FC Hollywood / Tonio Schachingers Fußballroman „Nicht wie ihr“
Spitzenkicker Ivo Trifunović verdient 100.000 die Woche und hat soeben Nachwuchs bekommen, doch glücklich ist er nicht. Mit „Nicht wie ihr“ hat Tonio Schachinger ein sprachlich und psychologisch versiertes Debüt vorgelegt, das aber leider nur abgegriffene Fußball- und Lebensweisheiten bereithält.
Von unserem Korrespondenten Jeff Thoss
So manch eine Schulklasse soll bereits davon enttäuscht gewesen sein, dass „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ des kürzlich nobelpreisgekrönten Peter Handke nicht von Tormännern und Elfmeterschützen handelt. In dieser Hinsicht ließe sich den Gymnasiast/-innen Tonio Schachingers „Nicht wie ihr“ vielleicht als Alternative empfehlen. In dem Debütroman des Österreichers, auf dessen Umschlag ein goldener Ball prangt, geht es tatsächlich um Fußball – und zwar auf Spitzenniveau. Der serbischstämmige Ivo Trifunović spielt für Everton in der Premier League und schlüpft regelmäßig ins Trikot der österreichischen Nationalmannschaft. Klar, dass Bugatti, Jetset und Topmodels zu einem solchen Leben dazugehören.
Mit seiner Erzählung aus der Welt der Ronaldos und Messis hat es Schachinger auf die – dieses Jahr heftig umstrittene – Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Keine Umkreisung des eigenen sozialen Milieus, keine irgendwie autobiografisch zu deutende Geschichte, wie man sie frisch aus dem Literaturinstitut oft serviert bekommt, das mag bei dieser Nominierung eine Rolle gespielt haben. Allerdings, vor Etikettenschwindel ist man auch hier nicht sicher: „Nicht wie ihr“ könnte auch „Genau wie ihr“ heißen, denn der Roman zeigt vornehmlich, dass (Top-)Fußballer auch nur Menschen sind. Hinter den Starkickern stecken Spießbürger, die sich um ihre Karriere sorgen und ihre Ehefrau betrügen.
Im Kopf von Ivo Trifunović
Für Handke-frustrierte Schüler/-innen mag dies eine Erkenntnis sein, alle anderen werden sich womöglich fragen, ob es das schon war. Nicht ganz, lautet die (vorläufige) Antwort, denn Tonio Schachinger legt sich mächtig ins Zeug, um uns seine Hauptfigur Ivo näherzubringen. Im Präsens verfasst, versucht der Roman, die unmittelbare Präsenz eines Menschentypus in seinen Denk- und Sprachmustern zu erzeugen, den man in der Literatur selten antrifft. Stilistisch plündert der Autor dafür das Repertoire einer Wiener Umgangssprache, die ebenso keck und unbekümmert wirkt wie Ivos Gemüt.
„Nicht wie ihr“ macht keinen Hehl daraus, dass sein Protagonist einfach gestrickt ist; Geld haben, Sex haben, auf dem Platz brillieren, abseits davon ein wenig Zeit mit der Familie verbringen, so lautet die simple Formel für das Fußballerglück. Um Voyeurismus oder Bloßstellung geht es dem Text allerdings nicht. Vielmehr lädt Schachinger dazu ein, sich ohne Vorbehalte in jemanden hineinzuversetzen, der selbst nur begrenzt empathiefähig ist.
„Wenn die Lehrer sagen: `Stell dir vor, wie sich das für ihn angefühlt haben muss‘, kann Ivo sich das nicht vorstellen, weil er sich nicht vorstellen kann, jemand anders zu sein und schon gar nicht irgend so ein kleines Opfer mit Brille, das zur Lehrerin petzen geht und vor der ganzen Klasse weint, weil Ivo ihm seine Jause weggenommen hat.“
Der Fußball ist korrupt, das Eheleben fad
In diesem Beharren, ganz in den Menschen Ivo einzutauchen, verfolgt „Nicht wie ihr“ hehre Absichten. Nur, was nützt der erzählerische und psychologische Aufwand, wenn am Ende doch nur Vorurteile bestätigt und Klischees bedient werden. Natürlich kickt Ivo aus Leidenschaft und schimpft über die Retortenspieler aus den Fußballschulen im Ausland. Natürlich verschweigt Ivo seine chronischen Rückenschmerzen, weil er mit 27 am Zenit seiner Karriere steht und nicht an einen zweitklassigen Klub weiterverkauft werden möchte.
Und ja, natürlich erfährt der naive Ivo wiederholt, dass der Profifußball ein dreckiges Geschäft ist, bei dem letztlich Ausstatter, Sponsoren und als Mäzene getarnte Investoren bestimmen, wer wo wie lange spielt. Selbst denjenigen, die sich nicht für diese Sportart interessieren, kann „Nicht wie ihr“ kaum Neues über Fußball erzählen.
Konfliktlösung mittels Happy End
Bei Ivos Privatleben erweist sich der Roman als noch einfallsloser. Der Held ist verheiratet, hat zwei Kinder, und kann doch nicht von seiner alten Liebe Mirna lassen. Mit ihr teilt er nicht nur eine Jugend im proletarischen Floridsdorf, sondern auch den Migrationshintergrund. Das Verhältnis Österreichs zu den Balkanstaaten und auch die Klassenfrage – Mirna hat studiert, lebt gerade im Vergleich zu Ivo aber immer noch bescheiden – geht der Autor bedacht an.
Ansonsten erzählt er über 300 Seiten eine schnöde Dreiecksbeziehung, die er durch einen billigen Hollywood-Trick auflöst: Bei einem Unfall kommen Frau und Kinder nur knapp mit dem Leben davon, sodass sich alle noch einmal darauf besinnen können, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Diese melodramatische Läuterung lässt einen ratlos zurück. Warum nur wird die ständig brodelnde Spannung in Bezug auf Themen wie soziale Herkunft von einem notdürftigen Happy End überdeckt? So verspielt Tonio Schachinger leider das Potenzial, das er mit seinem Ohr für den Sound der Wiener Außenbezirke und seinem Plädoyer für bedingungslose Empathie aufgebaut hatte.
Info
Tonio Schachinger: „Nicht wie ihr“, Kremayr & Scheriau, Wien 2019, 304 Seiten, 22,90 Euro
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