Coldplay veröffentlichen Doppelalbum / Öde Mystik und aufgeblähte Gutmenschenrhetorik
Coldplays letzte drei Platten waren so schlecht, dass die Fachpresse nun „Everyday Life“, eine unterdurchschnittliche, zusammenhanglose Songsammlung, als „Rückkehr zur Form“ feiert. In Wahrheit plätschern die 52 Minuten dieser als Doppelalbum vermarkteten Mogelpackung dahin wie Fahrstuhlmusik. Dabei war Brian Eno diesmal nicht als Produzent dabei.
Vor kurzem gab Chris Martin bekannt, Coldplay würden mit ihrem neuen Album nicht auf Tour gehen, um die Umwelt zu schützen. Dass Martin nun auf den Greta-Thunberg-Bandwagon springt, wird zumindest die luxemburgische Fangemeinde dem Briten nicht abkaufen: Im Sommer wurde der Sänger via Privatjet zum Rammstein-Konzert eingeflogen, um sich die Pyro-Metaller anzusehen.
Diese aufgeblähte Gutmenschenrhetorik kennzeichnet die Band seit jeher. Genauso protzig wie Martins Weltverbesserungsphilosophie fällt auch die Vermarktung von „Everyday Life“ aus: Hier werden knapp 52 Minuten Musik großspurig als Doppelalbum vermarktet (womit Coldplay wenigstens in einem Bereich Rekordhalter sein werden: Sie haben das wohl kürzeste Doppelalbum der rezenten Popgeschichte geschrieben).
Dabei ist die erste Hälfte des Albums mit verzichtbaren Intermezzi („WOTW/POTP“), banalem Intro („Sunrise“) und belanglosem Outro („When I Need A Friend“) gestreckt, die zweite Hälfte beinhaltet eine Reihe von teilweise interessanten, jedoch unausgegorenen Entwürfen, die lediglich die Anzahl der Tracks, nicht jedoch die Länge, geschweige denn die Relevanz der Platte erhöhen.
Stilistisch gesehen wollen Coldplay hier so experimentell wie nie sein. Dieser angestrengte Eklektizismus machte bereits die ersten beiden Single-Auskopplungen aus: Mit „Orphans“ hat die Band ein Geflüchteten-Musical für Disney-Fans mit Safari-Exotik und Kinderchören geschrieben, man wartet nur darauf, dass der König der Löwen irgendwo im Hintergrund raunt.
Das in der Fachpresse gefeierte „Arabesque“ ist tatsächlich eines der Highlights dieser durch und durch schwachen Platte, die Aufwertung des Tracks durch Saxofone und den Gastauftritt von Stromae, der die uninspirierten Texte von Martin uninspiriert ins Französische überträgt, wirken allerdings bemüht.
Daneben bieten Coldplay einen überflüssigen Gospel-Song („BrokEn“), einen austauschbaren Blues („Guns“), belanglose Kirchenmusik („When I Need A Friend“), gut gemeinten R’n’B mit Honkey-Tonk-Klavier („Cry Cry Cry“) und die (un)verzichtbaren Balladen („Daddy“, das titelgebende „Everyday Life“).
Die Platte klingt so, als hätte die Band im Proberaum verschiedene Musikgenres angespielt und die so entstandenen Ergüsse ohne Rücksicht auf Qualität und Songwriting sofort auf die Scheibe gepresst.
Auch textlich gesehen geht hier nicht viel, Chris Martin, dessen Stimme sich immer mehr der von Bono annähert, dichtet weiterhin wirre Klischees. So verdichtet „Guns“ Coldplays textliche Belanglosigkeit perfekt. Der Song will die Waffenindustrie kritisieren und geopolitische Spannungen thematisieren („All the kids make pistols/With their fingers and their thumbs“), weil bei Coldplay aber jeder Song auch ein Liebeslied sein muss, wird im Chorus dann trotzdem noch eine romantische Komponente hineingedichtet („Everything’s gone so crazy/Everyone but you“).
Die mystische Ära, in die Chris(t) Martin sich hüllt und dank deren er sich als Weltverbesserer mit Jesus-Komplex darstellt, manifestiert sich hier bis in die Songtitel. Diese textliche und musikalische Esoterik passt zwar zu einer Platte, die Indiepop, World Music, Gospel, Blues und viel Kitsch zusammenwürfelt, trägt im Endeffekt aber dazu bei, dass hier alles schwülstig und aufgesetzt konzeptuell wirkt: Coldplay klingen auf „Everyday Life“ wie eine Band, die so viele Zutaten wie möglich in den Topf wirft und so hofft, dass für jeden etwas dabei ist. Schrecklich mies ist das fast nie (neben dem bereits erwähnten „Arabesque“ kann man das wirklich tolle „Trouble In Town“ lobend hervorheben), angesichts der unterdurchschnittlichen Qualität der Tracks schonen Coldplay dank der abgesagten Tour nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Ohren.
Bewertung: 3/10
Brauchbare Songs: Arabesque, Trouble in Town
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Es ist traurig, wie eine so ehemals erfolgreiche Band sich selbst zerstört. Die Zeiten mit Yellow, Fix you – als sie noch fürchteten kleine Stadien voll zu bekommen, haben sie völlig verdrängt.
Fiebi