Kino / Sünden und Stunts: „In the Land of Saints and Sinners“ und „The Fall Guys“
Eine Alternative für alle, die weder etwas mit den Partys zu Nationalfeiertag anfangen können noch dem EM-Fieber verfallen sind: Wie wäre es mit einem Kinobesuch? Zwei Empfehlungen.
„In the Land of Saints and Sinners“: Schuld und Sühne
„In the Land of Saints and Sinners“ ist die zweite Zusammenarbeit zwischen Regisseur Robert Lorenz und dem irischen Schauspieler Liam Neeson – ein Film, der die Westernsprache in das zerrüttete Irland zwischen Einzelschicksal und IRA-Terrorismus der Siebzigerjahre überführt.
Robert Lorenz und Liam Neeson haben bereits für „The Marksman“ (2021) zusammengearbeitet, einen Film über den Grenzkonflikt zwischen den USA und Mexiko – hier nun bildet der irische Unabhängigkeitskrieg die Hintergrundfolie für das Geschehen. Irland in den 1970er-Jahren: Das friedvolle Dasein, das Finbar Murphy (Liam Neeson) in einem abgelegenen, provinzartigen Dorf an der Westküste Irlands führt, ist in seiner Harmonie bereits derart überzeichnet, dass einem bald aufgeht, dass ihn Schuld und Düsternis umgeben: Finbar ist ein gefühlskalter Killer, der seines Gewerbes indes überdrüssig geworden ist, von seinem baldigen Ruhestand erhofft er sich, sich von seinen inneren Dämonen befreien zu können. Doch als IRA-Terroristen in sein Dorf gelangen und die Gemeinde terrorisieren, ist es mit dem ersehnten Ruhestand alsbald vorbei.
Auf einer ersten Ebene will „In the Land of Saints and Sinners“ bereits zu sich selbst verführen, indem er seinen Hauptdarsteller Liam Neeson einmal mehr als Action-Helden präsentiert, sein Leinwand-Image des gesetzlosen Vigilantes aufrufend, der mittels Gewalt für Ordnung sorgt – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die IRA und die größeren politischen Gesamtzusammenhänge interessieren hier nicht vordergründig, überhaupt geht es Lorenz nicht um politischen Kontext, noch nicht mal in Ansätzen will er dabei etwa an die parabelhafte Virtuosität von Martin McDonaghs „The Banshees of Inisherin“ (2022) anknüpfen. „In the Land of Saints and Sinners“ ist wohl vielmehr das, was man in besonderem Maße einen irischen Western nennen kann: Der Regisseur Robert Lorenz achtet besonders darauf, die Formensprache des Westerns diesem nordirischen Setting einzuverleiben: Mittels imposanter Landschaftsaufnahmen entlang massiver Klippenformationen, entlang der satten und prächtigen Grünflächen, wird hier die Weite des umkämpften Landes in Szene gesetzt.
Kampf gegen die IRA-Gruppe
Allein die Richtung, die da gleich zu Beginn vorgegeben wird, ist vielsagend: Die zersplitterte IRA-Gruppe, angeführt von der entschlossenen Doireann McCann (Kerry Condon), bewegt sich westwärts. Mehr noch ist die Grundkonstellation der Handlung unverkennbar der typischen Westernerzählung entlehnt. Da kämpft ein Einzelner gegen eine Bande von Gesetzlosen für den Erhalt der unschuldigen Gemeinschaft. Finbar liest Dostojewski, „Schuld und Sühne“, es ist die wohl markanteste Bezugsquelle des Films: Finbar ist jemand, der sich früher zumindest moralisch im Recht wähnte, nun jedoch von Schuldgefühlen heimgesucht wird. Die Aussicht auf Erlösung kommt da ganz unverhofft, der Aufopferungsgeste gilt hier das Augenmerk. Die Filmmusik von Diego Baldenweg beschwört diese Elegie und den Wehmut – die Nähe der Klangmuster zu Ennio Morricone ist unverkennbar.
Diese Geschichte um die verpassten Chancen in einem zwielichtigen Leben, der Schuld und der Vergebung, ist nicht sonderlich neu. Es ist mitunter überaus auffällig, wie ähnlich sich dieser Film zu Antoine Fuquas „The Equalizer 3“ verhält, nur dass der schweigsame Rächer in dieser Filmreihe Hemingway liest. Und doch hält „In the Land of Saints and Sinners“ mit diesem Finbar Murphy eine Filmfigur bereit, die Liam Neeson die Möglichkeit bietet, das nun doch über zwei Jahrzehnte abgenutzte und immergleiche Rollenbild etwas zu variieren: In seinen leisen Momenten scheint hier die ganze Qualität von Liam Neesons Schauspielkunst durch, die auf auffällig Weise mit der Grundstimmung des Films korrespondiert: „In the Land of Saints and Sinners“ erzählt diese Geschichte als eine Ballade, mit folkloristischen, lyrischen und auch heiteren Momenten; zwischen den dramatischen Episoden, den einzelnen Strophen, so könnte man sagen, gibt es Momente des Stillstands, der Ruhe, den Refrain, der den Hintergrund beschreibt.
Einmalige Vorführung
„In the Land of Saints and Sinners“ lief in Luxemburg nicht im Kino, das „British & Irish Film Festival Luxembourg“ zeigt ihn jedoch einmalig am 28. Juni im Utopia.
„The Fall Guy“: Film als gemeinschaftliches Projekt
In der Kultserie „The Fall Guy“ (Ein Colt für alle Fälle) war Colt Seavers ein Kopfgeldjäger und ein Stuntman, in David Leitchs „The Fall Guy“ ist er immer noch Stuntman, den der Liebeskummer plagt: Nach einem traumatischen und folgenreichen Unfall auf einem Filmset taucht Colt ganz unter, er lässt seinen Job und seine Beziehung zu der Kamerafrau Jody (Emily Blunt) hinter sich. Als ein Jahr später unverhofft die Produzentin Gail Meyer (Hannah Waddingham) ihn anruft, lässt Colt sich überreden, noch einmal einen Stuntjob in Australien zu übernehmen – zumal dieser spezifische Film, „Desert Storm“ soll er heißen, die erste Regiearbeit von Jody ist und ihr den großen Durchbruch verschaffen könnte. Colt hegt immer noch Gefühle für Jody, doch Gails Absichten sind ganz eigennützig: Colt soll den verschwundenen blasierten Star des Films, Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson), ausfindig machen. Dabei gerät er bald in ein Komplott aus Täuschung und Mord, in dem er sich einzig auf seine Fähigkeiten als Stuntman verlassen kann.
David Leitchs vorangehender Film „Bullet Train“ (2022) war bereits ein völlig ironischer Metatext, der seine Geschichte um einen Profikiller, der in einem japanischen Hochgeschwindigkeitszug einen geheimnisvollen umkämpften Koffer beschaffen muss, vornehmlich über die Bewegung, die Action aufbaute. Dass Leitch sich nun Colt Seavers zuwendet, dürfte kaum überraschen: Leitch begann seine eigene Filmkarriere als Stuntman, bevor er sich gemeinsam mit Chad Stahelski der Regie widmete, mit Filmen wie „John Wick“ (2014) oder noch „Atomic Blonde“ (2017). Betrachtet man diese Filme nebeneinander, so fällt auf, dass eine spezifische Form der postmodernen Bewegung der Neunzigerjahre hier in die Gegenwart überführt wurde.
Verweise und Typen
Es ist die reine Intertextualität, das Aufrufen von Verbindungen zur Populärkultur, die hier neben die Action als schaulustiges Spektakel gestellt wird. „The Fall Guy“ ist ein Film voller selbstironischer Verweise, voller autothematischer Bezüge, der ganz unverhohlen der Unterhaltungsmaschinerie der Achtzigerjahre im Besonderen frönt: Kiss und Phil Collins bilden den Klangteppich, über Requisiten, Kostüme und Dialoge werden immer weitere Brücken geschlagen, ein Zitatengewitter, das mit dem Abrufen von „Miami Vice“, der modischen Fernsehserie der Reagan-Ära, über eine emblematische Jacke, Motorboot-Stunts und der eingängigen Titelmelodie Jan Hammers der, abgerundet wird. Aber die Verweise sind für Leitch nicht Selbstzweck, vielmehr bettet er sie ein in eine große Liebeserklärung an das Stuntgewerbe innerhalb einer Filmproduktion. Dieser filmisch codierten Darstellungsweise entspricht ebenso das Schauspiel Ryan Goslings.
Es kann hier ja gar nicht um die Darstellung eines Menschen gehen, sondern um einen Typ: Gosling nimmt sich der Zeichenhaftigkeit der Figur vollends an, dabei geht es um die Zurschaustellung eines betont lässigen Charmes: Von der Sonnenbrille, die er auch im Inneren eines Trailers trägt, über das zerzauste Haar, die aufgesetzten Sprüche bis zum augenfällig gelockerten Posieren hinein, hat sich Gosling einen Habitus aus erhabener Coolness einverleibt, der für diesen Colt Seavers prägend ist. Aus diesem autothematischen Zuschnitt – dem Film im Film, genauer noch: der Filmproduktion, der Arbeit an einem Film im Film – gewinnt „The Fall Guy“ ferner seinen komödiantischen Gehalt: Alles ist da gedoppelt, der Wortwitz der Dialoge ergibt sich nur über diese zweite Ebene, die lebensbedrohliche Gefahr des Stunting ist zwar ernsthaft angesprochen, relativiert sich aber wieder in dem allumfassenden Gestus der popkulturellen Hommage, die die Filmproduktion als großes solidarisches Projekt aus Hingabe und Leidenschaft feiert.
Da gibt es die eingeschworene Gemeinschaft aus der Stunt-Abteilung, den bösen, egozentrischen und selbstverliebten Hauptdarsteller, Tom Ryder, der das Gesamtwohl zu zerstören droht: Über ihn gilt es zu triumphieren, das Komplott, das der Film bereithält, ist da nur durch den gemeinsamen, arbeitsteiligen Akt aufzulösen. „The Fall Guy“ besingt die kollektive Geste, die hier explizit als der höchste Wert der Filmproduktion gelesen wird.
Läuft im Kinepolis Kirchberg
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