Lëtzebuerger Buchpräis / Manierierter Macho-Müll: Eine Kritik zu Jean Backs „L’arc di Marianna“
Mit „L’arc di Marianna“ könnte Jean Back den am Donnerstag vergebenen „Lëtzebuerger Buchpräis“ gewinnen. Ob der Roman das verdient hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Mit „L’arc di Marianna“ legt der Luxemburger Jean Back einen Roman vor, dessen Stärke – so viel sei gesagt – in einprägsamen Sprachbildern und märchenhaften Naturbeschreibungen liegt. Sie lassen die Region im Nordosten Italiens, aus der die Hauptfigur stammt, als beseeltes Wesen erscheinen. Teilweise könnten die Schilderungen wie auch einzelne Dialoge zwischen dem Protagonisten Cosimo, genannt Co, und seiner Geliebten Marianna dem melancholisch-fantastischen Roman „Die blaue Gasse“ des sizilianischen Autors Giuseppe Bonaviri entspringen. So spricht Co zum Beispiel von dem atmenden Licht und der Leuchtkraft des Himmels über Norditalien, die sogar den Steinen in der Erde helle Kratzer verpasse, und nennt an anderer Stelle den schwangeren Bauch seiner Partnerin einen „indischen Schrein“. Diese intimen, traumhaften Gesprächssequenzen verleihen dem Text zumindest streckenweise eine Aura des Mysteriösen, Paradiesischen, das die malerische Schönheit der Gegend, in der Co aufwächst, zu vermitteln weiß.
In anderen Hinsichten schwächelt „L’arc di Marianna“ wiederum so sehr, dass man als Leser irgendwann die Geduld mit dem Roman verliert. Zunächst ist es schwer, der Erzählung zu folgen und den Überblick über den Plot zu behalten. Warum? Weil wichtige Informationen zum Verständnis der Szenen oft erst nachträglich, en passant oder auf derart verschlüsselte Weise gegeben werden, dass man Schwierigkeiten hat, nachzuvollziehen, was gerade auf den Seiten passiert. Co und Marianna erleben zum Beispiel einen Horrortrip, als sie ein Gemisch aus Gras und Magic Mushrooms rauchen. Dass sie das überhaupt tun, wird aber erst im nachfolgenden Dialog erwähnt. So erscheint das Vorangegangene doch sehr bizarr-aufgesetzt. Die beiden verlieren sich mehr und mehr in einem bedrohlichen Rauschzustand, ohne dass man als Leser wüsste, wie es überhaupt dazu kam.
Ein anderes Beispiel: Als Marianna später Co mitteilt, dass sie schwanger ist, tut sie dies auf so verhüllt-umständliche Weise, sodass die Szene äußerst konstruiert wirkt. Dieser Eindruck verstärkt sich dadurch, dass Co zwar sofort zu verstehen scheint, was seine Freundin ihm eigentlich sagen möchte, aber dann, obwohl Mariannas Bauch noch flach und die Schwangerschaft eindeutig nicht weit vorangeschritten ist, fragt, ob es nur noch „ein paar Wochen“ sind. Diese verquere Frage lässt den Leser ratlos zurück.
Polieren, was das Zeug hält
Das erzählte Geschehen scheint oft hektisch und übereilt, der Hergang löchrig und äußerst unrealistisch. Immer wieder dienen Zufallsbegegnungen, die mit den Haaren herbeigezogen scheinen, als Handlungsmotor. So trifft Co völlig unverhofft in einer Bar auf einen Architekten, der natürlich – wie kann es auch anders sein – schon von Cos wundersamen Fähigkeiten als Fliesenpolierer gehört hat und ihm einen Job beim Gardasee verschafft. Überhaupt ist das mit dem Polieren so eine Sache, denn der Roman stellt mit Co einen teils vor libidinöser Virilität triefenden, teils gefühlig-schwärmerischen Künstlertypus in den Mittelpunkt, der nicht etwa im Malen oder im Schreiben oder in der Musik seine Erfüllung findet, sondern im Glätten „von rauen Oberflächen“. Und das scheint Co wahrhaft gut zu können, immerhin kennt ihn wegen seiner Schleifkünste bald die ganze Elite Mailands. „Sie wissen doch selbst, was Sie imstande sind zu vollbringen. Der Markt ist immens. Alle Menschen haben ein Bedürfnis, sich in lichten Räumen zu bewegen, über Federn zu gleiten“, wird ihm einmal gesagt. Durch die Albernheit solcher euphorischen Lobgesänge auf einen glatten Fußboden fällt es einem schwer, die Geschichte ernstzunehmen.
Neben der unausgereiften Erzähltechnik ist es dann auch der Sprache, durch die „L’arc di Marianna“ einiges an Überzeugungskraft einbüßt. Oft schwülstig und gesucht, altertümelnd und unnatürlich erschwert sie einem den Zugang zum Text. So werden Begriffe wie „tollkühn“ und „keck“ benutzt, die man so kaum mehr in Werken der Gegenwartsliteratur findet. Ausführungen wie die, dass der Rauch die ausgeprägten Wangenknochen von Cos Mutter Angela mit einem scharfen Aroma „umflort“ wirken wie mit abgespreiztem Finger generierte Überhöhungen, die umso schiefer wirken, als dass zugleich immer wieder von „Pimmeln“ oder „Hundefotzen“ die Rede ist und in den Dialogen sehr viel Wert auf (derbe) Umgangssprache gelegt wird. Leider ist deren Einsatz auch nicht immer gelungen oder richtig – so steht zum Beispiel an einer Stelle, die Erotik sei „durch den Wind“. Dass hier etwas anderes gemeint ist, als im Text steht, hätte spätestens dem oder der Lektor/in auffallen müssen.
Mansplaining vom Feinsten
Die größte Schwäche des Romans ist jedoch eindeutig die Darstellung der (weiblichen) Figuren sowie der wiederholte Rekurs auf altbackene und misogyne Geschlechterstereotype. So wirken die im Buch auftretenden Charaktere, vor allem Frauen, überzeichnet und in ihrem Verhalten bar jeder psychologischen Raffinesse oder Stimmigkeit. Sie allesamt – Marianna, Angela, Cos Großmutter Nonna, die Bibliothekarin, die Wahrsagerin – sind von ihrem Wesen her ähnlich übersteigert kratzbürstig, raubeinig, teils auch zerfahren-hysterisch und völlig unkultiviert, sodass es nicht überrascht, dass die „Halbanalphabetin“ Marianna auf Co angewiesen ist, damit er ihr – wie es wortwörtlich im Roman steht – erklärt, wie die Welt funktioniert. So klärt er Marianna darüber auf, was eine „Fresse“, halt „Freske“, ist (hier versucht der Autor, dem Leser einen müden Lacher zu entlocken, denn Marianna weiß offenbar nicht einmal, wie der Begriff ausgesprochen wird), was das Wort „Mystik“ bedeutet und dass Flöhe nicht krabbeln, sondern hüpfen. Man fragt sich, wie Marianna all die Jahre, bevor sie Co kennenlernte, überleben konnte. Natürlich sucht Marianna auch „Schutz“ bei ihrem „Helden“ Co, der sie einmal buchstäblich vor einer Gruppe Männer verteidigen muss.
Dass Co im Verlauf der Geschichte selbst zum Aggressor wird, erweist sich dabei ein ungewollt traurig-ironischer Twist. Denn in einer vom Autor genüsslich beschriebenen Szene spreizt Co die Beine seiner schlafenden schwangeren Freundin und dringt in sie ein. Sie wacht davon auf – und ist, gemäß der Logik des Buchs, vom Übergriff ihres Partners begeistert. Sie ziert sich dann auch nicht und macht sogleich mit. „Dein Gesicht ist schön, wenn du schreist“, sagt Co ihr dann. Hier verkommt das Buch zu einer billigen Gewaltpornografie.
„L’arc di Marianna“ ist ein Buch, dessen geschraubter Stil und ambitionierte Prämisse auf die hochgesteckten Ziele des Autors schließen lassen. Immerhin schildere das „fantasievolle Epos“ laut Klappentext die „Odyssee“ Cos, die ihn mit drei Freunden quer durch Europa führe. Dabei spanne Back einen Bogen von den vom Faschismus geprägten Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart. Die entsprechend hohen Lesererwartungen erfüllt der Roman jedoch letztlich nicht.
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