Kino / „Sometimes I Think About Dying“ und „The Watchers“
Wenn der Büroalltag zum Schauplatz von Gefühlen wird und Reality-TV zur Horrorshow: „Sometimes I Think About Dying“ und „The Watchers“ sind neu in den Kinosälen.
„Sometimes I Think About Dying“: Die Alltäglichkeit des Lebens
Mit „Sometimes I Think About Dying“ legt die Filmemacherin Rachel Lambert ihre neue Regiearbeit nach „I Can Feel You Walking“ (2021) vor, die mit Hauptdarstellerin Daisy Ridley den Hürden der Zwischenmenschlichkeit in einem gesellschaftlich formatierten Rahmen nachspürt.
„I Can Feel You Walking“ war noch ein Film über einen Schlafwandler, der nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden konnte. Lamberts neuer Film „Sometimes I Think About Dying“ setzt eine junge Frau ins Zentrum der Erzählung: Fran, eine distanzierte, ruhige Büroangestellte in einem nicht näher definierten US-Bundesstaat, verbringt längere Zeit damit, von ihrem eigenen Tod zu träumen, um dem Alltag zu entfliehen; nur langsam findet sie sich in ihrem tristen Dasein zurecht, Grau- und Brauntöne bestimmen nicht nur ihre Garderobe, sondern auch die Farbpalette dieses Films. Eine Geburtstagsfeier für eine Arbeitskollegin wird zu der großen Erhebung über den Alltag, es ist eine Feiergesellschaft, der Fran zwar angehört und doch sichtlich entrückt ist.
Das unscheinbare Dasein von Fran ändert sich plötzlich, als sie ihren neuen Kollegen Robert (Dave Merheje) kennenlernt. In diesem skurrilen und befremdlichen Kosmos fühlt man sich freilich an die Filmwelten des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki erinnert. Hier wie dort bestimmen einzelgängerische und überwiegend schweigsame Gestalten das Geschehen, denen plötzlich die Aussicht auf ein bescheidenes Glück winkt. Hier wie dort wird ebenso die Magie des Kinos beschworen. Wie in „Fallende Blätter“ (2023) ist es der Ort des romantischen Rendezvous. Denn trotz ihrer äußerlichen Unterschiede und Roberts aufgeschlosseneren Art finden beide Gefallen aneinander und verabreden sich zu einer Filmvorstellung. Aber eine wahre Romantik will sich nicht so recht einstellen, ein Austausch über das kulturelle Ereignis gelingt nicht so recht, es fehlt den beiden an Sprache. Da muss zunächst über Schriftnachrichten im Chatprogramm des Büros kommuniziert werden, nur zögerlich kommt es zu verbalsprachlichen Äußerungen. Diese dramaturgische und dialogische Reduktion auf ein Minimum wird durch ein äußerst feines und intimistisches Spiel der Mimik von Daisy Ridley und Dave Merheje kompensiert, die Zuneigung wird als höchster Ausdruck der Menschlichkeit gefeiert.
Architektur der Gefühle
„Sometimes I Think About Dying“ handelt davon, wie gesellschaftliche Rahmen und Normen die Menschen bestimmen. Und zwar auf eine äußerst unmerkliche Art. Von den Bürotrennwänden zu den Fenster- und Türrahmen ist Rachel Lamberts Film durchzogen von geraden Konturen, formatierenden Mustern, Barrieren und Trennlinien – bis in die Montage hinein ist dieser Film überaus kleinteilig geschnitten. Mit stilistischer Strenge verweist Rachel Lambert auf das kleinste anzunehmende Glück in einem zwischenmenschlichen Gefüge, das wir als fixiert annehmen. Nur selten gibt es eine Öffnung des Raums, nur die Traumbilder einer mysteriösen Waldlichtung brechen diese starre und leblos wirkende Alltagsrealität auf – es sind Bilder eines möglicherweise besseren Lebens im Tod.
Trotz dieses beklemmenden Einschnitts entfaltet der Film in seiner Darstellung der routinierten und monotonen Büroarbeit einen gewissen Charme und es ist ihm anzurechnen, dass er nie übermäßig düster wirkt. Es ist eine melancholische, aber mitunter auch humorvolle Sicht auf die Alltäglichkeit des Lebens und die Bedeutung menschlicher Beziehungen. Nicht immer ist da klar zu bestimmen, wo sich dieser Film mit prägnanten Momenten der melancholischen Poesie über sich selbst zu erheben versucht, oder sich doch als tristes Depressionskino entlarvt – eine zwischen beiden Polen schwankende Mischung unterschiedlicher Tendenzen ist dem Film anzumerken, der die universale Niedlichkeit ebenso einschließt wie die Trostlosigkeit einer einsamen menschlichen Existenz in einer scheinbar unverrückbar vorgeschriebenen Welt, in der letztlich nur der Tod die einzige Gewissheit birgt.
Neu im Kinepolis Belval und im Ciné Utopia
„The Watchers“: Überladenes voyeuristisches Spektakel
Allein der Name steht fast synonymisch für den „plot twist“. M. Night Shyamalan schuf 1999 mit dem überaus erfolgreichen „The Sixth Sense“ einen Horrorfilm, der bestimmend sein sollte für die Karriere des Regisseurs. Nun hat seine Tochter Ishana Shyamalan mit „The Watchers“ ihren ersten Film gedreht. Ein Mystery-Horrorfilm, der an den Verästelungen seiner Romanvorlage festhält und daran ebenso scheitert.
Irgendwo in Westirland ziehen Vogelschwärme kreischend durch einen dichten, nebelverhangenen Wald – eine mythische und ebenso düstere Grundstimmung zugleich evozierend. Eine Erzählerstimme berichtet aus dem Off von diesem Waldstück, das scheinbar geografisch nicht zu lokalisieren ist. Jeder, der sich in diesen Wald hineinwagt, kommt nicht wieder hinaus. So scheint es auch der jungen Mina (Dakota Fanning), einer Künstlerin, zu ergehen, die ganz unverhofft in diese unheilvolle Landschaft gelangt, muss sie doch bald um ihr Leben bangen. Zuflucht findet sie in einem hüttenartigen Bunker, der von drei Fremden bewohnt wird, darunter Madeline, die zwielichtige und überaus finstere Hausherrin. Eine einseitig verspiegelte Scheibe trennt die Insassen von der bedrohlichen Außenwelt. Da, wo die Insassen nur das eigene Spiegelbild sehen können, werden sie für die Außenstehenden zu Schauobjekten, die aus nächster Nähe beobachtet werden können. Diese Außenstehenden sind die sogenannten „Watchers“, finstere, übernatürliche Gestalten, die bei Einbruch der Nacht Jagd auf die im Wald gestrandeten Menschen machen.
Schwaches Regiedebüt
Damit wäre zunächst die grobe Handlung von „The Watchers“ umrissen, dem Regiedebüt von Ishana Shyamalan, die auch das Drehbuch verfasste. Basierend auf einer Vorlage des Schriftstellers A.M. Shine, dessen Roman zu viele Erzählansätze auf sich vereinen möchte – wie auch der Film: „The Watchers“ beginnt zunächst als eine träge Abhandlung über Schuld und Verdrängung, die inneren Dämonen dieser traumatisch belasteten Mina müssen dann äußere Gestalt annehmen. Somit bedient der Film vorerst bekannte Spannungsmuster des Gruselhorrors, der mit absehbaren Schockmomenten aufzuwarten versucht, nur um dann unvermittelt in eine satirische Parabel überzugehen, die ganz auf die Medienkritik ausgelegt ist. In dem bunkerartigen Gehäuse nämlich ist die Zuschauerposition auffällig in diesem Film mit inszeniert: Auf Fernsehbildschirmen flimmern Reality-TV-Bilder im Innern der vier Wände. Es ist ein Format, das den niederen Voyeurismus zu stimulieren versucht, damit ist aber umso mehr die Kinosituation per se ausgestellt. Inmitten des tiefschwarzen Waldes wird die von innen beleuchtete Hütte zu einer Leinwand.
Außerhalb der vier Wände bilden die „Watchers“ das Publikum, alles ist da Spektakel, ist Show, sehen und gesehen werden. Shyamalan greift diese Ansätze allenfalls beiläufig auf, es sind Versuchsanordnungen, die nie tatsächlich zu einer wirksamen Aussage durchdekliniert werden, zumal der Film die handlungsführende Zugkraft des Mystery-Thrillers vordergründig macht und dementsprechend auf oberflächliche Auflösung zielt, nicht so sehr auf diskursive Vertiefungen. In seinem letzten Erzählabschnitt hält „The Watchers“ dann nochmals eine thematische Wende bereit und führt die Elemente des Folk-Horrors in die Erzählung hinein. Ein Folk-Horror indes, der versucht, tief in die irische Sagenwelt einzudringen, dabei auch da nur an der Oberfläche verharrt, tatsächliches mythisches Potenzial entwickelt der Film nie. Was als spannende Medienreflexion angedacht ist, wird zu einer Heimsuchung durch die übernatürlichen Fabelwesen aus uralten, sagenumwobenen Erzählungen.
Damit ist weder der realweltlichen Medienkritik ernsthaft Rechnung getragen, noch dem irischen Volksmythos, den der Film für Schauermomente ausspielt. Es ist in alledem unverkennbar, wie sehr die Tochter die Erzählprinzipien ihres Vaters übernommen hat: Bei M. Night Shyamalan galt immer schon, dass Schauer und Schock Tiefsinn und Anspruch jederzeit ersetzen können, dass eine etwaige Tiefe dort simuliert werden kann, wo ein Publikum narrative Taschenspielertricks mit erzählerischer Virtuosität schlicht verwechselt.
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