Konzert in den Rotondes / Politischer Punk mit langer Tradition
Als die erste Punk-Explosion in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre schon verklungen war, trat eine neue, radikal politisierte Generation von Bands auf, die ihre anarchistischen Ansichten kundtaten. Ihre bekanntesten Vertreter waren Crass – und in deren Fahrwasser Conflict. Letztere tritt am kommenden Sonntag mit der Luxemburger Punk-Legende Petrograd als Vorband auf.
Der Beginn einer Revolution ist schwer festzulegen. Meistens gibt es Prototypen. Vielleicht kam es zu der Initialzündung einer der bis heute wichtigsten subkulturellen Bewegungen vor 50 Jahren, als der Künstler und Modemacher Malcolm McLaren nach New York reiste und auf die New York Dolls aufmerksam wurde und in ihrem travestieartigen Trash-Style das nötige Potenzial zur Provokation entdeckte. Und er sah die Ramones, nicht nur musikstilistisch, sondern auch durch ihre Texte eine der ersten Punkbands.
Was folgte, ist Popgeschichte: Zurück in England, erschuf MacLaren die Sex Pistols. Unzählige weitere Punkgruppen entstanden, vorneweg Bands wie die Buzzcocks, The Damned und The Clash – nicht zu vergessen die UK Subs. Der US-amerikanische Musikjournalist Greil Marcus begab sich in seinem Buch „Lipstick Traces“ auf kulturhistorische Spurensuche und wurde beim Dadaismus und bei den Situationisten fündig.
Zwar provozierten die Sex Pistols mit ihrem Auftreten und ihren Songs, das Ganze war aber nicht viel mehr als eine unreflektierte Provokation. McLaren ging es vor allem ums Image und nicht um die Substanz. Ein T-Shirt mit Hakenkreuz, wie es Sid Vicious trug, um zu schockieren, oder ein Union Jack, das ein Konterfei der Queen oder von Karl Marx zeigte – alles Politische wurde nur noch auf oberflächliche Zeichen reduziert, und auf Kommerz.
Antwort auf den Rock’n’Roll Swindle
Zwar sang Pistols-Frontmann Johnny Rotten von „Anarchy in the U.K.“, aber nicht als politisches Statement. Eine dezidiert politische Ausrichtung hatte von den bisher genannten Bands nur The Clash. Obwohl sie sich klar links positionierten, landeten auch sie bei einem der großen Plattenlabels, was ihnen manche als Verrat und Ausverkauf auslegten. Die Journalistin Julie Burchill schrieb: „Nach dem ersten markerschütternden Schock, den The Clash vermittelten, sind sie anscheinend mehr auf künstlerischen Anspruch aus, als dass sie sich um ihre Glaubwürdigkeit scheren.“
Während sich die Sex Pistols auflösten, andere wie die Cockney Rejects, Sham 69 und Cock Sparrer statt auf Glam und Schminke auf ihre Verankerung in der Arbeiterklasse pochten und den Oi!-Punk ins Leben riefen, bildete sich um die 1977 gegründeten Crass eine Allianz mit Autonomen und Hausbesetzern. Die miteinander verfeindeten Jugendgruppen waren kaum zu versöhnen. Zwar versuchten die sowohl bei Punks als auch bei Skinheads beliebten Sham 69 mit dem Song „If the kids are united“ beide zusammenzubringen, trotzdem kam es auf ihren Konzerten häufig zu heftigen Schlägereien.
Derweil schlugen Crass einen eigenen Weg ein. Die Heimat der Bandmitglieder wie Penny Rimbaud und der mit ihnen eng verbundenen Künstlerin Gee Vaucher war das „Dial House“, eine Kommune und Bauernhaus im Südwesten von Essex – zugleich ein offener, anarchistisch-pazifistischer Ort für künstlerische und politische Projekte. Der Anarcho-Punk war geboren. Seine Vertreter setzten auf eine konsequente Verweigerung gegenüber den Mechanismen des Musikgeschäfts. Ihre Texte waren radikal anarchistisch, antirassistisch, antisexistisch und antifaschistisch. Crass traten für Pazifismus und Feminismus ein – und für Tierrechte.
In ihren Songs richteten sich die Musiker gegen Atomkraft und gegen die neoliberal ausgerichtete Politik von Margaret Thatcher und Ronald Reagan. „Anarchie ist die einzige Form politischen Denkens, die nicht versucht, das Individuum durch Gewalt zu kontrollieren“, schrieben Crass-Mitglieder in dem Fanzine Flipside im März 1981. Im Gegensatz zu den Sex Pistols hatten sie sich theoretisch mit dem Anarchismus auseinandergesetzt. „Anarchie bedeutet kein wirres Durcheinander, in dem sich jeder selbst der Nächste ist.“ Vor allem letztere Bemerkung bekommt heute, in einer Zeit, in der sogenannte Anarchokapitalisten das Gegenteil von dem behaupten, für das Anarchie traditionell stand, einen besonderen Nachhall.
Bitterer Ernst statt ironisch verspielt
Hatte den Punk der Frühphase noch ein „ironisch verspielter Charakter“ ausgezeichnet, wie der früh verstorbene Journalist und Buchautor Martin Büsser in seinem Buch „On the Wild Side“ konstatierte, ging es den Anarcho-Punks um den bitteren Ernst. Auf der ersten Crass-LP hieß es noch „Punk is dead“. In textlastigen Nummern verarbeiteten Eve Libertine und Steve Ignorance, die sich das Mikro teilten, ihre Themen. Eine bahnbrechende Anarcho-Punk-Platte von Crass war „The Feeding of the Five Thousand“ von 1978. Das Album „Penis Envy“ (1981) dagegen thematisierte die Rolle der Frauen in der Gesellschaft.
Außerdem bildeten sich innerhalb der Punkszene Gruppen wie die Animal Liberation Front (ALF), die unter anderem gegen Tierversuche agitierten. Ihre Philosophie: Eine klare Abgrenzung zwischen Menschen und Tieren bzw. Mensch- und Tierrechten ist nicht möglich. Lange bevor das vegane Label verbreitet war, lehnten die Punks die Nutzung von Tieren als illegitim ab und verzichteten auf Tierprodukte. Aktivisten der Szene sabotierten Jagden, wie Joachim Hiller, Herausgeber des Ox-Fanzines für Punkrock und Hardcore sowie der veganen Zeitschrift „Kochen ohne Knochen“, gegenüber dem Greenpeace-Magazin schilderte: „Die haben vor Ort Rabbatz gemacht.“ Den Soundtrack dazu lieferten die Anarcho-Punks. Auch die Art und Weise, Musik zu produzieren, war anspruchsvoll: vom Collage-Prinzip der Plattencovers bis zu Rhythmuswechseln und Samples in den Songs bis hin zum eigenen Label.
Dem anarchistisch geprägten Milieu entstammte auch die 1981 in einem Vorort von London entstandene Band Conflict. Bezeichnend war vor allem die EP „To a Nation of Animal Lovers“ mit seinem schockierenden Cover von einem Tierversuch. Die Band um den Leadsänger brachte ihre erste EP „The House that Man built“ (1982) auf dem Crass-Label heraus. Der Song C.R.A.S.S. kann als Hommage bezeichnet werden. Auch Conflict prangerten den Missbrauch und die Ausbeutung von Tieren durch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft an, den Kapitalismus und die Aufrüstung. In ihren Booklets verwiesen sie auf Organisationen für Veganer und Vegetarier. Das Thema Tierrechte packten sie in Hardcore-Punk der weniger schonungsvollen Kategorie, wenn es etwa in „Meat still means murder“ heißt: „The Sunday kitchen spills out the stench of the abattoir, the butcher’s blade glistening in the eye of the ‚master‘“.
Seit 1984 produzierten Conflict auf ihrem eigenen Label Motorhate Records. Einige Jahre trat Ex-Crass-Sänger Steve Ignorant mit Conflict auf. Aus dieser Zeit stammt übrigens auch eines meiner unvergesslichsten Konzerterlebnisse, als Conflict Ende der 80er Jahre in der Theaterfabrik von Unterföhring bei München auftraten: ein Konzertsaal voller Punks und eine Band in Bestform. Einige Male endeten Conflict-Konzerte mit Massenschlägereien. Doch dieses Mal war es ein grandioser Massenpogo. Aus persönlicher Sicht war Punk an diesem Abend an einem Zenit angekommen.
Am Sonntag treten Conflict mit Petrograd und Adoptees als Vorbands auf. Petrograd um Steve „Diff“ Differding, 1996 gegründet, haben den Status einer luxemburgischen Punklegende. Die Band hatte schon in ihren Anfangsjahren Konzerte und Tourneen quer durch Europa und ist international hochgeschätzt. Laut dem „Rockbuch“ verzichteten sie auf einen ihnen angebotenen Plattenvertrag bei einem Major-Label. Ihre Songs sind politisch und sozialkritisch. Ideal für einen Auftritt mit Conflict.
Konzert: Am 28. April um 20.30 Uhr in den Rotondes
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