Lust zu lesen / Neues vom Buchmarkt: „Der dünne Mann“ und „Kafkas Reise durch die buckelige Welt“
Der Kampa Verlag legt Dashiell Hammetts ikonischen Krimi „Dünner Mann“ neu auf, der Autor Bernhard Setzwein schickt den totgeglaubten Schriftsteller Franz Kafka auf Reisen. Zwei Buchempfehlungen.
Dashiell Hammett: „Dünner Mann“ (Neuauflage)
Mit einem Drink am Morgen, Aperitif vor, mitten und nach jeder Mahlzeit, sowie ein Schlückchen als Betthupferl und Spannungslöser, wenn’s mit dem Durchschlafen nicht so recht klappen will, ist Nick Charles vor allem eines: Vollbild-Alkoholiker. Und Nora, seine wohlhabende Gattin, steht ihm in Sachen Trinkgewohnheiten kaum nach.
Zehn Jahre und vier Filme später füllt sich der Ex-Privatdetektiv Cidre (eine Art Apfelsaft) in den Flachmann, aber so weit war man 1934, als die erste Produktion der Kriminalfilmserie des Hollywood-Studios MGM in die Kinos kam, noch lange nicht. Der Kampa-Verlag hat Dashiell Hammetts (1884-1961) Roman „Der dünne Mann“ wieder aufgelegt. Das berühmte Werk (welches im selben Jahr wie seine Kinoversion publiziert wurde!) zu lesen, anstatt es als Verfilmung anzuschauen, die immer mal wieder in Vorabendprogrammen der Fernsehanstalten über die Bildschirme flimmerte, zeitigt überraschende Erkenntnisse.
Etwa, dass das Verhältnis zwischen Nick und Nora tatsächlich so locker vom Hocker beschrieben ist wie für die Leinwandadaption inszeniert. Oder der Vermisstenfall um besagten „dünnen Mann“, um den sich Nick auf Drängen Noras kümmert, auch im Buch ziemlich verwickelt daherkommt, was dann aber auch egal ist. Denn es geht bei Hammetts Roman zuvorderst um Atmosphäre, und nur am Rande um die Aufklärung eines Verbrechens.
Nachwehen und Katastrophe
Bei der Ansammlung von exzentrischen Tagedieben, die sich schon morgens zum Umtrunk in mondänen New Yorker Hotel-Suiten verabreden, um alberne Witze zu reißen, könnte man darauf schließen, dass es dem Autor seinerzeit um Kritik an der Lebensweise der oberen Zehntausend ging. Allerdings gibt es für diese Annahme im „dünnen Mann“ zu wenige triftige Anhaltspunkte. Nein, was hier entworfen wird, sind die Nachwehen der wilden, geradezu offensiv optimistischen Zwanziger Jahre, die mit dem Börsenkrach von 1929 zu Ende gingen, und welcher nicht nur die USA für fast zehn Jahre auf eine wirtschaftliche Talfahrt und letztlich in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges führte.
Vor diesem Hintergrund könnte man die Atmosphäre, um die sich der Autor in seinem Roman bemüht, als Katerstimmung bezeichnen, und läge damit wohl richtig. Der Kampa-Verlag hat übrigens von Hammett auch den erstmals 1930 veröffentlichten Kriminalroman „Der Malteser Falke“ neu aufgelegt, der mehr noch als „Der dünne Mann“ geradezu stilprägend für ein ganzes Literaturgenre geworden ist.
Dashiell Hammett: „Der dünne Mann“. Kampa Verlag, Zürich 2023. 288 S. 24,00 Euro, ISBN 978 3 311 12037 7
Dashiell Hammett
Samuel Dashiell Hammett (1894-1961) war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der auch unter dem Pseudonym Peter Collinson Werke veröffentlichte. Hammett gilt als Mitbegründer des amerikanischen Kriminalromans. Nach seinem Tod wurde er zum Namensgeber des spanischen „Premio Hammetts“ und des nordamerikanischen „Hammett Prize“, Preise für Kriminalliteratur.
Bernhard Setzwein: „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“
Wir stellen uns vor: Franz Kafka verstarb 1924 nicht an den Folgen seiner Tuberkulose-Erkrankung. Stattdessen hat er sich nur tot gestellt, um an abgelegenem Ort und von der Welt unbemerkt ein beschauliches Dasein zu leben.
Nun ist das pittoreske Meran in der Schweiz alles andere als abgelegen! Ansonsten stimmen die Rahmenbedingungen unserer Was-wäre-wenn-Hypothese mit dem überein, was uns Bernhard Setzwein mit seinem Roman „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ weiß machen will. Der „Doktor“ hat sich im besagten Meran Undercover eine bescheidene Existenz als „Billetier“, also Kartenabreißer und Aufpasser in einem kleinen Kino aufgebaut. Er wohnt möbliert, meidet nähere Kontakte zu seiner Umwelt, die jungen Leute, die er gelegentlich auch unentgeltlich ins Kino Apollo lässt (weil er nur zu gut versteht, wie arme Filmbegeisterte ticken) wissen, dass er Franz mit Vornamen heißt. Aber das ist auch schon das Maximum an Informationen, das er zulässt. Warum? Und hier wird es interessant! Wittern gewiefte Leserinnen und Leser doch gerade an dem Punkt den Ursprung, weshalb überhaupt die Erzählung vom Autor in die Welt gesetzt wurde?
Kleiner Exkurs: Generationen an Germanisten haben versucht, Franz Kafkas Leben mit seinem Werk in Einklang zu bringen. Dass der Autor, der zu seinen Lebzeiten allenfalls einer kleinen, eingeschworenen Gemeinde ein Begriff war, mindestens verschroben gewesen sein musste, um sich Geschichten wie „Die Verwandlung“ ausdenken zu können (in der ein Mann eines Morgens als riesengroßes Ungeziefer in seinem Bett aufwacht), war über Jahrzehnte Common Sense. Da konnte der Einwand des Zeitzeugen Max Brod, Kafka hätte beim Vorlesen seiner Arbeiten lauthals gelacht und wäre auch sonst ein recht geselliger Mensch gewesen, nur störend wirken. Mittlerweile ist die Kafka-Forschung aber so weit, dass Brods Beobachtungen viel realer eingeschätzt werden. Aber hartnäckig halten sich Mutmaßungen, welche mehr oder weniger immer dieselbe Gleichung – verquere Texte = depressiver und sexuell gehemmter Autor – aufmachen. Weshalb sich nun die Frage anschließt, wo sich in diesem Feld der Autor Bernhard Setzwein mit seinem Kafka-Roman einreiht.
Die Gedanken sind frei
Sowohl als auch, möchte man nach der Lektüre meinen. Denn einerseits wird in „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ der Protagonist als menschenscheu beschrieben, den seine Umwelt als Sonderling wahrnimmt. Andererseits taucht in Meran um das Jahr 1960 wie aus dem Nichts der Literat und Tausendsassa Marek Hłasko im Leben des siebenundsiebzig-jährigen Kafka auf. Es bleibt rätselhaft, wie Bernhard Setzwein auf diesen Schriftsteller gekommen ist, der in den Fünfziger und Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffentlichte, aber außerhalb seiner Heimat Polen mittlerweile kaum noch bekannt sein dürfte. Mit ihm wird Kafka in einem geklauten Kleintransporter der Marke Fiat Ollearo von Meran nach Graz, dann durch die bucklige Welt (einem Landstrich in Niederösterreich) bis nach Wien und München fahren und allerlei Abenteuer erleben. Was sicher ist: Setzwein hat seine Hłasko-Figur komplementär zu der Kafkas angelegt. Und wenn Marek zum Ende hin seinem Freund „dabei sind wir doch so gut wie einer, was Franciszek?“ zuruft, unterstreicht dies sozusagen die Anlage des Romans als eine diskursive Form von Dialog, in dem beinahe alles erlaubt ist. Denn, wie wir alle wissen: Die Gedanken, sie sind frei!
Realität mischt sich da mit Fiktion, Vergangenes mit Unmöglichem und mit Bleibendem. Während ihrer ruckeligen Fahrt übers Land wird über Literatur gefachsimpelt, über ihren Zweck, ihr Wesen. Man zitiert, paraphrasiert, fantasiert, düpiert, bleibt nicht zu zweit, sondern wird mehrere. In barockem Dusel steigen die beiden auf „zu den Regionen wärmsten Mitmenschentums und verloren sich in ein vielleicht ja doch Nimmerwiedersehen“. Wobei man sich als Leser unwillkürlich fragt, wann man das letzte Mal seine Kafka-Gesamtausgabe in Händen hielt. Und nimmt sich vor, antiquarisch nach Büchern von Marek Hłasko Ausschau zu halten.
Bernhard Setzwein: „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“. Edition Lichtung, Viechtach 2024. 304 S. 25,00 Euro, ISBN 978-3-941306-64-6
Bernhard Setzwein
Bernhard Setzwein ist gebürtiger Münchner und studierte Germanistik. Er ist der Autor von Lyrikbänden, Essays, Reisefeuilletons und Romanen sowie von Theaterstücken und Radio-Features. Einer seiner Schwerpunkte: der mitteleuropäische Kulturraum. Setzwein wurde unter anderem mit dem Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ausgezeichnet.
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