Hörbuch / „Issa“ von Mirrianne Mahn im Test
Zu schwarz für Deutschland und zu weiß für Afrika? In „Issa“ von Mirrianne Mahn bewegt sich die gleichnamige Protagonistin zwischen zwei Kulturen. Schafft sie es, ihren Platz zu finden? Eine (Hör-)Buchbesprechung.
Issas Abenteuer beginnt im Flugzeug nach Douala. Sie ist schwanger. Zu Hause lief es zuletzt nicht rund. Zum einen, weil sie nicht weiß, ob es Sinn macht, die Beziehung zu ihrem Freund und dem „Kindsvater“, wie sie ihn nennt, noch aufrechtzuerhalten. Zum anderen, weil ihre Mutter sie drängte, vor der Geburt nach Kamerun zu fliegen, um sich dort verschiedenen Zeremonien zu unterziehen, die das Wohl ihres Ungeboren garantieren sollen.
Issa ist genervt: Mit Ritualen hat die in Deutschland aufgewachsene Protagonistin nichts am Hut. Nichtsdestotrotz ist Kamerun genau der Ort, an dem die Schwangere in diesem Augenblick sein soll. Es tut ihr sichtlich gut, Zeit mit ihrer Familie – insbesondere mit ihrer Urgroßmutter – zu verbringen und dem Alltag in Deutschland, wenn auch nur für kurze Zeit, zu entfliehen.
Nirgends zu Hause
Als Kind wurde Issa aufgrund ihres Aussehens und ihrer Hautfarbe gemobbt. In Afrika kann sie sich ebenfalls nicht mühelos in die Gesellschaft einfügen. Auf ihrer Reise sorgt sie immer wieder für Aufsehen. Einerseits, weil sie nicht fließend Pidgin spricht. Andererseits, weil sich ihre Überzeugungen als emanzipierte, europäische Frau deutlich von denen der Menschen in Kamerun unterscheiden – vor allem, was Geschlechterrollen oder den Umgang mit Kindern angeht. Entgegen den kulturellen Differenzen schafft es Issa, sich Familien und Bekannten zu öffnen und von ihren Erfahrungen vor Ort zu lernen.
Obwohl sie sich klar von den meisten afrikanischen Praktiken und Ritualen distanziert, werden diese nicht ins Lächerliche gezogen. So erfährt der Zuhörende Spannendes über den Stellenwert der Wassergöttin Mami Wata, die trotz ihrer Ambivalenz noch heute von vielen Westafrikaner*innen verehrt wird. Ähnlich wie ihr Element das Wasser, beziehungsweise das Meer, verkörpert Mami Wata sowohl heilende und lebenspendende als auch zerstörerische Kräfte.
Familienroman
Issas Geschichte ist nicht nur die ihrige. Es ist ebenfalls die ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die ihrer Ahnen und die ihres ungeborenen Kindes. Autorin Mirrianne Mahn gelingt es auf wundervolle Art und Weise, die Erlebnisse von Issa und ihren Vorfahrinnen miteinander zu verknüpfen. Parallel zur Familien- verläuft die Kolonialgeschichte, in einem Kamerun, das von Deutschen kolonialisiert und später von den Briten übernommen wurde. Der Roman erzählt von Ausgrenzung und Zugehörigkeit, von Unsicherheit und Selbstfindung. An dessen Ende steht die Protagonistin einer viel selbstsichereren Version ihrer selbst gegenüber: Sie hat begriffen, dass sie ihren eigenen Weg gehen kann, ohne ihre familiären Bande kappen zu müssen, im Gegenteil.
„Issa“ ist ein Familienroman, der seinesgleichen sucht. Es ist ein Plädoyer für Toleranz und Akzeptanz, das ermutigt, Vorurteile zu hinterfragen. Und vielmehr noch: sich in andere Menschen und Kulturen hineinzuversetzen und einzufühlen.
Abgerundet wird diese sehr gelungene Erzählung in der vertonten Version von der Lesung der Autorin. Anfangs noch etwas zurückhaltend, wächst Mirrianne Mahn mit dem Voranschreiten des Romans in die Rolle der Sprecherin hinein und sorgt so für ein sehr authentisches Hörerlebnis.
Mirrianne Mahn (Autorin und Sprecherin)
Mirrianne Mahn, 1989 in Buea (Kamerun) geboren, wuchs in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Heute lebt sie in Frankfurt, wo sie sich als Aktivistin und Theatermacherin gegen Diskriminierung und Rassismus einsetzt. Sie arbeitet als Referentin für Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung und ist seit 2021 Stadtverordnete in Frankfurt am Main. Für ihr politisches Engagement wurde sie vom Focus Magazin als eine der 100 Frauen des Jahres 2021 ausgezeichnet.
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