Kino / „Horizon – An American Saga“: Vom Werden einer Nation
Kevin Costner – der Name des US-amerikanischen Schauspielers und Filmemachers ist untrennbar mit dem Filmgenre des Western verbunden, so sehr hat er sich im Laufe seiner Karriere dem amerikanischen Frontier-Mythos gewidmet. Mit „Horizon – An American Saga“ läuft nun der erste Teil einer vierteiligen Serie in vereinzelten Kinos an.
Er möchte den Westen sehen, bevor es ihn nicht mehr gibt, meint der Leutnant John J. Dunbar (Kevin Costner) zu seinem vorgesetzten Offizier, bevor er sich in die Wildnis begibt. Mit „Dances With Wolves“ war Kevin Costner der epische Schwanengesang auf den Western in den Neunzigerjahren gelungen. Groß und pompös in der Besetzung, der Ausstattung, den Landschaften, der Musik und der Erzähllänge war dieser Film ein Endpunkt des Genres. Mit der Paramount-Serie „Yellowstone“ kehrte Costner mit dem Western-Stoff auf den kleinen Bildschirm zurück, die langlebige Serie, die die Zeichensprache des klassischen Westerns in die Gegenwart überführte, sollte eine finanzielle Basis für sein lang gehegtes Herzensprojekt werden.
Bereits seit 1987, noch vor „Dances With Wolves“, soll Costner nämlich die Idee zu einer überaus ambitionierten und großflächigen Western-Saga entwickelt haben – und selbst nach mehreren finanziellen Rückschlägen soll er seinen Sohn, der 2009 zur Welt kam, nach dem Protagonisten des erträumten Films benannt haben – ein lebender Verweis auf diese Ambition. Erst mit dem beständigen kommerziellen Erfolg von „Yellowstone“, aus der Feder Taylor Sheridans, konnte Costner die ersten 100 Millionen Dollar für die ersten beiden Teile der auf vier jeweils dreistündige Filme ausgelegten Reihe größtenteils selbst aufbringen. Sogar sein persönliches Anwesen in Kalifornien soll er dafür in die Waagschale geworfen haben, um die neunstellige Budgetsumme vorstrecken zu können. „Horizon – An American Saga“ heißt dieses Projekt, dessen megalomane Produktionsgeschichte die von Francis Ford Coppolas neuem Film „Megalopolis“ auffällig spiegelt, nur dass Coppola für seinen Film sein Weingut verkauft haben soll.
Figurenkarussell
Der erste Teil von dieser neuen Großerzählung um den Wilden Westen präsentiert sich wieder als eine zynisch-nostalgische Revision des Westerns, ohne dabei aber die friedvolle Note von „Dances With Wolves“ anzustreben. „Horizon“ erzählt vom Werden dieser Nation der Vereinigten Staaten inmitten der Siedlerzüge, des Sezessionskriegs und der Kriege gegen die Einheimischen. Costner erzählt dieses überaus breitflächige Epos multiperspektivisch: Da gibt es den Apachen Taklishim (Tatanka Means) und seine Söhne, den Warenhändler Hayes Ellison (Costner), die Gelegenheitsprostituierte Marygold (Abbey Lee), die verwitwete Frances Kittredge (Sienna Miller) und den besonnenen Nordstaatenoffizier Trent Gephart (Sam Worthington), eine Bande von Outlaws und Kopfgeldjägern – wem dieses Figurenregister bereits zu groß erscheint, der wird sich in „Horizon“ schnell verloren sehen: Bei dieser Figurenaufzählung sind nämlich eine Reihe Nebenfiguren hier bewusst ausgespart, zudem werden immer noch mehr Begleitrollen in das Epos hineingeschichtet.
Mithin wirkt keine dieser Figuren wirklich drehbuchtechnisch ausgereift, sie sind mehr Stichproben in einem Gesamtkontext der Gründerzeit, in der das Land und die Frau noch selbstverständlich mit Gewalt beansprucht werden, das Recht des Stärkeren herrscht und ein Jeder seine Chance auf Ruhm und Ehre, Land und Reichtum nutzen kann. „Horizon“ ist in dieser Hinsicht auch eine Gewaltballade der reaktionären Untertöne, eine Tendenz, die aus heutiger Sicht freilich befremdlich erscheint, doch leugnet Costner sie nicht, weil er den Western immer schon ungemein ernst nahm und um ein historisch authentisches Bild zwischen dem Zug gen Westen, der Identitätsbildung durch die Tat und der Stellung der Frau in diesem patriarchalen Gefüge bemüht ist.
So wie „Dances With Wolves“ als ein Kulturdialog auf Augenhöhe funktionierte, so bildet Costner auch hier gerne alles gleichrangig ab, jede Perspektivgewichtung zu unterdrücken versuchend: Da gibt es die Einheimischen, die das Land nicht kampflos an die Siedler aufgeben wollen, die Händler, die nicht recht wissen, wo sie hingehören, weil sie ständig auf der Durchreise sind, die Nordstaatler, die nicht mehr wissen, welcher dieser beiden Nationen der Vereinigten Staaten sie angehören, die Apachen, die nicht wissen, wie eine friedliche Koexistenz möglich sein kann. Costner gestattet sich dabei keine langen Expositionen, sein Publikum unmittelbar und direkt an die Erlebniswelt einer Witwe, einer Prostituierten, eines einsamen Wanderers und eines Offiziers anzubinden, ist sein Vorsatz. Es geht um das Hineinwerfen in eine Zeit und in einen Ort, der einem beständigen Wandel unterlegen ist. An ihren Erlebnissen, ihren Zweifeln, ihren Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen und Schicksalsschlägen soll ersichtlich werden, was es bedeutet, ein Amerikaner im Wilden Westen zu sein, dass diese Nation eine Mischform der Kulturen und Ethnien ist, dass da eine Gemeinschaft zusammenwächst, aller Widrigkeiten zum Trotz, dass die Landnahme mit Waffengewalt erfolgen muss, wenn die gefahrvollen Anforderungen es so verlangen.
Filmisches Wimmelbild
Mit den Figuren wechseln in „Horizon“ auch die Schauplätze, gleich mehrere Orte sind Ausgangspunkt der einzelnen Handlungsstränge: Da gibt es die verschneiten Berge Montanas, die herbstlichen Wälder von Wyoming, die sengende Steppe des San Pedro Valley – „Horizon“ vereint die klassischen Schauplätze des Genres zu einem semantischen Repertoire, das die Ikonografie des klassischen Westerns wieder eindrücklich aufleben lässt. Neben diesen imposanten Landschaftsbildern von Kameramann James Michael Muro haucht besonders die ebenso kraftvolle wie elegische Filmmusik von John Debney ihnen noch mehr Aufbruchsstimmung ein. Zumindest der Ort, an dem alles zusammenlaufen soll, scheint festzustehen.
„Horizon“, so heißt nämlich das Land, um das da gekämpft wird, aber natürlich ist damit vielmehr der ungewisse Blick in diese ungewisse Zukunft gemeint, die so ungewiss dann doch gar nicht ist: „Whether one nation or two, after this war ends, we go west. This is how this frontier ends“, heißt es an einer Stelle – eine vielsagende Äußerung, die an „Dances With Wolves“ erinnert. „Horizon“ ist Costners Versuch, den amerikanischen Gründermythos noch einmal größer auszuerzählen, es ist das Paradox, welches das Westerngenre, wie Costner es bearbeitet, immerzu begleitet: Filmische Western der Superlative sind per se nicht mehr steigerbar, nicht in den imposanten Landschaftsaufnahmen, nicht in der opulenten Filmmusik. Costners zweiter Versuch nach „Dances With Wolves“, „Open Range“ (2003), blieb gerade aufgrund dieses Umstandes hinter den Erwartungen zurück. Hier nun sucht er einen neuen Weg: Einzig in der Figurenvielfalt kann Costner den amerikanischen Frontier-Mythos noch umfassender anlegen.
Der Begriff des „Wimmelbildes“ aus der Malerei kommt einem in den Sinn – man denke da an „Der Kampf zwischen Karneval und Fasten“ (1559) von Pieter Bruegel dem Älteren. Mit einer kontemplativen Tableau-Betrachtung, die das Auge schweifen lassen kann, hat die Kinosituation aus Schnitt und Montage aber wenig gemein. Seine stakkatoartigen Fokalwechsel unterbrechen die jeweiligen Handlungssegmente ungemein – in einer einminütigen Szene wird etwa nur gezeigt, wie Frances einen Skorpion totschlägt. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Vierteiler, der die Gründerzeit über Jahre hinweg in den Blick nehmen will, sich zu einem Ganzen zusammenfügt.
Das Filmerlebnis von „Horizon“, das bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes in einer Galavorstellung zu sehen war, ist somit ein überaus fragmentiertes, situatives, das eine intelligible Handlungsverfolgung nicht erleichtert, dafür aber ein implizites Versprechen setzt, als großes vierteiliges Panorama zusammenzulaufen. Dass der bereits fertiggestellte zweite Teil nun nur mehr über Streaming-Wege ausgewertet werden soll, spricht generell für ein Unverständnis der Vorführbedingungen eines derart bildgewaltigen Westerns.
Wo läuft’s?
Momentan im Kinepolis Longwy und Metz zu sehen, eine Aufnahme ins Programm von Kinepolis Luxembourg ist noch ungewiss.
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