Bayreuther Festspiele 2024 (1/2) / Neuinszenierung von Tristan und Isolde: Im Garten der Erinnerungen
Nach dem sogenannten „Reserve-Tristan“ aus den Jahren 2022 und 2023 stand nun die Neuinszenierung von Wagners richtungsweisendem Meisterwerk durch den isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson im Mittelpunkt der diesjährigen Bayreuther Festspiele.
Die Premiere am 25. Juli löste jedoch keine Begeisterung aus, was vielleicht auch an dem geladenen Premierenpublikum gelegen haben mag, das in erster Linie wegen des Events und nicht wegen des Werkes kommt. Jeder weiß, die richtigen Kenner kommen erst nach der Premierenzeit. Trotzdem, so wenig Applaus habe ich selten nach einer Bayreuther Aufführung erlebt. Und das erstaunte, denn Arnarssons Inszenierung bietet sehr interessante und konsequent ausgearbeitete Ansätze.
Ein Team, das sich noch finden muss
In ausdrucksstarken Bühnenbildern mit viel psychoanalytischem Inhalt zeichnet Arnarsson das Bild einer schwer depressiven und in jedem Moment suizidalen Tristan-Figur, die permanent um sich selbst kreist. Und wie das bei Depressiven so ist, kreisen auch die Personen ihres Umfelds ständig um „ihren“ Kranken und bleiben trotz aller guten Vorsätze doch handlungsunfähig. Das arbeitet Arnarsson doch sehr deutlich heraus und gibt der gefährlichen Statik des Werkes somit eine logische innere Erklärung. Die Bühne spricht für sich und zeigt dem Zuschauer in allen drei Akten surrealistische Seelenbilder. So ist der zweite Akt ein Garten der Erinnerungen von Tristan und Isolde, ein Symbol für eine reale Welt, die beide hinter sich gelassen haben, Tristan aus Todessehnsucht, Isolde aus Liebe. Und nicht der Liebestrank, sondern der Todestrank steht im Mittelpunkt und dessen Einnahme führt dann auch schließlich zu Tristans Tod.
Andreas Schager zeichnet diesen beziehungsunfähigen, in sich gefangenen Tristan mit großer Überzeugungskraft und bietet gesanglich eine überragende Leistung. Leider führt ein Verschlucker am Schluss der Sterbeszene im dritten Akt zu einigen stimmlichen Einbrüchen, was der Gesamtleistung allerdings keinen Abbruch tut. Etwas schwer tut sich Camilla Nylund als Isolde, deren wundervoller, leuchtender Sopran kaum gegen Schagers gewaltigen Tenor ankommt und auch sonst wenig Durchschlagskraft besitzt. Trotzdem ist ihr Gesang von großer Schönheit und starken lyrischen Momenten geprägt.
Dass in dieser Premierenvorstellung nicht aller rund lief, ist auch dem etwas zögerlichen und unausgewogenen Dirigat von Semyon Bychkov anzulasten. Seine langsamen Tempi führen innerhalb des Orchesters zu Ungenauigkeiten und auch die Sänger werden immer wieder aus dem Gleichgewicht gebracht. Besonders darunter zu leiden hat Günther Groissböck als König Marke, der seinen edlen Bass diesmal nicht so recht ins Feld führen kann. Insgesamt schwach bleibt die vibratostarke Brangäne von Christa Meyer, während Arnarssons Landsmann Olafur Sigurdarson einen engagierten und stimmpotenten Kurwenal singt, dem es lediglich etwas an Belcanto fehlt. Kein Zweifel, hier hat man ein Weltklasse-Ensemble versammelt, das sich allerdings noch finden muss. Ein Sonderlob verdienen Vylautas Narbutas (Bühnenbild), Sibylle Wallum (Kostüme) und Sascha Zauner (Licht).
Hommage an Stephen Gould
Die beliebteste Produktion der Bayreuther Festspiele ist seit ihrer Premiere 2019 der Tannhäuser von Tobias Kratzer, an dem man sich nicht sattsehen und von dem man einfach nicht genug bekommen kann. Kratzer lotet in seinem „Roadmovie“ das Werk bis ins Extreme aus und verbindet auf kongeniale Weise wunderbar leichten und erfrischenden Humor mit tiefster Tragik und Trauer. So gut können eine moderne Inszenierung und Regietheater sein! Zum Schluss der Premierenvorstellung gab es tosenden Beifall und Standing Ovations für alle Mitwirkenden.
Kratzer erwies sich auch in diesem Jahr als anpassungsfähiger Regisseur. So baut er im Videofilm der Ouvertüre ein Bild des im September verstorbenen Tenors Stephen Gould ein, der ja der ursprüngliche Tannhäuser-Sänger dieser Produktion war und schon im letzten Jahr nicht mehr auftreten konnte, was zu spontanem Applaus im Saal führt. Ein ergreifender Moment und eine Hommage an diesen „Iron Man“ der Bayreuther Festspiele. Zudem gibt es einen Seitenhieb für Kulturministerin Claudia Roth, die ja gefordert hat, dass man auch Humperdinck im Festspielhaus spielen sollte. Hier ließ Kratzer kurzerhand ein Plakat, Dr. Claudias Puppentheater: Hänsel und Gretel, an die Blockhütte des Märchenwaldes im ersten Akt anbringen.
Sängerisch wurde Weltklasse geboten. Allen voran Klaus Florian Vogt in der Titelpartie, der den Tannhäuser unangestrengt und wie immer mit wunderschöner Stimme sang. Markus Eiche war ein großartig-intensiver Wolfram, während Elisabeth Teige als Elisabeth das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. Gelungen das Debüt von Irene Roberts als Venus, wenngleich ihre sonst herrliche Stimme einige unschöne Vibrati aufzeigt. Groissböck sang einen überzeugenden Landgrafen, Olafur Sigurdarson einen stimmgewaltigen Biterolf und der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo machte als Walther von der Vogelweide mit fein geführter und stilistisch perfekter Stimmführung auf sich aufmerksam. Nathalie Stutzmann am Pult des Festspielorchesters war Garant für eine ebenso dynamische wie klangschöne und sängerfeundliche Orchesterarbeit.
Scheibs Öko-Parsifal im zweiten Jahr
Natürlich ist der Chor der Bayreuther Festspiele legendär. Sowohl im Tannhäuser als auch im folgenden Parsifal konnte er unter der Leitung von Eberhard Friedrich wie eigentlich in jedem Jahr seine absolute Klasse unter Beweis stellen. Jay Scheibs Parsifal handelt von der Ausbeutung der Erde durch den Menschen. Der Gral steht hier für Edelmetalle wie Kobalt und Lithium, die in unserer modernen Welt nicht mehr wegzudenken sind. Zum Schluss ist bei Scheib die Erde zerstört, Pflanzen sind tot, das Wasser verseucht und die Maschinen laufen nicht mehr. Parsifal erlöst die Gralsgemeinschaft, zerstört den kobaltblauen Gral und gibt zumindest Hoffnung auf eine andere, bessere Zukunft.
Die Inszenierung bleibt relativ klassisch und bewegt sich in ansprechenden, stimmigen Bühnenbildern. Verschiedene Ideen und Ansätze, wie beispielsweise die doppelte Kundry, sind nicht unbedingt nachvollziehbar, vor allem haben sie wenig Impakt auf die dramatische Erzählung an sich. Der schon im letzten Jahr gefeierte Dirigent Pablo Heras-Casado überzeugte mich in diesem Jahr nicht so. Seine forschen, aber stimmigen Tempi passten hervorragend zu den ersten beiden Akten; danach begann er allerdings im dritten Akt die Musik zu zerdehnen, was dann zu erheblichen Spannungsabfällen führte, mit denen auch Derek Walton als Amfortas am Schluss zu kämpfen hatte.
Wunderbar dagegen Tobias Kehrer in der kleinen Rolle des Titurel. Jordan Shanahan sang einen tollen Klingsor und ich kann mir diesen Sänger auch sehr gut, wenn nicht noch besser in der Rolle des Amfortas vorstellen. Ekatarina Gubanova war wie immer eine herausragende Kundry mit einer volltönenden und schönen Stimme. Publikumsliebling Georg Zeppenfeld ist wohl der weltbeste Gurnemanz, seine biegsame, baritonale Bass-Stimme reagiert äußerst flexibel und hält seinen Vortrag textverständlich und schlank. Andreas Schager ist kein Sänger, der auf Sparflamme singt. Er gibt in jeder Vorstellung 120 Prozent. Bei Tristan ging Schager über Grenzen hinaus und auch sein Parsifal ist von einer ungeheuren Intensität und Kraft. Daneben gelingt es ihm immer wieder, sehr zarte Momente in seinen Vortrag einzubringen. Auch an diesem Abend zeigte sich das Premierenpublikum begeistert und sparte nicht mit Applaus und lautstarkem Jubel.
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