/ Gefährliche Machtspiele
Von Anne Schaaf, zz. in Cannes
Das Festival in Cannes ist weltweit das wichtigste seiner Art. Es hat trotz des derzeitigen Konflikts mit Netflix, der etwas anachronistisch daherkommt, nach wie vor eine Vorreiterrolle inne. Was hier gezeigt wird oder gar einen Preis einheimst, schlägt in der Regel große Wellen und prägt die gesamte Filmwelt sowie auch die Filmgeschichte. In Sachen #MeToo wirken die Filmfestspiele, die allein schon durch den mit ihnen verbundenen Prunk und Dresscode Rollenklischees fördern und festigen, jedoch wie ein Nachzügler oder sogar eine Plattform für Mitläufer(innen). Dieser Eindruck entstand nun im Rahmen des Festivals durch gleich zweierlei Veranstaltungen.
Am Samstagabend standen 82 Frauen auf dem roten Teppich, um ein Zeichen zu setzen. In erster Linie sollte darauf hingewiesen werden, dass seit den ersten Filmfestspielen in Cannes im Jahre 1946 lediglich 82 Filme, die aus einer weiblichen Feder stammten, in der sogenannten „compétition“ zu verzeichnen waren. Im Gegensatz dazu stehen 1.688 Beiträge von Männern. Die Diskrepanz diesbezüglich wirkt wie ein Schlag ins Gesicht. Jedoch kommt dieser, wenn wir ehrlich sind, nicht unerwartet, denn diese Zahlen liegen schon länger auf der Hand, die sich jetzt erst zur Faust ballt.
Am Folgetag fand morgens eine Konferenz unter dem Titel „Take Two: Next Moves for #MeToo“ statt. Themen waren sexuelle Übergriffe, allem voran aber die Diskriminierung von Frauen, welche in der Filmbranche tätig sind. Sowohl die französische als auch die schwedische Kulturministerin kamen bei der Diskussionsrunde zu Wort sowie unter anderem auch Dr. Stacy L. Smith (Gründerin der sogenannten „Annenberg Inclusion Initiative“; einem Think Tank, der Diversität und Inklusion in der Unterhaltungsbranche untersucht), welche von der Moderatorin Melissa Silverstein (Autorin des Blogs „Women and Hollywood“) etwas überschwänglich als „Minister of Change“ vorgestellt wurde. Es wurden hauptsächlich flammende Reden darüber gehalten, dass mehr geredet werden muss. Zumindest dieser Forderung wurde in den anderthalb Stunden definitiv Rechnung getragen.
„Moutarde après dîner“
Dass bei beiden Events Umstände angesprochen wurden, welche der Kritik bedürfen und in deren Kontext Änderungen dringend notwendig sind, soll hier in keinster Weise bezweifelt werden. Dennoch sind derartige Aktionen auch einfach das, was sie sind. Nämlich Aktionen. Sie sind der riesengroße Eisbecher, der fein säuberlich eingeräumt im prall gefüllten Informationskühlschrank steht, aus dem sich heißhungrige Journalisten bedienen können.
Während die großen Happen in den Schlund der Internetseiten und Printausgaben hineingeschaufelt werden, geht auch mal was daneben, es wird gekleckert und was die genauen Inhaltsstoffe sind, wird häufig nicht nachgelesen, denn wir haben ja alle keine Zeit mehr. Daher bekommt Fastfood den Vorzug. Bezüglich der Informationszufuhr leiden nicht nur die Medien, sondern auch die Leser gewissermaßen an einer Essstörung.
Wir schreiben, falls dies noch niemandem aufgefallen sein sollte, das Jahr 2018. Die ungleiche Behandlung der Geschlechter im Arbeitskontext ebenso wie sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz sind also keine plötzlich explodierende Atombombe. Vielmehr geht es um endlos viele, über die Jahre gezündete Handgranaten mit großer Splitterwirkung. Um Narben, die man, statt sie offen zu tragen, mit Make-up übertünchte oder sie gar durch den Schönheitschirurgen beseitigen ließ, um dem Ideal einer Szene zu entsprechen, das keines ist.
Ja, das Business ist hart und man muss als Frau sicherlich noch mehr oder vielleicht auch einfach anders kämpfen, aber man darf nicht vergessen, dass die Frauen, die sich auf diesem Festival bewegen, obschon sie potenziell auf anderen Ebenen Nachteile erfahren, als privilegiert gelten können.
Sie haben durch ihre Position quasi den Luxus, ihre Stimme zu erheben und gehört zu werden. Deswegen spielt eben das Narrativ, das sie verwenden, auch eine essenzielle Rolle.
Dies machte sich vor allem bei der bereits erwähnten Diskussionsrunde bemerkbar. Hier sorgte eine Rede der schwedischen Schauspielerin Eva Röse, die Mitglied der schwedischen MeToo-Bewegung mit dem Namen #tystnadtagning – was so viel wie „Schweigen brechen“ bedeutet – ist, für reichlich Applaus, und doch wusste man irgendwann nicht mehr so recht, ob dieser der Rednerin oder doch eher den Klatschenden selbst galt. Röse fragte in etwas melodramatischem Ton: „Whose story do we tell?“ Eine eigentlich berechtigte Frage, deren Antwort in der Folge immer stärker eingegrenzt werden konnte, da es während des streng getimten, rigide durchgeplanten und im Eillauf durchgeführten Gesprächs fast ausschließlich um Leitungspositionen ging, die stärker oder überhaupt mal durch Frauen besetzt werden sollten.
Nun ist dieser Vorschlag beileibe nicht der schlechteste, aber wer in dieser Diskussion außen vor blieb, waren jegliche Frauen, die es nicht einmal in dieses Arbeitsfeld hineinschaffen und in wirklich menschenunwürdigen Jobs ums blanke Überleben kämpfen und zusätzlich noch Übergriffen ausgesetzt sind. In einem solchen Kontext bekommen dann Aussagen wie „We want to show that the specifics of what happened to whom is less important than the fact that this is happening all the time“ (ebenfalls von Röse) einen unglaublich bitteren Nachgeschmack. Natürlich spielen strukturelle Probleme eine Rolle, jedoch mindert dies die Tragik vieler einzelner Geschichten, die sich – und das sollte man nicht vergessen – noch mehr und auf andere Art außerhalb der Filmbranche abspielen, nicht.
Das blendende Rampenlicht
Als sei die mit der #MeToo-Debatte zusammenhängende Opfer-Rhetorik nicht ohnehin schon problematisch genug, wird sich hier auf eine Weise sehr pressetauglich in ein Licht gedrängt, die es ermöglicht, manche Fakten zu überschatten: Die sicherlich unangenehmen bis hin zu traumatisierenden Erfahrungen, die vielen Frauen in der Filmbranche mit den Weinsteins dieser Welt erlebten, hätten nicht stattfinden dürfen, aber jene Frauen, welche sich vergangenes Jahr zu Wort meldeten, nachzogen und noch nachziehen, stammen überwiegend aus Ländern, die demokratisch geführt werden und in denen der Rechtsstaat funktioniert. Wenn auch noch große Kämpfe wegen Equal Pay stattfinden müssen, so hätte es bezüglich der Übergriffe aber Möglichkeiten gegeben, das Schweigen früher zu brechen.
Wäre es nicht als Frau, aber auch als Mensch, eine Pflicht gewesen, manche menschenverachtenden Personen früher aus dem Verkehr zu ziehen, statt ihr krankes System letztendlich mitzutragen? Die schwedische Kulturministerin Alice Bah Kuhnke verkündete während der Konferenz stolz und nicht ohne geschwellte Brust, dass sie direkt, nachdem sie das Manifest von betroffenen schwedischen Frauen aus der Filmszene im vergangenen November gelesen habe, entschieden habe, die (politische) „Agenda zu ändern“. Aber was sagt dies denn im Endeffekt aus, außer dass man auf einen brennenden Zug aufspringt, den man auch zuvor schon anders hätte mit Feuerlöschern ausstatten können?
Ähnlich schwer fällt es, der Treppenaktion der 82 Frauen unhinterfragt Lob auszusprechen. Denn unter anderem die von der Jury-Präsidentin Cate Blanchett erst rezent geäußerten Vorwürfe gegenüber Weinstein (mit dem sie mehrfach zusammengearbeitet hat) lösen nicht allein durch ihr Timing etwas Erstaunen aus.
In Interviews (kürzlich noch im Rahmen des Festivals gegenüber Variety) wirkt Blanchett zwar stets keck und in sehr konsensfähigem Maße potenziell vorlaut, aber eben immer nur so weit, wie es der gute Ton zulässt. Starke Worte, die wirkliche Risikobereitschaft erahnen lassen, bleiben scheinbar eher aus. Auf den „marches“ standen auch andere Personen wie Kristen Stewart, die nun an vorderster Front mitspielt, aber nach wie vor eher zurückhaltend oder ausweichend in Interviews auf die Zusammenarbeit mit Woody Allen reagiert, gegen den schon weitaus länger Vorwürfe im Raum stehen. Auch Jane Fonda verbrachte viele Jahre damit, Sexismus nicht nur freien Lauf zu lassen, sondern stellte sich selbst über einen längeren Zeitraum dafür zur Verfügung. Es geht nicht darum, all diesen Frauen ihr Recht abzusprechen, ihre Stimmen zu erheben, aber es bleibt trotzdem offen, warum sie es so lange nicht taten und genau zu diesem Zeitpunkt (rein zufällig auf dem roten Teppich) Stellung beziehen.
Dass dieser Auftritt gerade vor dem Screening von „Les filles du soleil“ stattfand, wirkt fast schon dreist, da in dem (zwar mit reichlich Pathos und dürftigen Dialogen gespickten) Film kurdische Frauen im Fokus stehen, die im Rahmen ihrer Gefangenschaft unter anderem mehrfach verkauft und verg ewaltigt werden und stets um ihr Leben fürchten müssen, aber sich trotzdem wehren und eine Kampfeinheit bilden.Wie viele prominente Frauen, die sich nun im Rahmen von #MeToo zu Wort melden, mussten wirklich um ihr Leben bangen? Klar hätte ein Aufmucken ihre Karriere negativ beeinflussen können, und dies ist durch nichts zu legitimieren. Aber wäre ein früheres Handeln nicht trotz alledem möglich gewesen?
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