Expo „Dis-placed I“ in Esch / Pfad zwischen Optimismus und Untergang
Die Installationen „Oase Nr. 7“ am Escher Rathaus und „Living Dog Among Dead Lions – Agape“ in der Escher Konschthal bilden den Auftakt der Werkschau Dis-placed. Zwei eindrucksvolle Kunstwerke, die eine:n in ihren Bann ziehen.
Eine Menschengruppe hatte sich am vergangenen Samstag in Esch vor dem Rathaus versammelt und blickte erstaunt auf eine futuristisch anmutende Plastikkugel, die wie eine gigantische Seifenblase an der Fassade des Rathauses angebracht ist. Was wie eine Sci-Fi-Filmkulisse aussieht, ist in Wirklichkeit ein Kunstwerk, Bestandteil der Escher Architektur-Biennale und der Ausstellung der Konschthal, Dis-placed. Sie wird in mehreren Etappen stattfinden: Zahlreiche Künstler:innen setzen sich in den nächsten Monaten in ihren Werken mit dem Verlust ihres Zuhauses auseinander.
Sieben Meter achtzig misst die Kugel, die als Kunst am Bau aus dem Escher Rathaus hervorlugt. Für die Halterung wurde auf recyceltes Material gesetzt. Das auf manche wie ein gigantisches Auge wirkende Werk ist monumental und doch fragil: eine grüne Utopie im städtischen Raum.
Christian Mosar, Direktor der Escher Konschthal, setzte in Anwesenheit eines ausgedünnten Schöffenrats (und eines sichtlich stillen Kulturschöffen Pim Knaff) das Werk vor der Escher Gemeinde in den Kontext: „Die Oase Nr. 7 ist ein historisches Werk, das vor 52 Jahren das erste Mal im Rahmen der documenta 5, der großen Gegenwartsausstellung in Kassel gezeigt wurde, und zwar auf der Fassade des Museums Fridericianum. Dies war im 18. Jahrhundert eines der ersten öffentlichen Museen in Europa“, so Mosar. 1972 entwickelte das Kollektiv Haus-Rucker-Co, darunter Günter Zamp Kelp, ein Projekt an einer historischen Fassade, das den radikalen ästhetischen Kontrast betonte.
Mosar kannte das Kunstwerk von einem Schwarz-Weiß-Foto aus einem Architekturgeschichtsbuch. „Oase Nr. 7“ habe ihn von jeher fasziniert, und durch Zufall lernte er über Freunde Günter Zamp kennen. Dieser erklärte sich sofort bereit, eine Neuauflage am Escher Rathaus zu gestalten, als er dessen Fassade sah. Denn das Museum Fridericianum und die Gemeinde in Esch gleichen sich auf verblüffende Weise. „Es ist eine sehr schöne Gelegenheit, diese Neuauflage hier einzuweihen“, sagte Mosar.
Die Oase Nr. 7: Künstlerische und architektonische Metapher
Günter Zamp gestaltete „Oase Nr. 7“ seiner Zeit in einem völlig anderen Kontext: „Es war Vietnam-Krieg, es war aber auch eine Zeit, in der die Illusionen der 1960er etwas verloren gegangen waren.“ Es war eine Zeit des Plastiks, der neuen futuristischen Ästhetiken und genau in diesem Feld bewege sich die Installation.
Von der Wirkung des Werkes erhoffe man sich nichts Geringeres als eine „Mind Expansion“, die Erweiterung der Gedanken. Diese sollte sich nicht nur auf die Kunstschaffenden übertragen, sondern auch auf die Menschen der Stadt selbst. In den 70ern kam es in den Großstädten zur Stadtflucht, Hinwendung zu Natur und Umweltschutz – die Leute wollten raus aus den Städten und suchten das Exotische. Zamp stellte mit seinem Kollektiv Haus Rucker & Co. eine Alternative dar – in der Form einer architektonischen und künstlerischen Metapher.
„Das, was wir hier sehen, ist kein Haus, es ist keine klassische Architektur. Es ist eine Bildmetapher, die eine physische Form angenommen hat. Und das ist die Idee. Es geht darum, zu sagen, bleibt in der Stadt! Man kann die Stadt lebenswert machen. Man kann sie verändern“, so Mosar. Heute sei der Klimawandel das brennende Thema, was wiederum diese Arbeit in einen neuen und spannenden Kontext setze. Die Arbeit von Haus Rucker & Co. habe damit eigentlich keine 52 Jahre – Mosar nennt es „eine Neugeburt in einem vollkommen neuen Kontext“.
Fragiles Zuhause: ein durchweichtes Eigenheim
Das zweite Exponat der aktuellen Ausstellung, „Living Dog Among Dead Lions“ des georgischen Künstlers Vajiko Chachkhiani, kann man derzeit im Erdgeschoss der Konschthal erkunden. Jenes ist ebenfalls eine Neuauflage einer monumentalen Installation, die er 2017 für den georgischen Pavillon auf der Biennale in Venedig geschaffen hat. Es ist eine gigantische bulkonische Holzhütte, wie sie heute noch in ländlichen Regionen Osteuropas zu finden ist. Die Datsche hat der in Berlin wirkende Künstler Chachkhiani an seinem Ursprungsort gekauft und abgebaut, um sie zur Konschthal zu bringen und dort wieder aufzustellen.
Fast wirkt diese Installation wie ein Kommentar auf den verregneten Sommer, denn was einst eine Holzhütte war, ist nun durchnässt – das Innere ist einem ständigen Regen ausgesetzt. Die Gegenstände wie Betten oder der Herd sind ausnahmslos durchweicht. Ein Schutzraum, der von innen durchnässt und verwaist wirkend das beklemmende Gefühl von Verlust und Nostalgie hervorruft.
Der Titel des Werks spielt auf ein tragisches Ereignis an. Im Jahr 2015 überschwemmte eine Sturzflut Teile der Stadt Tbilisi, darunter auch den Zoo. 19 Menschen starben, hunderte Tiere ertranken, darunter auch der weiße Löwe Shumba, der an die Gesellschaft eines Hundes gewöhnt worden war. Bei Zoobesuchen waren die beiden Tiere oft zusammen. Nach der Sturzflut blieb nur der Hund übrig. Blickt man in die Holzhütte, die die Besucher:innen der Konschthal umrunden können, so bleibt der Blick an einem durchnässten Stofftier hängen.
Ich glaube, das hier ist ein Werk, das überzeugen kann dadurch, dass es niemanden gleichgültig lässt. Man mag es nicht, man liebt es, man hasst es, man bewundert es. Alles zusammen gibt es hier, aber eins ist sicher: Man kann nicht daran vorbeigehen und nicht nicht hinschauen.Direktor Konschthal Esch
„Die Installation wird sich in den nächsten sechs Monaten noch weiter verändern“, so der Künstler Chachkhiani anlässlich der Vernissage, denn in dieser Zeit werde es darin auch weiterhin regnen. Auf der Biennale löste diese Installation sehr unterschiedliche Reaktionen aus, erinnerte sich der Künstler. Einige brachen in Tränen aus. Das Holzhaus steht auch für verschwindende Existenzen. Individuelle oder kollektive biografische Elemente finden sich hier als verlorene Echos wieder, die in einer spezifischen Atmosphäre widerhallen.
Auch Chachkhianis Installation wirkt letztlich sehr visuell. Sie setzt bei der Betrachterin den Verlust eines geborgenen Heims in Gang. Das Innen und Außen bilden eine Kulisse und spiegeln den Verlust des Eigenheims wider.
Die Stadt Esch befände sich in einem ständigen Transformationsprozess, erklärte Mosar anlässlich der Eröffnung. Und legte fast beschwörend nach: „Ich glaube, seit dem Jahr 2022, dem Jahr der Kulturhauptstadt, ist diese Transformationsidee auch ein Teil des Kulturlebens geworden.“ Immer wieder entstünden neue Institutionen hier. Sie verändern sich, sie erweitern sich …
Der Direktor der Escher Konschthal ist überzeugt, dass beide Installationen das Publikum berühren werden, zumal sie irritieren. So ist er sich in Bezug auf die Oase Nr.7 sicher: „Ich glaube, das hier ist ein Werk, das überzeugen kann dadurch, dass es niemanden gleichgültig lässt. Man mag es nicht, man liebt es, man hasst es, man bewundert es. Alles zusammen gibt es hier, aber eins ist sicher: Man kann nicht daran vorbeigehen und nicht nicht hinschauen. Das klappt nicht.“
Infos zu „Dis-placed I“
Das Werk „Oase Nr.7“ von Haus-Rucker-Co ist noch bis zum 6. Oktober 2024 an der Fassade des Escher Rathauses zu sehen. Das zweite Exponat von Dis-placed I, „Living Dog Among Dead Lions – Agape“ von Vajiko Chachkhiani, ist derzeit im Erdgeschoss der Escher Konschthal zu sehen.
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