Klangwelten / Neue Platten und das Comeback von The Cure im Kreuzverhör
Vier Platten, vier Meinungen: Welche neuen Alben Sie sich unbedingt anhören sollten und welche Sie getrost ignorieren können. Eins vorneweg – nur eine Platte schafft es aufs Siegertreppchen.
Amyl And The Sniffers – „Cartoon Darkness“
Ihre Karrierekurve zeigt weiterhin nach oben. Seit längerem sind ihre November-Konzerte in größeren Hallen in Berlin, Hamburg, Köln und München ausverkauft. Die Rede ist von den australischen Punkrockern Amyl And The Sniffers, die jetzt ihr drittes Album „Cartoon Darkness“ veröffentlicht haben.
Im Jahr 2016 gründeten Sängerin Amy Taylor, Gitarrist Declan Martens und Schlagzeuger Bryce Wilson, die damals alle unter einem Dach in Melbourne lebten, die Band. Anfangs war noch Calum Newton am Bass zugange; mittlerweile ist es Gus Romer. Seit ihrer Gründung haben sie es von den kleinen Bühnen der Clubs in ihrer Heimatstadt auf die großen internationalen Bühnen geschafft. Sie gastierten auf renommierten Festivals und waren mit Green Day und den Foo Fighters auf Stadientour durch Europa und die USA. Nebenbei haben sie zwei umjubelte Alben veröffentlicht – ihr selbstbetiteltes Debüt aus dem Jahr 2019 und „Comfort To Me“ (2021) – und für ihr Debüt einen australischen Grammy in der Kategorie „Bestes Rock-Album“ gewonnen.
Dass der Erfolg ihnen nicht zu Kopf gestiegen ist und der Erwartungsdruck sie nicht gelähmt hat, das wird sogleich klar, wenn man „Cartoon Darkness“ hört. Mit dem Produzenten Nick Launy (Nick Cave & The Bad Seeds, Idles) haben sie 13 erfrischende Songs eingespielt, die einfach nur Spaß machen. Es ist ein Album voller Energie, Wut und auch Optimismus und eingängiger Melodien geworden – siehe den über den Hörer hinwegfegenden Auftaktsong „Jerkin’“, den vorab ausgekoppelten Hit „Chewing Gum“, das treibende „Pigs“, das verhältnismäßig ruhige, vom Glamrock beeinflusste „U Should Not Be Doing That“ oder den fantastischen Abschlusssong „Me And The Girls“. Weiter so!
Porridge Radio – „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“
Das Projekt Porridge Radio wurde im Jahr 2015 von Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin Dana Margolin, die in London aufgewachsen ist und in Brighton studiert hat, in eben jener englischen Küstenstadt geboren. Schon mit sieben Jahren wollte sie Dichterin werden. Später schrieb und zeichnete sie in Notizbücher, die sie immer bei sich trug. Mittlerweile sind von Porridge Radio Alben in Eigenregie und zwei über das US-Indielabel Secretly Canadian erschienen.
Das Gedichteschreiben, das sie schon in früher Kindheit faszinierte, war auch Grundlage für ihr drittes Secretly-Canadian-Album „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“. Nach der langen Tour zum Vorgängeralbum war Reflexion angesagt. Zudem musste sie einen Burnout überwinden und das Ende einer kurzen, aber intensiven Beziehung. Sie schrieb Gedichte, aus denen sich neue Songs entwickelten. Diese nahm sie mit Dan Hutchins (Bass), Georgie Stott (Keyboards, Gesang), Sam Yardley (Schlagzeug, Keyboards) und dem Produzenten und Big-Thief-Tontechniker Dom Monks auf.
Ihre traurige, emotionale Musik, eine spannende Mischung aus Indierock, Noise, Punk und LoFi, sowie ihre überaus hingebungsvolle Stimme, der man anmerkt, dass die mit ihr transportierten Emotionen real sind (s. „Sick Of The Blues“ oder „A Hole In The Ground“), sind die Markenzeichen von Porridge Radio. Das ist auch auf dem neuen Album so und macht dieses ebenso interessant wie dessen Vorgänger. Gut, dass Porridge Radio am 17.12. in den Rotondes in Luxemburg (www.atelier.lu) gastieren. Den Termin sollten sich Indierock-Fans unbedingt im Kalender eintragen.
The Cure – „Songs Of A Lost World“
Machen wir es kurz: „Alone“, bereits Ende September als Single veröffentlicht, ist ein brillanter Auftakt des ersten Albums von The Cure seit 2008 („4:13 Dream“). Der Song, inspiriert von Ernest Dowsons Gedicht „Dregs“ (1902), ist knapp sieben Minuten lang. Aber erst nach der Hälfte setzt Robert Smiths unverkennbare Stimme ein: „This is the end of every song that we sing / The fire burned out to ash and / The stars grown dim with tears / Cold and afraid.“ Ein Volltreffer ins schwärzeste Schwarz.
„Songs Of A Lost World“ ist das 14. Studioalbum der Briten. Die Lieder wurden von Smith im Alleingang komponiert und getextet. Es sind nur acht, aber sie sind (im positiven Sinne) ausufernd und erstrecken sich über fast 50 Minuten. Auf „Alone“ folgt das melancholisch-besinnliche „And Nothing Is Forever“, das mit Synthie-Streichern veredelt wurde. Danach der nächste Geniestreich: die zweite Vorabauskopplung „A Fragile Thing“. Ein erst vom Bass, dann vom Klavier getriebener, poppiger New-Wave-Song über das bittere Ende einer Beziehung.
Mit Akkordeon (?), Gitarrenfeedback und Schellenkranz geht es im Trauermarschtempo weiter („Warsong“), ehe The Cure in „Drone:Nodrone“ frei drehen und unzählige Klänge gegeneinander ankämpfen. „I Can Never Say Goodbye“ ist der nächste melancholische Ruhepol auf diesem beeindruckenden Spätwerk. Auch gegen Ende des Albums lässt die Qualität der Songs nicht nach: Zu „All I Ever Am“ darf auch mit dem Fuß gewippt werden. Und der lethargische „Endsong“ (der Titel ist Programm) beendet mit repetitiven Schlagzeugabfolgen das kurzweilige Hörvergnügen namens „Songs Of A Lost World“. Wir mögen verloren sein, aber wird dürfen The Cure zutiefst dankbar sein, dass sie uns dieses Album beschert haben.
MC5 – „Heavy Lifting“
Leider hat Wayne Kramer nicht mehr die Veröffentlichung des dritten Studioalbums seiner famosen Rockband MC5 erleben können. Er verstarb als vorletztes Mitglied der klassischen Bandbesetzung der späten 60er- und frühen 70er-Jahre Anfang Februar im Alter von 75 Jahren. Zuvor hatte er mit dem Produzenten Bob Ezrin (Alice Cooper, Pink Floyd, Kiss) an besagtem Album „Heavy Lifting“ gearbeitet, dem ersten seit 1971.
Natürlich kann man diskutieren, ob „Heavy Lifting“, das erst „We Are All MC5“ heißen sollte, ein echtes MC5-Album ist. Zum einen war nur noch Kramer federführend am Songwriting beteiligt. Der im Mai 2024 verstorbene Ur-Schlagzeuger Dennis „Machine Gun“ Thompson gastiert immerhin noch in den Songs „Blind Eye“ und „Can’t Be Found“. Ansonsten konnte Kramer auf Sänger Brad Brooks sowie seine Begleitmusiker Stevie Salas (Gitarre), Don Was (Bass) und Abe Laboriel Jr. (Schlagzeug) zählen. Zu diesen gesellten sich einige berühmte Gäste: Tom Morello von Rage Against The Machine („Heavy Lifting“), William Duvall (Alice In Chains) und Slash (Guns N’ Roses) sind in „The Edge Of The Switchblade“ dabei, Rise-Against-Frontmann Tim McIlrath in „Black Boots“ und Vernon Reid von Living Colour in „Can’t Be Found“.
Unterm Strich ist „Heavy Lifting“ aber ein Soloalbum Kramers unter dem Namen MC5. Wobei ab und an der Geist der Motor-City-Rock-Größen durchblitzt – wie im eröffnenden Titelsong oder in „Twenty-Five Miles“. Was nicht heißen soll, dies sei ein enttäuschendes Album. Ganz und gar nicht. Der edle Mix aus Rock, Funk und Blues ist hörenswert.
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