Kunstecke / Théo Kerg: Schlaglicht auf zwei Eckpfeiler seiner Kunst
Die Galerie 39 in Düdelingen präsentiert derzeit die Ausstellung „Théo Kerg – tactilisme et déconstruction“. Théo Kerg (1909-1993) war ein international bekannter Luxemburger Künstler. Anlässlich seines 100. Geburtstags wurde 2013 verzögert mit einer großen Ausstellung im Nationalmuseum MNHA und im Cercle Cité an ihn erinnert. Carlo Kerg, Sohn und Verwalter seines Archivs, ist seit Jahren bemüht, die zahlreichen Facetten seines Schaffens zu sammeln, auszuwerten, sein Lebenswerk mit Hilfe seines Nachlasses zu dokumentieren. Nun präsentiert er eine eindrucksvolle rückblickende Solo-Schau seines Vaters mit rund 82 Arbeiten.
Das Œuvre des Künstlers ist in mehreren Büchern besprochen, interpretiert und dargestellt. Wer das rund 300 Seiten starke, reich illustrierte Buch „Théo Kerg, peintre, sculpteur, graveur, verrier d’art 1909-1993 – chronologie d’une vie et d’une oeuvre“ von Carlo Kerg gesichtet hat, der weiß eine Menge über das bewegte, künstlerisch ausgefüllte Leben und Schaffen des über unsere Landesgrenzen hinaus bekannten Künstlers. Diese Vita in all ihren Schattierungen und Abschnitten im Rahmen dieser Expo-Besprechung im Detail anzuführen, sprengt diesen Rahmen, darum nur so viel.
International anerkannt
Théo Kerg hat sowohl in Luxemburg als auch in Deutschland und Frankreich gelebt, war studierter Kunstlehrer, übte dieses Amt neben seiner rein künstlerischen Aktivität zu bestimmten Zeiten auch aus. Er betätigte sich als Kunstkritiker, pflegte zahlreiche berufliche und persönliche Freundschaften mit bekannten Zeitgenossen aus Literatur und Kunst sowohl in Deutschland wie in Frankreich, wo er durch gemeinsame Ausstellungen mit renommierten Künstlern, seiner Offenheit und seinem Talent wie seinem Sinn für neuartiges künstlerisches Schaffen viel Anerkennung erfuhr. Er hat mehr als 700 Ausstellungen oder Beteiligungen an Salons aufzuweisen. Werke von Théo Kerg sind heutzutage in 48 Museen weltweit zu betrachten.
Nach seinem Studium Ende der 20er-Jahre in Paris und später in Düsseldorf bei Paul Klee und Oskar Moll, wandte er sich der Abstraktion zu. Zeigte er sich in den Dreißigerjahren mit abstrakten Kompositionen als Vorreiter dieses Genres in Luxemburg, so wurde er 1934 Mitglied der internationalen Künstlergruppe „abstraction-création“ in Paris, zu der bekannte Künstler wie Piet Mondrian oder Sonia Delaunay gehörten.
Neben seiner Anlehnung an die „Ecole de Paris“ oder gemeinsamen Ausstellungen mit bekannten Vertretern des Tachismus – einer informellen Kunst, in der versucht wurde, „seelische Bewegungen unmittelbar auszudrücken“ – hat er einen eigenen Stil, den Taktilismus, geprägt. Es handelt sich um eine Sprache, die, wie Kunstkennerin Dr. Julia Behrens erinnert, durch „Tektonik und Objekthaftigkeit“ geprägt ist. Kerg fasste seine Sicht so zusammen: „Man soll keinen Gegenstand in meinen Bildern sehen, sondern man soll dem Rhythmus, der Dynamik, der Struktur, der Farbe nachgehen.“ Diese in den 50er-Jahren in vielen Bildern praktizierte Darstellungsweise hat er später im Sog der Überzeugung, über den Bilderrahmen hinausgehen zu müssen, durch eine Periode des „geschundenen“ Bildes, also der Zerstörung, Neufassung und Entfaltung einer neuen Ästhetik, die in einigen Ländern auf unterschiedliche Manier (etwa Arte Povera in Italien) dekliniert wurde, ergänzt. Die nun gezeigte Auswahl an Werken illustriert diese beiden Bestrebungen von Théo Kerg.
Aussagekräftig fokussierte Retrospektive
Die in ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäuden eingerichtete Galerie 39 leugnet ihre Geschichte nicht, schmückt doch ein Traktor ihren Eingangsbereich. Der Besucher wird hier sowohl mit schwarz-weißen als auch farbigen Drucken, Lithos sowie Zeichnungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren empfangen, derweil im ersten Stockwerk sowohl die Epoche des Taktilismus als auch die Zeit der Dekonstruktion, also seiner „zerschnittenen oder durchbohrten“ und gar „geflickten“ Bilder der 70er-Jahre, umfassend präsentiert werden. Bei dieser Gegenüberstellung wird außerdem ersichtlich, wie genüsslich der Künstler mit der Farbe umgeht. Neben dem hinlänglich bekannten Einsatz der Farbe Blau gibt es interessante Konstellationen in Gelb und auch Ausschweifungen in weißliche Nuancen sowie selbstredend in diverser Gestaltungsart ausgerichtete Beispiele des von ihm beliebten Einsatzes von Symbolen, Zahlen und aufgesetzten Buchstabenkombinationen. In der Tat, Théo Kerg setzte gerne diverse Materialien ein, um die Oberfläche seiner Werke wie eigenartige Landschaften mit Erhöhungen und fremden Gebilden aussehen zu lassen. Spannend auch die immer wiederkehrenden netzartigen Verflechtungen, die fast so aussehen, als ob sie die quasi auseinanderbrechenden Kompositionen zusammenhalten würden. Kerg entfaltete seine Imagination aber auch auf Flachbildern und gab hier beispielsweise mit eindringlichem Rot oder sinnlichem Blau seiner Aussage mehr Nachdruck. Die in der Expo versammelten Werke tragen alle entsprechende Titel, vermischen oft gar mehrere Welten.
Es steht jedem Kunstfreund frei, in diese „Malweise“ tiefere psychologische, philosophische und mystische Interpretationen einfließen zu lassen. Für den Künstler, der durch mehrere Verwirklichungen mit religiösem Charakter (Kirchenfenster, Kreuzweg u.a.) gezeigt hat, dass er sich derartigen Zuwendungen nicht verschließen wollte und konnte, wohl eine weitere Bestätigung seiner Unvoreingenommenheit und seiner humanistischen Zugänglichkeit.
Und wenn die Kunstexpertin Nathalie Becker eingangs ihrer Einführung den Spruch „Nul n’est prophète en son pays“ wiederholt, meint sie wohl, man habe das Œuvre von Théo Kerg lange ungenügend in Luxemburg gewürdigt, derweil er international hohe Anerkennung genossen hat. Ein Indiz in diese Richtung ist wohl auch die Einrichtung eines Kerg-Museums in Schriesheim nahe Heidelberg. Hierzulande haben Kunstfreunde nun die Möglichkeit, diese mit 82 Werken bestückte und gekonnt aufgebaute Ausstellung in Düdelingen zu besuchen.
Info
„Théo Kerg – Tactilisme et déconstruction“ in der Galerie 39; 39, rue de Hellange, L-3487 Düdelingen. Noch bis zum 14. Juli 2024. Öffnungszeiten: samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr oder auf Anmeldung: remy@galerie39.lu/www.galerie39.lu.
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