Klangwelten / Dystopie, Rebellion und Emanzipation: BIBIs „Lowlife Princess: Noir“ ist ein starkes Debüt
Sie wirft Kondome ins Publikum, singt über Tabuthemen wie Gewalt und Spielsucht und lässt ihren Gefühlen auf ihren offiziellen Social-Media-Konten auch mal freien Lauf: Die koreanische Sängerin BIBI ist eigenwillig. Ob sie zum K-Pop gehört, R’n’B macht oder als Indie-Singer-Songwriter gilt, ist erst mal unwichtig – überhaupt bin ich der Ansicht, man sollte Künstler nicht nach dem Genre, in dem sie sich bewegen, sondern nach ihrem Werk beurteilen. BIBIs Sound ist vor allem eins: Noir.
„Lowlife Princess: Noir“ ist ein Konzeptalbum. Es erzählt die Geschichte von Oh Geum-ji, BIBIs fiktionalem Charakter, der auf dem Film „Lady Vengeance“ des Regisseurs Park Chan-wook basiert. Oh Geum-ji ist die „Lowlife Princess“: Sie sehnt sich nach Liebe, die ihr als ausgesetztes Kind verneint wurde, ist aber auch auf Rache aus. Sie ist, wie die Sängerin in dem energischen Electro-Track „Blade“ ankündigt, „selbst die Waffe“.
Musikalisch liegt die Basis des Albums im R’n’B, der von jazzigen Tönen untermalt und zeitweise von klassischen Instrumenten ergänzt wird, ab und zu auch in Reggaeton-Gefilde („BIBI Vengeance“) abdriftet. Auch City-Pop-Elemente finden sich in einzelnen Songs wieder. Pulsierende Beats, elektronische Sounds, melancholische Intermezzi und emotionale Vocals zeichnen die Platte aus.
Die Welt, die BIBI erschafft, ist dystopisch und dekadent. Sie erinnert an Quentin Tarantino und David Lynch, handelt von Rebellion, Emanzipation, Sozialkritik, aber auch von Liebe, dem Drang nach Freiheit und Rache. In einer Welt, die von Tod und Gewalt geprägt ist, spricht die Sängerin Themen wie Sex, Gewalt und Gleichberechtigung an – ein Schritt, der in der konservativen südkoreanischen Gesellschaft von Mut zeugt. Passende Musikvideos kommen fast wie Mini-Filme daher (Achtung: „Animal Farm“ ist nichts für schwache Gemüter!) und drücken die bildhafte Sprache, die BIBI verwendet, visuell aus. Dabei bleibt sie überraschend bescheiden. Sie sieht sich selbst nicht als großartige Künstlerin, die tiefgehende versteckte Messages in ihre Videos packen will, sondern möchte lediglich Geschichten erzählen. Und hier wirkt sie authentischer als beispielsweise die leider etwas plakativ daherkommenden Blackpink. Wenn sie in „BIBI Vengeance“, einem Song über Missbrauch, „Bad bitch, just a real bad bitch“ singt, wirkt sie – im Gegensatz zu vielen anderen K-Pop-Künstlerinnen, die diese Zeilen von sich geben – überzeugend. Es geht um mehr als Image, mehr als Schein über Sein.
„Animal Farm“ war mein Einstieg in das Album und gehört für mich nach wie vor zu den memorabelsten Tracks. Streicher, Klavier und Gitarren stellen ein emotionales Instrumentalgebilde dar, während sich BIBI den Schmerz aus der Seele singt. „Motospeed 24“ macht einen willkommenen Abstecher ins City-Pop-Genre, während „Wet Nightmare“ und „Witch Hunt“ melancholische und dennoch tanzbare Tracks sind. BIBIs Lyrics sind simpel und doch effizient: „Why am I wallowing in poison? / Why are new arms fascinating? / Cheap gin is so bitter and / Love is tasteless – why“, singt sie in „Loveholic’s Hangover“.
Das gitarrenlastige „City Love“ bildet den Abschluss eines Albums, in das die Künstlerin viel Herzblut gesteckt hat. „I don’t feel relieved – so I wander the streets / Pretty girl in the back alley sеlls fake love / This damn city only thinks of swindling me“, singt sie und zeichnet ein letztes Porträt der Welt, in der sich Oh Geum-ji bewegt. Was bleibt, ist ein Schrei nach Liebe: „Whether it’s real or fake / It doesn’t matter – save me from this place.“
Rating: 8/10
Anspieltipps: Animal Farm, Witch Hunt, City Love
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