowie Prince Charles’ einsemestriges Studium an der Aberystwyth University, während dem er mit der (Studenten-)Kultur der Unprivilegierten in Kontakt kommt, blinken dabei als symbolische Wegmarker auf.
Vor allem aber entfalten im Handlungsverlauf die Massenmedien ihre katalysatorische Wirkung: Als kritische Journalisten, die ihre Stimme gegen die Monarchie erheben, agieren Lord Altrincham (John Heffernan) und John Armstrong (Colin Morgan) in der dritten Staffel als lautes Sprachrohr eines ansatzweise egalitären Modernismus, der an den verkrusteten Strukturen am Hof Anstoß nimmt. Ihre öffentlichen Kommentare führen zu einem direkten Austausch mit den „Royals“ – und letztlich zu einer Reihe von Umwälzungen, die das Haus Windsor einstweilen vor dem vollständigen Absinken ins Ewig-Gestrige bewahren. „The Crown“ zeichnet anhand der einzelnen Konflikte, die die Figuren durchleben, ein vielschichtiges Bild von dem schmerzhaften Transformationsprozess, den die Monarchie bewältigen muss, um weiterzubestehen in einer Welt, die sie entweder als Traum – und nur als Traum – glorifiziert oder aber sie als moralisch fragwürdigen Anachronismus betrachtet.
Hochkarätige Besetzung
Die Show wird nicht nur von der grandiosen Leistung der Haupt- und Nebendarsteller getragen, sondern auch von der ausgereiften Narratologie: Der Plot entfaltet sich organisch und in guter Balance zwischen den einzelnen Handlungssträngen. Auch die Figurenzeichnung ist erster Güte. Die vierte Staffel lebt von der tragisch-dramatischen Dreieinigkeit von Königin Elizabeth (Olivia Colman), Premierministerin Margaret Thatcher (Gillian Anderson) und Lady Di (Emma Corrin) – wobei auch Prinzessin Margaret (Vanessa Kirby; Helena Bonham Carter), die Schwester der Queen, als Person fasziniert. „The Crown“ kann damit als Serie der starken Frauen gelten. Die Persönlichkeiten der weiblichen Figuren haben Profil, sie sind mehrdimensional und entwickeln sich dynamisch. Ihre Darstellung, die auf Plumpheit oder Verkürzung verzichtet, lässt dies deutlich hervorkommen.
Einen Schwachpunkt hat „The Crown“ doch: Was die Rolle Großbritanniens als Kolonialmacht und das imperialistische Erbe angeht, versäumt die Serie es, einen distanziert-kritischen Blick zu halten und ungemütliche Fragen aufzuwerfen. Denn auch wenn das Commonwealth mitsamt politischer Spannungen thematisiert wird, wirkt die Narratologie hier oft zaghaft und dem Tenor eines eurozentrischen Diskurses verpflichtet. Besonders unangenehm stößt zum Beispiel die (visuell doch sehr beeindruckend gestaltete) Szene auf, in der Queen Elizabeth eine Rede über das Commonwealth hält und dabei nacheinander alle (indigenen) Bevölkerungen, die Teil dieser Vereinigung sind, in einem kontinuierlichen Rechtsschwenk der Kamera auf dem Bildschirm erscheinen. Die gezeigten Lebenswirklichkeiten wirken durch ihre Unterschiedlichkeit untereinander wie auch durch ihre Gegensätzlichkeit zum Buckingham Palace – perspektivischer Fluchtpunkt der Serie – stark exotisiert. Insgesamt umschifft „The Crown“ letztlich die Frage, ob der Monarchie als System, das verschiedenen Menschen enorme Privilegien qua Geburt einräumt, nicht prinzipiell etwas Anrüchiges anhaftet – und ob ein Mit-der-Zeit-Gehen für ein solches System überhaupt auf lange Sicht möglich ist.
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