Filmwissen / „Parallax View“, oder: der Verschwörungsfilm
Verschwörungstheorien sind nicht nur fest in der Gesellschaft, sondern auch im Film verankert. Ein Paradebeispiel ist „Parallax View“ aus den 1970er Jahren – ein Film, der durch das Attentat auf Donald Trump aktueller ist denn je.
Das Attentat auf Donald Trump, den ehemaligen US-Präsidenten und erneuten Anwärter auf den Chefsessel im Weißen Haus, hat in Windeseile Verschwörungstheorien befeuert: Von einem aus dem Lager der Demokraten geplanten Anschlag war etwa die Rede. Verschwörungsszenarien im Film haben eine lange Tradition, wohl kaum aber ein Film hat die Anspannung der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Attentat auf den Präsidenten J.F. Kennedy so präzise getroffen, wie Alan J. Pakulas „The Parallax View“ von 1971, der sich für das Genre als überaus prägend erwies.
Mit der New Hollywood-Bewegung war im amerikanischen Kino der Sechziger- und Siebzigerjahre ein Modernisierungsschub angebrochen, der unter anderem sehr erfolgreiche Filme für ein jüngeres Publikum bot und ferner den Realitäten des Landes auf auffällige Weise Rechnung trug und so auch ganz zeitnah auf gesellschaftliche und politische Umbrüche reagierte. Die meisten Post-Watergate-Filme etwa sind von einem Verlust an Vertrauen und Glauben geprägt und einem Gefühl der Desillusionierung, wo niemand mehr an irgendetwas wahrhaftig festhalten will. Die Filme der zweiten Hälfte der 1970er Jahre beschreiben eine Bewegung der Verschlossenheit und des Rückzugs. Jeder schirmt sich vor einer Welt ab, die unlesbar und unverständlich geworden ist, und es entstehen in der Folge paranoide Filme, in denen sich jeder in private Blasen zurückzieht, sich abkapselt von der Außenwelt und kommunikative Wege zunehmend gekappt werden.
Vietnam, Watergate, Kennedy
Francis Ford Coppolas „The Conversation“ (1974) über eine Abhöraktion, die zum grundlegenden Zweifel an der auditiven Wahrnehmung wird, ist da ein bekanntes Beispiel, oder noch Sydney Pollacks „Three Days of the Condor“ (1975) um einen CIA-Angestellten, der sich mit der Analyse von Hinweisen auf Spionageaktivitäten und geheimen Operationen beschäftigt und dabei selbst immer mehr in eine Falle tappt. „The Marathon Man“ (1976) von John Schlesinger erzählt von einem leidenschaftlichen Marathonläufer aus New York, dessen Leben eine dramatische Wendung nimmt, als er unwissentlich in eine Verschwörung verwickelt wird, die ihn mit dem ehemaligen Nazi-Arzt Christian Szell in Verbindung bringt. All diese Filme sprechen letztlich von der tiefen Verunsicherung der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich in einem Klima der allumfassenden Anspannung der Sechziger- und Siebzigerjahre befindet – eine Zeit, die sich vornehmlich aus einem Bezugsgeflecht aus Vietnamkrieg, dem Watergate-Skandal und dem Attentat auf den Präsidenten J.F. Kennedy konstituierte.
Alan J. Pakulas Film „The Parallax View“ ist ein Politthriller aus dem Jahr 1971, der gemeinsam mit „Klute“ (1971) und dem bekannten Film, der sich die Watergate-Affäre direkt zum Thema nahm, „All The President’s Men“ (1976), eine inhaltlich kohärente Filmtrilogie der Paranoia ausbildet. Gerade dieser Film, der sich im Kontext des New Hollywood mit dem angespannten politischen Klima der Vereinigten Staaten inmitten dieser politischen Unruhen sehr kritisch und gegenwartsbezogen auseinandersetzte, wurde prägend für das Genre. Seine Unmittelbarkeit ist derart beunruhigend, dass man tatsächlich von einer Bildwerdung des politischen Zeitgeistes sprechen möchte. Der Film basiert auf einem Drehbuch von David Giler und setzt sein Unbehagen über eine spannende Erzähltechnik frei, die eine kritische Auseinandersetzung mit Themen der Verschwörung und Macht ausbildete, die man so im US-amerikanischen Kino bis dahin noch nicht gesehen hatte.
Die Geschichte folgt dem Journalisten Joe Frady, gespielt von Warren Beatty, der, nachdem er Zeuge eines Attentats auf einen Präsidentschaftskandidaten wird, in die Machenschaften einer geheimen Organisation, die sich „The Parallax View“ nennt, verwickelt wird. Als Frady versucht, die Wahrheit hinter dem Attentat und der Organisation aufzudecken, gerät er in ein Netz aus Gefahren. Je tiefer er in die Intrige eintaucht, desto weniger gelingt es ihm, die Wahrheit hinter alldem zu destillieren. Es sterben immer weitere Zeugen des Attentats, die Fradys Recherchedrang nur weiter anfeuern; der Verschwörungskomplex aus Politik, Wirtschaft und Justiz steht aber wie eine undurchlässige Wand, die den Zugang zur Wahrheit versperrt. Geklammert wird der Film von zwei politischen Morden – beide Szenen sind sehr direkte Verweise auf die erschütternden Bilder des Kennedy-Attentats, die durch den Zapruder-Film weltweiten Bekanntheitsgrad erlangten. Auch weisen sie auf weitere politisch motivierte Gewalttaten, etwa auf die Ermordung Martin Luther Kings oder Robert Kennedys, hin.
Misstrauen
In einer berühmt gewordenen Szene setzt sich Frady als Proband einem manipulativen Lehrfilm aus, um der Organisation näherzukommen. In die Kinosituation aus dunklem Raum und Bildprojektion hineingeworfen, wird auch das Publikum plötzlich Teil einer filmischen Manipulation: Zu sehen sind zunächst Texttafeln mit entsprechenden Bildillustrationen: „Mother“, „Father“, „Love“, „Country“ und „Me“. Sie werden verknüpft mit idealtypischen Vorstellungsbildern, aber die Relation aus Wort- und Bildzeichen gerät in einer immer dichter werdenden Schnittfrequenz auseinander und lässt sich immer neu zusammenfügen, neue manipulative Bedeutungsebenen schaffend, die sich mit Aufnahmen des Weißen Hauses und des Oval Office verbinden und politische Bezüge herstellen. Der merkwürdige Lehrfilm dient letztlich der Ausbildung von politisch motivierten Attentätern. Die Szene ist deshalb so enigmatisch wie aufschlussreich, weil sie den Wahrheitsgehalt der Bilder in Zweifel zieht, die Montage als bearbeitendes Stilprinzip infrage stellt. Die Paranoia von „The Parallax View“ umfasst so nicht nur das Erzählte, sie weist über die eigenen filmischen Dimensionen hinaus: Dem Filmbild selbst kann man keinen Glauben mehr schenken.
Paranoia in Filmsprache
Dieses Gefühl einer tiefgreifenden Skepsis übersetzt Pakula in seiner erzählerischen Form: „The Parallax View“ lässt ellipsenhafte Sprünge in der Filmhandlung immer wieder zu, um die Gesamtzusammenhänge des Erzählten zu erschweren, ja zu unterdrücken. Es gelingt einem nur partiell, Handlungssegmente nachzuvollziehen, es wird immer nur der Blick auf einen Teilaspekt der Verschwörung freigegeben, seine allumfassende Dimension aus politisch-ökonomischen Verzweigungen bleibt indes intransparent. Auch in der Bildgestaltung wird dieses Prinzip immer wieder anschaulich: Oft ist Frady in Weitaufnahmen erst nicht direkt zu sehen, man muss ihn – einem Suchbild entsprechend – erst ausfindig machen. Da auch zeigt sich musterhaft, inwiefern das New Hollywood als modernistische Gegenbewegung das klassische Erzählmodell des früheren Studiosystems aushebelte: Nicht Zwang und Notwendigkeit bestimmen das Diktat der Handlung, das Zufällige schleicht sich ein, das indes zu keiner dramatischen Resolution führt.
Im Gegenteil. Der Held dieses Films ist ein ganz tragischer, mit Pakulas nächstem Film, „All The President’s Men“ hat dieser Film wenig gemein. Da wo „All The President’s Men“ die aufklärerische Arbeit der engagierten freien Presse gegen die etablierte Macht feiert, geht „The Parallax View“ den umgekehrten Weg, der in Zynismus und Desillusion endet. Fradys Ermittlungen führen ihn zwar weiter, er glaubt tatsächlich, der geheimen Organisation auf die Spur zu kommen, doch er realisiert nicht, dass er dabei im Begriff ist, dem Konzern in die Falle zu gehen. Er folgt zwei Männern in eine andere Stadt, um einer weiteren politischen Veranstaltung beizuwohnen, bei der er glaubt, die Organisation aus versteckter Position besser beobachten und identifizieren zu können. Doch es kommt alles anders. Ein weiterer Anschlag findet statt, Frady selbst wird als Attentäter inszeniert und erschossen. Darin liegt die ganze Perfidie des Films: Jeder Versuch, die Organisation zu entlarven, wird umgewandelt in deren eigene Schutzmaßnahme. Frady ist als Journalist sowohl Gegenkraft zur etablierten Macht, wie Teil ihrer selbst. Innen und Außen lösen sich auf. Die Paranoia ist allumfassend.
Zapruder-Film
Der Amateurfilmer Abraham Zapruder filmte 1963 zufällig das Attentat auf den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Seine Farbfilmaufnahme wurde zum wichtigen Beweismittel im Zuge der Ermittlungen.
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