Berlinale (16) / Vom Limbo ans Tageslicht: „Limbo“ von Ivan Sen
Ivan Sens australischer Neonoir ist nicht nur ein unglaublich stylisher, sondern auch ein notwendiger, kompromissloser Beitrag über Rassismus und die Unmöglichkeit, vergangene Gräuel zu beheben.
„Du siehst gar nicht aus wie ein Bulle“, meint eines der drei Kinder von Emma, deren Schwester Charlotte Hayes vor 20 Jahren verschwand. „Wie sehe ich denn aus?“, entgegnet Ermittler Travis Hurley (Simon Baker), und man hätte fast aufgeschrien „Wie Walter White“, hätte das Kind die Antwort nicht bereits gegeben: „Wie ein Drogendealer.“
In der Tat ist Travis Hurley ein hard-boiled Private Eye wie aus dem (schmutzigen) Bilderbuch: Volltätowiert, irgendwo zwischen Guy Pearce in „Memento“, an den der Film oft erinnert, und Brian Cranston. Heroinabhängig und scheinbar gefühlskalt checkt Hurley im Motel Limbo ein, wo er seine Tage zwischen der Nadel und dem Tonbandgerät mit den damaligen Ermittlungen verbringt.
Aus unbekannten Gründen – das schlechte Gewissen seines Chefs? – soll er die Ermittlungen über das Verschwinden der Einheimischen Charlotte Hayes wieder aufnehmen – man ist sich wohl bewusst geworden, wie schlampig und rassistisch damals vorgegangen ist.
Zentral für den Fall scheint dabei ein gewisser Leon, der kürzlich an Demenz gestorben ist und dessen heruntergekommener Bruder in einer Art Höhle haust. Leon mochte junge Schwarze Frauen, das weiß jeder, so wie jeder von dessen Partys weiß, am Ende derer die Partygänger auch mal mit Gedächtnisschwund aufwachten – Leon ließ die Drogen nicht nur umhergehen, sondern kippte auch mal was ins Glas, wenn es ihn gerade arrangierte.
Nur will natürlich anfangs niemand mehr was vom Fall wissen, speziell nicht die verbliebene Familie, die keinen Bock hat, mit dem weißen Ermittler zu reden. Denn auch wenn dieser kompetent und hilfsbereit auftritt, ist zu viel passiert, um dem Polizisten vertrauen zu schenken, sodass Travis durchaus versteht, dass Charlottes Geschwister Charlie (Rob Collins) und Emma (Natasha Wanganeen) sich, zumindest zu Beginn, mehr als skeptisch zeigen.
So verbringt Travis seine Tage zwischen wortkargen Begegnungen, fährt erst mit seinem, dann mit einem Mietwagen durch die betörende, menschenleere australische Wildnis, hört metaphysisches Gelaber über Sünde, Vergebung, Schuld und Gott im Autoradio, dann erschreckend rassistische Verhöre auf den Tonbändern einer Vergangenheit, die viele vergessen haben wollen.
Unter der harten Schale verbirgt Travis sehr viel Empathie und Einfühlsamkeit – ein kurzes Gespräch mit Charlies Sohn Zac (Mark Coe) verrät, dass ihm die Menschen längst nicht so egal sind, wie er es vermitteln und vielleicht auch gerne haben möchte.
„Limbo“ lebt vom Stoizismus seiner Hauptfigur, der Unlösbarkeit dieses Falles, der bestechenden Schönheit seiner Schwarzweißbilder: Die Idee, einen Film über Rassismus gegenüber der einheimischen Bevölkerung als Neonoir zu inszenieren, geht auch deswegen auf, weil hier vieles über Gesten und Körpersprache funktioniert.
So zeugt die körperliche Distanz zwischen dem Ermittler und den befragten Zeugen gleichzeitig von Travis‘ Respekt und von Emmas und Charlies Skepsis. Im Gegensatz zu Hochhäuslers etwas zu expliziten Film lebt „Limbo“ von seinen Ellipsen: Ivan Sen filmt hier mit unglaublich viel Mitgefühl das unmögliche Wiedergutmachen – und die absolute Notwendigkeit, es trotzdem zu versuchen.
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