Klangwelten / Ungestreckte Qualität: Mogwais Soundtrack zum Drogen-Krimi „ZeroZeroZero“
Mittlerweile schreiben die schottischen Postrocker von Mogwai mehr Filmmusik als Studioplatten. Ihr neuer Soundtrack zur Serie „ZeroZeroZero“ baut den typischen Postrocksound der Band um einige elektronische Bausteine aus – und funktioniert auch unabhängig von der Serienvorlage.
In den letzten zehn Jahren haben Mogwai die Lücken zwischen ihren Studioalben konsequent mit starken Auftragsarbeiten gefüllt: Auf das meisterliche „Hardcore Will Never Die, But You Will“ (2011) folgte die Soundtrackarbeit zur französischen Serie „Les Revenants“ (2013), nach „Rave Tapes“ (2014) schrieb die Band eine elegische, stark elektronische Vertonung des Dokumentarfilms „Atomic“ (2015) und ein knappes Jahr nach dem schönen „Every Country’s Sun“ (2017) folgte der Soundtrack zu „Kin“ (2018) – rückblickend war die Musik das einzig Bemerkenswerte an dem ziemlich missratenen Sci-Fi-Thriller.
Folgt man dieser alternativen Veröffentlichungslogik, hätte man dieses Jahr mit einer neuen Mogwai-Platte rechnen dürfen. Stattdessen schrieben die Schotten einen weiteren Soundtrack – nach „Les Revenants“ kehren die Postrocker zum Serienformat zurück und vertonen die Amazon-Serie „ZeroZeroZero“, eine jetzt bereits gehypte Serie um den Kokainhandel zwischen mexikanischen Drogenkartellen und der italienischen Mafia, die auf einem Buch von „Gomorrha“-Autor Roberto Saviano basiert – der Ausdruck „ZeroZeroZero“ bezeichnet pures, ungestrecktes Kokain.
„ZeroZeroZero“ ist der längste, dafür aber auch der fragmentarischste Soundtrack der Band, die Kompositionen erstrecken sich zwischen zwei und fünf Minuten und arbeiten so gegen das Klischee, dass Postrockbands stets ellenlange Songs schreiben, in denen sich minutenlang kaum was tut. Wer Mogwai kennt, weiß, was ihn auf den 21 Songs und 69 Minuten erwartet: Opener „Visit Me“ beginnt mit einer schönen Klaviermelodie, die unheilvollen Gitarren im Hintergrund türmen sich auf, bevor sie sich intensiv in den Vordergrund drängen – hier wird die Quintessenz des Genres in knapp drei Minuten auf den Punkt gebracht.
„I’m Not Going When I Don’t Get Back“ wie auch „Nose Pints“ werden aufgrund ihres Industrial-Flairs durchaus legitime Vergleiche zu Nine Inch Nails auslösen. Diese Tracks führen aber nicht nur die bereits auf „Flee“ vom „Kin“-Soundtrack initiierte Hommage an John Carpenter fort, sondern zeichnen sehr deutliche Parallelen zu den zwölf E.P.s, die ihre britischen Kollegen von 65daysofstatic in den letzten zwölf Monaten veröffentlicht haben. Wer diese E.P.-Serie kennt, wird verblüffende Ähnlichkeiten feststellen – sei es bei der Klaviermelodie von „Telt“; der klaustrophobischen Atmosphäre auf „Chicken Guns“ und dem industriellen, sich bedrohlich auftürmenden „Invisible Frequencies“, das langsam, fast impressionistisch tröpfelnde Klavier von „Space Annual“, das den Songs von der „Tempo Heavy“-E.P. ähnelt, oder die Perkussion auf „Nose Pints“, die der auf „Mother“ von der „Endings“-E.P. nahesteht. Da beide Bands parallel an ihren letzten Veröffentlichungen geschmiedet haben, kann hier weniger von Plagiat als von einer Klangästhetik, die sich teilweise überschneidet, die Rede sein.
Summon the Beast
Die Stimmung vieler Tracks wie „Lesser Glasgow“ ist abwechselnd unheilvoll und lichtdurchflutet, weswegen die Band auf eine beeindruckende Palette an sich überlagernden Keyboard-Sounds zurückgreift, die auf den flirrenden Synthies von „El Dante“ Reminiszenzen an die Soundtrackarbeit von Trent Reznor und Atticus Ross aufkommen lassen. Teilweise wünscht man sich, Kompositionen wie „Invisible Frequencies“ hätten ihre kurze Spielzeit überdauert – der fragmentarische Charakter sorgt zwar für Abwechslungsreichtum, lässt dem Zuhörer aber nicht ausreichend Zeit, um sich auf die unglaublich dichte Atmosphäre einzulassen, da diese sehr schnell vom nächsten Track abgelöst wird.
Am besten bleibt „ZeroZeroZero“, wenn die Musiker von Mogwai sich auf ihre Stärken berufen – „Don’t Make Me Go out on My Own“ und das sanfte „Moon in Reverse“ sind mit ihrem melancholischen Klavier und dem elliptischen, Reverb-lastigen Schlagzeug zwei perfekte Nachfolger zu „Friend of the Night“ (eines der Highlights von „Mr. Beast“ (2006)), „Fears of Metal“ legt ein einsames Glockenspiel auf ein verträumtes Gitarrengeflecht, „Major Treat“ ist eine Art klangliche Visitenkarte der Band und zeigt auf beeindruckende Art, dass die Idiosynkrasien der Postrocker auch nach 25 Jahren gemeinsamen Musikmachens nicht abgedroschen klingen.
Auf „Summon the Sacred Beast“ verschmelzen der organische Bass, die Gitarrenschichten und die seit dem Album „Remurdered“ immer stärker präsenteren elektronischen Elemente zu einem eleganten Biest von einem Song, die leicht bluesigen „Modern Trolls“ und „The Winter’s Not Forever“ erinnern an den frühen Slowcore von „Low“. Im Allgemeinen gilt: Die letzten Songs der Platte finden zurück zu einem organischeren, ruhigeren Klangbild, das aber auch eines verdeutlicht: Der elektronische Einschlag, den die Band vor sechs Jahren gewählt hat, bringt die spannenderen Songs hervor.
Anspieltipps: Visit Me, I’m Not Going When I Don’t Get Back, Don’t Make Me Go out on My Own, Major Treat, Lesser Glasgow
Bewertung: 8/10
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