Kunstecke / Neues Museum für abstrakte Kunst
Es gibt auch noch gute Nachrichten: Seit dem 23. Juni zählt Wiesbaden ein neues Museum. Mit dem Museum Reinhard Ernst (MRE) erhält die Privatsammlung Ernst ein neues Zuhause, die Stadt ein wahres architektonisches Prunkstück und die Kunstfreunde einen Ort, in dem die Weltsprache „Abstraktion“ gebührend gefeiert werden darf. Vor 20 Jahren ist Baden-Baden ähnliches mit der Eröffnung des Museums Frieder Burda widerfahren. Beide sind Bereicherungen dank der Stiftung privater Kunstsammler – und sind von Luxemburg aus leicht zu erreichen.
Wird seit der Corona-Pandemie allgemein in öffentlichen und privaten Museen über stagnierende Besucherzahlen geklagt, so ist die Eröffnung eines neuen Museums bei zaghafter Reprise der Besucherzahlen in den letzten Monaten umso erfreulicher. Sie ist ein gutes Omen für eine bessere Zukunft. Die Sammlung und Stiftung von Reinhard Ernst, einem erfolgreichen deutschen Industriellen, sind seit vielen Jahren bekannt, doch der Kunstfreund mochte seine Leidenschaft für bildende Kunst nicht allein im stillen Kämmerlein genießen, ihm war daran gelegen, seine Kunstwerke nicht nur zu besitzen, sondern sie „einem großen Publikum zugänglich zu machen“.
Privatstiftung & japanischer Top-Architekt
Er fasste 2016 den Beschluss, der Stadt Wiesbaden einen Deal vorzuschlagen. Seine Stiftung wird ein neues Museumsgebäude auf eigene Kosten (80 Millionen Euro) errichten und die Betriebskosten übernehmen, derweil die Stadt ein entsprechendes Grundstück in bester Lage (Wilhelmstraße 1) mittels eines auf 99 Jahre angelegten Erbpachtvertrags zur Verfügung stellen soll. Die Stadt stimmte zu und der Entwurf des japanischen Museumsarchitekten Fumihiko Maki – dem übrigens nun im Museum eine Sonderexpo gewidmet ist – wurde gleichfalls gutgeheißen. Nach entsprechender Planungs- und Bauzeit wurde dieser weiße „Zuckerwürfel-Bau“ nun in der Prunkallee der hessischen Landeshauptstadt, die außerdem in der Nähe ein ausgezeichnetes Museum unterhält, eröffnet.
Der 17 Tage vor der MRE-Eröffnung im Alter von 95 Jahren verstorbene Maki war ein renommierter Architekt, der Museen in aller Welt (u.a.) gebaut hat, wobei es, wie es im Pressedossier heißt, ihm nicht darum ging, „ein einzigartiges Museumsgebäude“ zu schaffen, sondern „die darin ausgestellte Kunst“ zu feiern. Für den Architekten war das Museum ein „Ort von Gemeinschaft“. Infolgedessen steht das Foyer im Mittelpunkt, ein gläsernes Atrium, und rund um den lichtdurchfluteten Innenhof ergibt sich die Möglichkeit einer zwanglosen Begegnung von Museum und Stadt wie Besuchern, selbst für jene, die sich nur mal umschauen wollen. Architekt Maki hat sogar die Gebäudeachsen der „gegenüberliegenden historischen Bebauung“ in seine Planungen einbezogen. In einem Gespräch zwischen ihm und dem Bauherrn beschrieb er seinen Bau als „schlicht und gleichzeitig mit raffinierter Raumgestaltung, behaglich und gleichzeitig kompromisslos modern“. Neben dem museal genutzten Foyer (hier sind diverse In-situ-Auftragsarbeiten u.a. von E. Chillida, K. Grosse, K.-M. Hartmann, B. Pousttchi, Cl. Walde zu sehen), weist das Gebäude sieben Ausstellungsräume auf. In jedem wird ein „Denkanstoß“ gegeben. Das Haus versteht sich als „Gesamtkunstwerk“.
Auftakt mit „Farbe ist alles“
Mitte Juni 2024 umfasste die Privatsammlung 960 Werke. Die Eröffnungsausstellung präsentiert jene teilweise unter dem Motto „Farbe ist alles“, so sind die rund 60 nun gezeigten Arbeiten folgendermaßen aufgegliedert: „Farbe hoch drei“ (zweidimensionale Kunst); „Malerei maßlos“ (radikale Neuerungen in der Malerei nach 1945); „From Zero to Action“ (Brücke zwischen experimenteller Kunst in Europa und Japan); „Gegen den Strich“ (gegen gängige Erwartungshaltungen); „Zuhause in der Malerei“ (Sicherheit durch Farbe); „The Best Goes On“ (Fragen der Zeit farblich aufgearbeitet). Kuratorin Lea Schäfer rechtfertigt die Wahl neben „der Liebe zur Abstraktion“ des Sammlers mit dem Hinweis, es gebe heute zwei Gemeinsamkeiten der ausgestellten Werke: einmal die Tatsache, dass alle nach 1950 entstanden sind, und zum zweiten, dass diese „einen radikal neuen Umgang mit der Farbe zeigen“. Es geht die Rede davon, dass die Ausstellung den Blick des Zuschauers für „geworfenes Rot, gekrakeltes Blau, zersplittertes Silber, gesickertes Orange und verbranntes Schwarz“ schärfen und dieser gleichzeitig „Walweiß, Kaugummipink und Krokodilgrün“ entdecken soll.
All diese „Denkanstöße“ im Detail auszuloten, würde zu weit führen, auch ist es unmöglich, die Namen der hier vertretenen Künstler und Künstlerinnen alle aufzulisten. Einige wollen wir aber doch erwähnen: Frank Stella, Helen Frankenthaler, Sam Francis, Louis Morris, K.O. Götz, Theodoros Stamos, Pierre Soulages, Hans Hartung, Katharina Grosse, Robert Motherwell, Georges Mathieu, Inoue Yuichi, Simon Hantaï, Günther Ecker, Heinz Mack, Otto Piene, Kazuo Shiraga, Hans Hofmann, Adolph Gottlieb, Richard Diebenkorn, Josef Albers, Lee Krasner, Thomas Scheibitz und Ernst Wilhelm Nay, um nur diese zu nennen, wobei einige dieser Künstlerinnen und Künstler gleich mit mehreren Werken in dieser ersten Schau vertreten sind.
„Experience Colour – Colour Experience“
Es wird selbstredend weitere thematisch deklinierte Ausstellungen mit Arbeiten aus der umfangreichen Sammlung geben. Diese umfasst neben den bereits bekannten Namen u.a. auch Koryphäen wie Karel Appel, Serge Poliakoff, Emil Schumacher, Antoni Tàpies, Mark Tobey oder Wols. Prof. Dr. Christoph, unabhängiger Gutachter der Sammlung, bestätigte bereits 2017 der Ernst-Sammlung ihre „internationale Ausrichtung in der Berücksichtigung aller wichtigen Künstlergruppen und in der umfassenden Breite und Qualität, in der die unterschiedlichen Tendenzen und Strömungen informeller und gestisch-abstrakter Kunst nach 1945 dokumentiert sind“. Reinhard Ernst hat neben markanten Künstlern, die seinem Anliegen „Abenteuer Abstrakte Kunst“ entsprachen, hier und da auch echte Vorlieben für bestimmte Künstlerinnen und Künstler entwickelt, etwa für die Amerikanerin Helen Frankenthaler, die mit 45 Arbeiten präsent ist, oder Hubert Berke, von dem Ernst über 80 Gemälde, Plastiken und Gouachen besitzt. Liegen die Schwerpunkte auf der Kunst der Nachkriegszeit, die bis in die Gegenwart reicht, so möchte Reinhard Ernst diese bis ins Zeitgenössische vervollständigen.
Das unter der Leitung von Dr. Oliver Kornhoff stehende Museum Reinhard Ernst versteht sich „als ein internationales Kompetenzzentrum für abstrakte Kunst“. Der Gründungsdirektor sieht Kunst und Kultur als „Bindemittel“, das unsere Gesellschaft zusammenhält: „Museum building is community building.“ Eine spannende und wegweisende Devise!
Die Gründung dieses Museums ist der Reinhard & Sonja Ernst Stiftung zu verdanken. Diese fördert Projekte im Sinne des besagten Ehepaares – Initiativen, „die der Gemeinschaft dienen“. Ein Teil des Stiftungsvermögens besteht aus „Baudenkmälern“, die extern verwaltet, jedoch von der Stiftung betreut werden. Zum Unternehmer Reinhard Ernst wäre noch viel zu sagen, deswegen weisen wir abschließend darauf hin, dass er seinem Leitmotiv „Die Kunst gehört allen“ in einem in Buchform erschienenen Gespräch mit Peter Lückemeier und Stefan Schröder auf eindringliche Weise Nachdruck verleiht. Es ist „ein Plädoyer für eine individuelle und intuitive Herangehensweise an abstrakte Kunst“.
Anfahrt und Buchtipp
Museum Reinhard Ernst (Wilhelmstraße 1, 65185 Wiesbaden), weitere Informationen unter
museum-re.de
„Die Kunst gehört uns allen“, Reinhard Ernst, 20 Euro
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