/ „High Life“ ist ein Neo-Sci-Fi-Streifen mit Starbesetzung und schwarzen (Plot-)Löchern
Die französische Regisseurin Claire Denis veröffentlicht mit „High Life“ nicht nur ihren ersten englischsprachigen Film – es ist auch ihr erster Ausflug ins Genre der Science-Fiction. Der von Kritikern hoch gelobte Streifen fasziniert, verstört – und lässt trotzdem meist ziemlich kalt.
Es sind atypische erste Bilder für einen Sci-Fi-Film: In Nahaufnahme sieht man kurze, visuell prägende Vignetten von Pflanzen, Bäumen, feuchter Erde und – die erste Spur menschlicher Anwesenheit – einem Schuh. Dieser Garten inmitten eines durchs All gleitenden Raumschiffs erinnert zwar stark an „Silent Running“ (mit Bruce Dern), „High Life“ ist aber im Gegensatz zum Science-Fiction-Klassiker der 70er keine ökologische Fabel, sondern ein hybrides, unschlüssiges Narrativ über menschliche Ausbeutung, Lust, Fortpflanzung und zwischenmenschliche Gewalt.
Beginnen tut dieses Huis Clos am Ende seines Erzählstrangs, wenn alle menschlichen Konflikte bereits gelöst sind: Monte (Robert Pattinson) gleitet in einer Art Streichholzschachtel mit seiner neugeborenen Tochter Willow durch ein wie üblich stummes, gleichgültiges Weltall. Er redet auf die plärrende Neugeborene ein, pflegt das Raumschiff und den Garten, schmeißt die verstorbenen Insassen ins All.
Die semantischen Eckpfeiler des Genres werden so ziemlich früh abgesteckt: Die Einsamkeit des Weltraumforschers, das blanke Überleben, die Frage nach der Legitimität eines solchen Überlebens – und die Neugier, die beim Anblick der Leichen beim Zuschauer geweckt wird, der durch generische Konditionierung schnell an eine Epidemie oder eines der in der Science-Fiction herumspu(c)kenden schleimigen oder zottigen Monster denken wird.
Im Laufe der Flashbacks, die das verschachtelte, elliptische Erzählgerüst kennzeichnen, merkt man allerdings schnell, dass das zottige Monster hier der Mensch ist: Die Raumschiffinsassen sind Kriminelle, die sich einem Schwarzen Loch nähern sollen, um dort alternative Ressourcen für die Erde ausfindig zu machen – eine Mission, die nichts weiter ist als ein als Heldentat getarntes Todesurteil.
Rapunzel und Medea
In der Knastwelt – eigentlich könnte der Film fast auch in einem Gefängnis spielen, der Sci-Fi-Hintergrund ist mehr ästhetisches Dekor als erzählerische Notwendigkeit – reißt Dr. Dibs (Juliette Binoche), eine Mischung aus Rapunzel und Medea, nach und nach die Kontrolle an sich und lotet die Begierden der Insassen zu Fortpflanzungsexperimenten aus – der Film geizt nicht mit Blutvergießen, Ejakulation und Vergewaltigungen; die Körper werden zu aus den Fugen geratenen Lustmaschinen. Wie in Hobbes’ Gesellschaftsbeschreibung ist hier jeder auf sich selbst gestellt. Und entgegen Rousseaus Porträt des „bon sauvage“ ist der Mensch im Naturzustand von Grund auf von egozentrischen Trieben geleitet, in deren Zentrum die Libido und die Gier nach Macht stehen.
Der Film fasziniert vor allem durch seine wagemutige audiovisuelle Inszenierung. Mit Stuart A. Staples von den Tindersticks gelang es Denis, einen der spannendsten zeitgenössischen Musiker zu rekrutieren: Dessen Soundtrack vertont gekonnt die Einöde und das Schweigen, die urplötzlichen Gewaltausbrüche werden durch schiefe Jazz-Perkussion und krumme Töne untermalt. Die im All schwebenden Leichen, ein fremdes Raumschiff, das von aus Käfig ausgebrochenen Hunden überfallen wurde, fragmentierte Pläne von Juliette Binoche in ihrer „Fuckbox“, in der sie wie eine demente Schamanin Lustrituale durchführt: Es sind sicherlich Bilder, die dem Zuschauer im Kopf herumgeistern werden.
Bildgewaltige Kunstinstallation
Funktionieren tut der Film jedoch mehr als bildgewaltige Kunstinstallation, die zusammenhanglose, bewusst elliptisch gehaltene Erzählung macht aufgrund der seelenlosen Figurenzeichnung nicht neugierig genug, um die Schicksale der Charaktere auch zwischen dem Gezeigten ausmalen zu wollen.
An anderen Stellen ist der Film trotz seiner visuellen Stärke erzählerisch etwas amateurhaft oder gar trashig – wenn Pattinsons Off-Voice den Hintergrund der Geschichte erzählt, wirkt dies weniger wie ein ästhetischer Kniff als so, als ob Denis keine Lust gehabt hätte, die Vorgeschichte der Insassen zu inszenieren.
Weil sowohl der kognitive wie auch der emotionale Einblick in die Schicksale fehlen, lässt der Film folglich ziemlich gleichgültig – das Lied, das Pattinson während des Abspanns zusammen mit Staples für seine Tochter singt, hätte aufgrund seiner emotionalen Wärme besser zu Nolans „Interstellar“ (ein weiterer Science-Fiction-Streifen, in dessen Zentrum die Vater-Tochter-Beziehung rückt) gepasst.
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