/ „Red Joan“ von Trevor Nunn: Spionage à la Rosamunde Pilcher
In „Red Joan“ versucht eine Frau auf eher unkonventionelle Art und Weise, die Welt zu retten. Es tut nicht nur gut, ihr dabei zuzusehen.
Die Hauptfigur der Joan, die im jungen Alter von Sophie Cookson dargestellt wird und als ältere Frau von Judi Dench, hat ein reelles Vorbild: die 1912 geborene und 2005 verstorbene Britin Melita Stedman Norwood. Sie gilt als eine der wichtigsten Agentinnen (wenn nicht die wichtigste), die je für den großen Bruder gearbeitet haben. Ihr Handeln flog erst auf, als sie schon über 80 war. Norwood wurde nie verurteilt.
Jene geheimen Dokumente, an die sie rankam, da sie als staatliche Sekretärin arbeitete, waren von unschätzbarem Wert. Diese enthielten nämlich Daten zur Atombombenforschung, die in Norwoods Abteilung betrieben wurde. Sie befähigten die Russen, innerhalb eines Jahres eine Kopie der britischen Atombombe zu bauen. Melita Stedman Norwood soll sich wohl gewünscht haben, dass genau wegen dieses eingeleiteten Gleichgewichts an Wissen keine Seite es wagen würde, die Bombe wahrhaftig einzusetzen.
„Period Piece“ in den 40er-Jahren
Der britische Regisseur und ehemalige künstlerische Leiter der Royal Shakespeare Company sowie des Royal National Theatre, Trevor Nunn, konzipierte nun anhand des Drehbuchs von Lindsay Shapero ein sogenanntes „period piece“, welches sich vor allem auf die 40er-Jahre fokussiert, jedoch von Aktualitätsbezügen durchflochten ist. In „Red Joan“ blickt die gealterte Joan nämlich auf ihr früheres Leben zurück. Sie schwelgt nicht etwa in schönen Erinnerungen, sondern befindet sich in einem Verhörraum, in dem ihr vorgeworfen wird, Landesverrat begangen zu haben.
Gegenüber den Beamten wirkt sie abwesend und etwas benommen; Joan ist indes ganz bei sich und reflektiert ihr Handeln erneut. Hätte sie aus heutiger Sicht noch mal das Gleiche getan? Diese Frage steht im Raum. Unter anderem auch, da ihr erwachsener Sohn, der als Anwalt tätig ist, nichts davon wusste, sie mit Fragen löchert und gesteht, dass er nicht sicher ist, ob er sie verteidigen möchte.
Somit beinhaltet die Handlung des Films eigentlich zahlreiche spannende Konflikte. Seien es die damaligen reellen und weiterhin möglichen Kriege, inneres Hadern oder auch den Generationenkonflikt, der sich anbahnt, da weder Joans Sohn noch die Verhörer in ihren Augen begreifen, was es bedeutete, in dieser Situation zu leben und Entscheidungen treffen zu müssen. Jedoch werden in „Red Joan“ genau diese Kontroversen nur oberflächlich angekratzt und lediglich nach einem Schwarz-Weiß-Gut-Böse-Schema abgehandelt. Außerdem wird stellenweise stark von der komplexen Originalgeschichte abgewichen. Und zwar zum Leidwesen des Films.
Bildschöne Kommunisten
Die Liebesgeschichte zwischen der jungen Joan und dem hinzugedichteten, bildschönen und manipulativen Kommunisten Leo (Tom Hughes) nimmt zu viel Raum ein, sorgt für reichlich Geknutsche, Gefummel und Gejammer, lenkt aber mehr ab als dass es einen diskursiven Mehrwert schaffen würde. Des Weiteren klingen der damalige Sexismus und Chauvinismus zwar immer wieder an, werden aber nicht ausgiebig behandelt. Und das obwohl Joan, wie sie es selbst formuliert, eine Frau war, die von jedem unterschätzt wurde, aber letztlich eine enorme Macht hatte, die sie zu nutzen wusste.
Hier wurde leider eine Gelegenheit verpasst, einen potenziell unglaublich ertragreichen Stoff sinnvoll umzusetzen. Das Resultat ist ein etwas überästhetisiertes Spionagedrama, das Spuren von Rosamunde Pilcher enthalten kann. Demnach ist Kitsch-Allergikern dringend vom Konsum abzuraten.
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