Geisterstunde in der Rockhal / Schwedens Nr.-1-Metal-Export feiert eine gebührende Horrormesse
Wer einen dieser momentan wohlbekannten Jahresrückblicke wagt, kann konzerttechnisch auf ein sehr starkes Jahr 2019 zurückblicken: Sido, Seeed, Volbeat, Marc Knopfler und selbstverständlich Rammstein, um nur einige zu nennen. Ein Jahr also, das für jeden Musikfan jeden Geschmacks etwas zu bieten hatte. Auch das sehr erfolgreiche Metal-Jahr 2019 neigt sich so langsam dem wohlverdienten Ende zu und findet mit der Horrormesse der schwedischen Metal-Band „Ghost“ in der Rockhal einen mehr als würdigen Schlusspunkt.
Bevor in diesem Artikel auf diese würdige Horrormesse zurückgeblickt wird, zuerst eine steile These, die sich immer stärker belegen lässt: Die antagonistischen Begriffe Metal-Musik und Kirche liefern eine perfekte Symbiose. Erweitert man sein Blickfeld auf die internationalen Metal-Bands, so findet man neben Ghost auch Powerwolf, Mercyful Fate, Behemoth, Lucifer oder auch dem Ozzy Osbourne der 80er eine Vielzahl an Interpreten, die sich dem sehr schwierigen Verhältnis zwischen kirchlichen Konservatismus und Metal-Musik annehmen und unglaubliche Erfolge feiern, indem sie beide Themenkomplexe miteinander kombinieren, damit spielen und sogenannte, im wahrsten Sinne des Wortes, „Metal-Messen“ zelebrieren.
„Porn Rock“
In der heutigen Gesellschaft gehören solche Bands zu den Headlinern riesiger Festivals oder ausverkaufter Touren. Dies war jedoch nicht immer so und die Ablehnung gegenüber harter Musik nahm gigantische Züge an: 1985 wurde im sehr konservativ geprägten Amerika unter der Anleitung der Ex-Frau Al Gores, Tipper Gore, das PMCR (Parents Music Resource Center) von besorgten Eltern gegründet, die in der Musik eine Gefahr für ihre Kinder sahen.
Betrachtet man nun die sogenannten „Filthy Fifteen“, demnach die 15 Songs, die besonders anstößig waren, so findet man hier neben Madonna, Prince, Vanity und Cyndi Lauper mehrheitlich Rock- und Metal-Bands wie etwa AC/DC, Mötley Crüe, W.A.S.P., Black Sabbath, Mercyful Fate, Judas Priest und Twisted Sister. Zur Last gelegt wurde diesen Bands, Songs zu propagieren, in denen Sex, Gewalt, Drogen- und Alkohol-Missbrauch sowie ein starker Hang zum Okkultismus verherrlicht wird; dieselbe Anklage gilt übrigens auch für die Albumcover der hier genannten Bands.
Während man heute die „Parental Advisory“-Sticker auf vielen Plattencovern bestens kennt, kam es vorher zu einem wahren Showdown zwischen Politik und Musik: Im August 1985 fand eine Anhörung vor dem Senat statt, an der der Twisted-Sister-Fronter Dee Snider sowie Frank Zappa und John Denver teilnahmen, um sich gegen das Verbot des sogenannten „Porn Rock“ aufzulehnen.
Heute mag dies alles fast unvorstellbar erscheinen, jedoch waren es sie, die sich für eine freie Musikkultur aussprachen und gegen Zensur – eine, wie bereits oben angeführte, heutige Realität. Dies ermöglicht es auch Bands wie eben Ghost oder den Openers „All them Witches“ oder „Tribulation“, auf Touren die Massen auch mit Schock-Rock zu begeistern.
Horrormesse Part 1
Bevor allerdings das Oktett um Frontmann Tobias Forge die Kathedrale zum Leuchten bringt, durfte die Death-Metal-Band Tribulation, ebenfalls aus Schweden, zu vergleichsweise sehr früher Stunde (um 18.30 Uhr) einige hundert Fans begrüßen.
Death Metal mag nun nicht jedermanns Sache sein, jedoch merkte man dies beim 40-minütigen Konzert nicht: Die Stimmung war außergewöhnlich gut, das Publikum ausgelassen, man klatschte, man skandierte, als wäre man bereits bei Ghost angelangt.
So ganz vom Schuss ist dies auch nicht, betrachtet man die an die Horrorliteratur angelehnten Lyrics ebenso wie die Showelemente Tribulations, könnte man auf den ersten Blick meinen, man habe mit dem Quartett einen quasi Vorboten auf das, was noch kommen wird: Eine lichtgetränkte Bühne, die unterschiedlichen farblichen Kompositionen, die ineinander überlaufen, Orgelklänge und Räucherstäbe vermitteln ebenso eine dämonenhafte Stimmung wie die Bekleidungen der einzelnen Mitglieder …
Etwas aus diesem Raster herausfallend tritt die US-Band All them Witches auf, die zwar vom Namen her in die Richtung des Mythischen, Geistigen tendiert, musikalisch aber eher dem Stoner/Psychedelic-Bereich angehört. Fast schon schüchtern richtet Sänger Charles-Michael-Parks Jr einige Repliken ans Publikum, bevor das sympathische Trio die Bühne nach knappen 50 Minuten und krachendem Rock à la Rage Against the Machine wieder verlässt.
Horrormesse Part 2
Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk kommt es um 21.00 Uhr zum großen Knall: Die gregorianischen Klänge verpuffen, der schwere schwarze Vorhang fällt und ein erstauntes Raunen geht durch die Rockhal: Der detailgetreue Nachbau einer Kathedrale wird heute der Schauplatz einer Messe der besonderen Art sein; turmhohe Kathedralenfenster samt Bebilderungen, das Drumset sowie drei Keyboards befinden sich auf einer Altar-ähnlichen Höhe, links und rechts umgeben von Vasen, die mit Blumen befüllt sind. Kündigte Fronter Tobias Forge bei den Kollegen von L’essentiel bereits eine „Arena-Show“ an, so wusste man nach wenigen Sekunden bereits um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage Bescheid.
Ghost gehört in der Metal-Szene zu den wohl aufstrebenden Bands, die trotz gerichtlicher Rechtsverhandlungen und zahlreicher Umbesetzungen unentwegt Massen über Massen zu ihren Shows bewegen, da sein musikalisches Kaleidoskop von Rock über Pop bis hin zu Heavy Metal Genre-übergreifend funktioniert und für jeden Fan ein kleines gruseliges Geschenk beinhaltet.
Mit den Eröffnungssongs „Rats“, „Absolution“ und „Faith“ werden die Weichen schnell gestellt, das Publikum hängt Forge an seinen Lippen und er wird es die nächsten zwei Stunden nicht mehr loslassen. Wie ein Maestro, ein „Maître de plaisir“, führt er durch das 20 Song starke Set, das nicht nur die gesamte Diskografie der Band beleuchtet, sondern ihn selbst in mehreren Charakteren früherer Alben erscheinen lässt, ohne jegliche Müdigkeitserscheinungen.
„We want to make your asses wabble and to tickle your tits“, so kündigte Forge sein Vorhaben an. Vom instrumental hochwertigen „Miasma“ über „Cirice“, „From the Pinnacle to the Pit“, bis hin zu „Ritual“, „He is“, „Mummy Dust“, dem neuen „Kiss the Go-Goat“, dem „Disko“-Song „Dance Macabre“ und dem finalen „Square Hammer“ wurde den Fans musikalisch alles geboten. Showtechnisch waren, neben der bereits angesprochenen Kathedralenbühne, Konfetti, Flammen, Dampfmaschinen und ein Fahrrad Teil einer Show, die alles auffuhr, was die Technik hergibt. Einzig auf die Leinwände wurde verzichtet, Satan sei Dank …
Dem Publikum akustisch und visuell etwas bieten, das hat schon Rammstein-Sänger Till Lindemann als nötige Prämisse für Rammstein-Konzerte definiert – Tobias Forge und Ghost haben nach den Metallica-Stadionkonzerten im Sommer, bei der sie als Opener fungierten, die nötigen Erfahrungspunkte gesammelt und etablieren sich immer mehr zum kommenden würdigen Headliner-Nachfolger der oben genannten.
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