Hörbuch / „Lichtungen“ von Iris Wolff im Test
In Levs Welt ticken die Uhren anders: Als er unerwartet eine Postkarte einer Kindheitsfreundin erhält, die das Dorf vor Jahren verlassen hat, besinnt er sich zurück auf das, was gewesen ist und vielleicht noch sein könnte.
„Du hättest zurücksehen müssen […], allein um zu wissen, ob sie sich nach dir umgewandt hat“, denkt Lev. Diesen Gedanken nimmt er sich zu Herzen, denn genau das tut er fortan. In Iris Wolffs Roman wird Levs Leben rückwärts erzählt: Es beginnt mit dem Wiedersehen einer Frau, die er seit Kindertagen kennt. Wohl um zu wissen, ob seine langwierige Freundin Kato, die als Straßenkünstlerin ständig auf Reisen ist, sich jemals „nach ihm umgewandt hat“, analysiert Lev genau, was zwischen ihnen vorgefallen ist, bis sie wieder elf Jahre alt sind.
„Lichtungen“ liefert kaum Antworten auf die Fragen, die sich Lev oder der Lesende stellt, und wenn, dann nur zwischen den Zeilen. Es ist ein (Hör-)Buch, das die Geschichte von Lev, der (fast) sein ganzes Leben in Siebenbürgen verbrachte, auf sanfte und poetische Weise offenlegt. Mit dem Prinzip des Rückwärtserzählens versucht sich die Autorin Iris Wolff, die selbst in Siebenbürgen geboren ist, an etwas Neuem. Leider geht das Experiment, insbesondere in der Hörbuchfassung, nicht ganz auf. So wirken die einzelnen Kapitel, zwischen denen Interpret Marek Harloff kaum Sprechpausen macht, teilweise konfus in ihrer Anordnung. Zunehmend gestaltet es sich schwerer, der Geschichte zu folgen.
Für viele wäre es wohl spannender gewesen, zu erfahren, was sich nach all den Jahren aus Levs und Katos Beziehung entwickelt. Doch statt vorwärts, geht es rückwärts, was leider auch zur Folge hat, dass kein Spannungsbogen entstehen will. Der rote Faden wird mit dem Voranschreiten (oder Zurückschreiten?) der Geschichte immer dünner: Aus einer vermeintlichen Liebesgeschichte wird schließlich ein Familienroman.
Mag sein, dass sich „Lichtungen“ aufgrund seines ungewöhnlichen Aufbaus nicht für eine Hörbuchadaption eignet. Immerhin sind die Rezensionen, die bei der Veröffentlichung des Romans im Januar dieses Jahres erschienen sind, recht positiv ausgefallen. Wer mehr über den Alltag einer Familie im Siebenbürgen des 20. Jahrhundert erfahren möchte, dem sei also geraten, zur Printausgabe zu greifen.
Iris Wolff (Autorin)
Iris Wolff, 1977 in Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren, wurde für ihr literarisches Schaffen mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter mit dem Marieluise-Fleißer-Preis und dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis für ihr Gesamtwerk.
Marek Harloff (Sprecher)
Marek Harloff, geboren 1971, bespielte Theaterbühnen in Hamburg, Weimar und Köln, wo er seit 2013 ein fester Teil des Ensembles ist. Er hat in einigen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt, darunter „Tatort“ und „Charité“, sowie zahlreiche Hörbücher eingelesen.
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