Film / Stille Wasser gründen tief
Der neue Film von Todd Haynes erzählt die wahre Geschichte des Anwalts Robert Bilott, der quasi im Alleingang den Kampf gegen den übermächtigen Chemiekonzern DuPont aufnahm und eine Reihe von Gesundheitsskandalen aufdeckte. Am Ende dieses Windmühlenkampfes, im Zentrum dessen das starke Schauspiel von Mark Ruffalo und eine behutsame, wenn auch klassische Regie steht, wird der Zuschauer seine Teflonpfannen entsorgen.
Nach einer freund- und freudlosen, von ständigen Umzügen markierten Kindheit landet Rob Bilott (Mark Ruffalo) in einer bekannten New Yorker Anwaltskanzlei. Einen Namen als Anwalt macht er sich mit der Verteidigung großer Chemiekonzerne. Als der mürrische Viehzüchter Will Tennant (Bill Camp) mit einer Kiste Videokassetten in dem feschen Gebäude der Kanzlei aufkreuzt und Bilott dazu auffordert, ihm zu helfen, den Chemiekonzern DuPont zu verklagen, wird er mit der Anmerkung, er habe sich sicherlich in der Kanzlei geirrt, diskret hinausbegleitet. Weil Tennant aber Bilotts Großmutter kannte, revidiert der Anwalt trotz Interessenskonflikt – in der Vergangenheit hat er selbst DuPont verteidigt – seine Meinung und entscheidet sich, zu Beginn mehr aus Mitleid und Pflichtbewusstsein, dem Züchter zu helfen. Schnell entdeckt er allerdings, dass Tennants Wut und Besorgnis nicht unbegründet sind: Das Vieh des Farmers siecht langsam dahin. Schuld daran ist laut Tennant das verseuchte Wasser – der Farmer hegt den Verdacht, dass die örtliche Werksanlage von DuPont ihre Chemikalien ins Wasser kippt.
Der anfangs skeptische Bilott stößt schnell auf eine Unmenge an Indizien – 190 Kühe sind in kürzester Zeit gestorben, die von Tennant selbst durchgeführte Autopsie an bereits gestorbenem Vieh zeigt schwarze Zähne und enorme Geschwüre auf, Bilott muss zusehen, wie Tennant eine seiner vom Schmerz wahnsinnig gewordenen Kühe töten muss. Als er sich an DuPont-Boss Phil Donnelly (Victor Garber) wendet, lässt dieser ihm tatsächlich alle Dokumente vom DuPont-Werk in Parkersburg zukommen – und hofft wohl insgeheim darauf, dass Bilott von der schieren Unmenge an Material so abgeschreckt sein wird, dass er die Ermittlungen fallen lässt. Bilott bleibt jedoch hartnäckig – und findet heraus, dass DuPont das chemische Material PFOA, das u.a. bei der Herstellung von Antihaftbeschichtungspfannen verwendet wird, in Wasser und Luft leitet und trotz zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse und Tests, die die erhöhte Krebsrate der Mitarbeiter mit der Teflonproduktion in Verbindung bringen, seine Angestellten unbeirrt mit dem chemischen Material weiterarbeiten lässt.
„Dark Waters“ erzählt die wahre, durch einen New York Times-Artikel ans Licht der Öffentlichkeit gebrachte Geschichte des Anwalts Robert Bilott, der in einem zwanzig Jahre andauernden Kampf gegen DuPont einen schwerwiegenden Gesundheitsskandal aufdeckte. Im Film steht Letzterer quasi als pars pro toto für die zeitgenössische Ausbeutung der Arbeiterklasse durch skrupellose Konzerne, die sich selbst einen gesetzfreien Raum erschaffen und sich mithilfe von Anwälten ihre eigene Gesetzgebung erkaufen. Erinnern tut der Film in der Darstellung der Besessenheit seiner Hauptfigur, seinem dokumentarischen Charakter und der Stille, mit der er die Ruhelosigkeit seiner Figur darstellt, an Filme wie Tom McCarthys „Spotlight“ oder Steven Soderberghs „Erin Brokovich“.
Haynes, der sich in der Vergangenheit mit Filmen wie „I’m Not There“ (in dem u.a. Cate Blanchett Bob Dylan spielte), Musikclips für die New Yorker Noise-Kultband Sonic Youth und dem rezenten „Carol“ experimenteller zeigte, filmt hier in poetischen Plänen einen klassischen Film über den Zerfall eines amerikanischen Traums. Ganz Parkersburg (West Virginia) klammert sich trotz der Beweislage an die Firma, die kam, um ein Dorf mithilfe von großzügigen Gehältern aus der wirtschaftlichen Misere zu retten; am Ende erkennt Bilott, dass der Rechtsstaat machtlos ist gegenüber der Korruption und dem Lobbyismus der Großkonzerne. Bei anderen Regisseuren wären die obligatorischen Etappen solcher „David gegen Goliath“-Streifen heroischer und kitschiger ausgefallen, dank Ruffalos ruhigem, präzisem Spiel ist der Film jedoch nie hochtrabend – und bleibt trotzdem spannend.
Schade dass die Nebenfiguren hinter Ruffalo etwas verblassen: Als Kanzleichef Tom Terp gibt Tim Robbins die teils besorgte, teils distanzierte Vaterfigur, Bill Pullmans Harry Deitzler ist punktgenau als gehässiger, entrüsteter lokaler Anwalt und Anne Hathaway spielt Bilotts Frau Sarah, die ihre Karriere zugunsten des Familienlebens aufgegeben hat und die Besessenheit des Ehemanns stumm erträgt. Alle drei Figuren sind gut gespielt, nur ist die Figurenzeichnung stellenweise etwas platt. Vor allem Hathaways gläubige Sarah Bilott wirkt bis hin zum fast schon obligatorischen Ausraster zu klischeehaft und unbedeutend – in einer zeitgenössischen Darstellung einer konservativen, patriarchalischen US-amerikanischen Familie darf man sich etwas mehr kritische Distanz erwarten. Neben DuPont-Vertreter Phil Donnelly (Victor Garber) überzeugt vor allem Bill Camps geplagter Farmer: Es ist dessen stilles, fast stoisches Leiden, das die Hauptfigur zum Handeln motiviert: So ist Ruffalos Bilott nicht etwa ein heldenhafter Weltretter, sondern vor allem ein einfühlsamer, besorgter Mensch.
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