Kinowoche / Von Frauen und Mord: „Firebrand“ und „Strange Darling“ im Kino
Ein sexistischer König und ein fatales Schäferstündchen: Mit „Firebrand“ und „Strange Darling“ gibt es Neuigkeiten in Sachen Historiendrama bzw. Thriller. Zwei Kritiken.
„Firebrand“, eine leise Ermächtigungsgeschichte
Das Leben und die Regentschaft des wohl berühmtesten englischen Monarchen der Tudor-Dynastie, Heinrich dem VIII., König von England zwischen 1509 und 1547, war bereits mehrfach Gegenstand von Kinofilmen und Fernsehserien. Nun hat der brasilianisch-algerische Regisseur Karim Aïnouz mit „Firebrand“ ein Porträt des Monarchen entwickelt, das ihn dediziert zum Schurken in der Geschichte seiner letzten Ehefrau Catherine Parr werden lässt.
„Firebrand“ basiert nur oberflächlich auf dem 2013 erschienenen Roman „Queen’s Gambit“ von Elizabeth Freemantle. Der brasilianisch-algerische Regisseur Karim Aïnouz fokussiert in seinem ersten Spielfilm die letzten Ehejahre des königlichen Paares und deren Zersetzung durch die Macht: Wir befinden uns am Hofe König Heinrichs dem VIII. Catherine Parr (Alicia Vikander), die sechste und letzte Frau des berüchtigten Monarchen, versucht den Hof zugunsten einer friedvolleren Regentschaft zu lenken. Als Heinrich (Jude Law) nach seinen Feldzügen zurückkehrt, lässt er zunächst eine Jugendfreundin von Parr wegen Verrats auf dem Scheiterhaufen hinrichten. Alsbald erahnt Parr, dass ihr Ehemann zu einem paranoiden und despotischen Machtmenschen verkommen ist. Nun muss sie um ihr eigenes Leben bangen, denn sie ist in den Augen der patriarchalen Hegemonie die titelgebende Brandstifterin, die die Stabilität des Königreiches gefährden könnte.
Moderne Neuinterpretation
Obwohl der Film, opulent in seiner Ausstattung, sich eindeutig als Historiendrama und Kostümfilm ausgibt, beschreitet er doch zunehmend die Pfade des psychologischen Horrors, der in seiner Dekonstruktion des englischen Adels und der Monarchie sogar an Pablo Larraíns „Spencer“ (2021) erinnert. Catherine Parr und Diana Spencer werden da gleichermaßen als Opfer und Vorzeigefiguren eines selbstbestimmten weiblichen Strebens interpretiert. Ähnlich wie Larraín erzählt Aïnouz diese leise Ermächtigungsgeschichte überaus anachronistisch und entschieden gegen historische Fakten. Nicht der Anspruch eines authentischen Geschichtsbildes steht hier im Mittelpunkt, sondern der einer modernen Neuinterpretation, die sich an klassischen Geschlechterrollen abarbeitet und entlang aktueller Genderdiskurse bewegt.
Dafür sticht zunächst Alicia Vikander als Königin hervor, die mit Geschick die absolutistische Männerhierarchie zu unterwandern versucht, innerhalb eines Systems, das Frauen a priori keine Stimme zugesteht – ein Umstand, der indes nicht über einige Drehbuchschwächen hinwegtäuschen kann. Freilich: Eine erfrischende, weil entschlossen abwertende Sichtweise auf die Regentschaft Heinrich des VIII. ist „Firebrand“ allemal. Nicht so sehr interessieren Aïnouz die politischen Ränkeschmiede am Hofe, wohl aber das Bild einer progressiven Königin, die sich als gemäßigte Vertreterin des Protestantismus viel näher an den Belangen der Bevölkerung befindet.
#MeToo
Man könnte „Firebrand“ wohl als einen jener Post-#MeToo-Filme begreifen, der eine historische Frauenfigur mit einer zeitgenössischen Botschaft auflädt – und demgemäß auch Catherine Parr als feministische Pionierin und Vorzeigekämpferin. Entschieden aus der Frauenperspektive erzählt, lässt „Firebrand“ den Monarchen ganz zum Schurken verkommen. Führt man sich die Serie „The Tudors“ unter der Feder von Michael Hirst nochmals vor Augen, bietet „Firebrand“ nun ein ausgesprochen krasses Gegenbild dazu. „The Tudors“ beruht ganz auf der Erlebniswelt des Regenten und gibt die Frauenfiguren eher als lustvolle Schauobjekte preis – der Mann wird in der Folge als temperamentvolles Opfer der Umstände und Zwänge des Hofes zeichnet. Im Gegensatz dazu ist „Firebrand“ an Entromantisierung und Dekonstruktion der historischen Figur interessiert.
Jonathan Rhys Meyers verstand es ausgesprochen gut, diese leidvollen Stimmungsschwankungen des königlichen Gemüts einzufangen, ihn als Spielball diverser Einflüsse seiner Entourage zu lesen und ihn somit als verletzte und gequälte Seele zu zeichnen. Fettleibig und gewalttätig hat die Interpretation durch Jude Law indes nur noch wenig gemein mit der an heutigen normativen Schönheitsidealen orientierten Darstellung, die noch Jonathan Rhys Meyers oder Eric Bana in der Verfilmung „The Other Boleyn Girl“ (2008) boten. Die Interpretation eines brutalen, paranoiden Machtmenschen, der die Grenze zum Wahn längst überschritten hat, bleibt da aber deutlich stärker im Gedächtnis haften. Seine Darstellung verbildlicht auch die Idee der Fäulnis von Macht: Jude Law gibt diesen Heinrich als alternden, schwer atmenden und ständig grunzenden König, dessen verletztes Bein ihn zunehmend lähmt und langsam den gesamten Körper zersetzt.
Luft nach oben
So sehr der Film als zeitgenössische Neuinterpretation der Historie verstanden werden will, so sehr lässt er indes eine spezifische Autorenhandschrift von Aïnouz vermissen. „Firebrand“ ist überaus unbetont in der Form und unterwirft sich den Logiken des Historiendramas als Ausstattungs- und Kostümfilm. Sein zweiter Spielfilm, „Motel Destino“, um einen entflohenen Kleinkriminellen, der bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes seine Premiere feierte, war da überaus einprägsamer.
Dieser Erotikthriller, der sich selbst als „tropischer Noir“ bezeichnet, handelt vom Animalischen im Menschen, von befreiter Lust und Voyeurismus, entwickelt aber nur selten eine Aussagekraft. Besonders die stilistischen Anleihen bei der Neo(n)-Noir-Ästhetik von Nicolas Winding Refn sind eindrücklich, erreichen aber nur selten die Größe, mit der der Däne operiert. Aïnouz präsentiert sich so zumindest als ein versierter Handwerker, dessen Autorenstatus sich indes mit weiteren Filmen entfalten muss.
„Firebrand“, u.a. im Ciné Utopia, Kinepolis Kirchberg und Kinepolis Belval.
„Strange Darling“: Spielerisch-spannende Unterwanderung
Der Serienmörder-Film hat sich weithin als ein Subgenre des Thrillers etabliert: Mit „Strange Darling“ präsentiert der amerikanische Filmregisseur JT Mollner eine erzählerisch-verspielte Variation der Standardmotive und Situationen des Genres.
Blutüberströmt rennt eine Frau (Willa Fitzgerald) zu einer Coverversion von „Love Hurts“ durch den Wald. Der nach ihr rufende Mann (Kyle Gallner) ist ihr, mit dem Gewehr in der Hand, dicht auf den Fersen. Mit seiner Einstellung weiß JT Mollner das Standardmotiv des „final girl“ zu evozieren, das im Serienmörder-Film spätestens nach „Scream“ (1996) zu weitreichender Bekanntheit geführt hat, weil er seine Erzählmuster selbstreferenziell und nahezu parodistisch mitführte. Aber Mollners neuer Film ist weder ein simpler Abruf etablierter Situationen des Genres noch eine persiflierende Dekonstruktion. Es ist vielmehr ein spritziger und ironischer Kommentar darauf: Alles beginnt mit einem One-Night-Stand, der sich in eine bösartige Mordserie eines unberechenbaren Killers verwandelt.
Sechs Kapitel ohne chronologische Reihenfolge
Im Zentrum der Handlung stehen die beiden namenlosen Protagonisten, die sich im Laufe der Handlung ein sehr unschönes Ende bereiten wollen. Der Film ist in sechs verschiedene Kapitel unterteilt, die nicht chronologisch präsentiert werden: Darin liegt der essenzielle Reiz von „Strange Darling“, denn der Film vermag es sein Publikum stets in eine Position zu zwingen, das Gesehene neu zu interpretieren, anders auszulegen als zuvor, weil sich immer neue Facetten abgewinnen lassen und die Täter-Opfer-Rolle beständig hin- und herwechselt. JT Mollner bezieht daraus seinen besonderen Effekt, wenn sich Ursache und Wirkung nicht mehr folgerichtig zueinander verhalten und die festen Formeln filmischer Genreerzählungen nicht mehr greifen wollen.
Die Darstellerin Willa Fitzgerald und ihr Schauspielpartner Kyle Gallner liefern sich dieses unerbittliche Katz-und-Maus-Spiel, das auch ein schauspielerisches Duell ist: Immer wieder unterwandert sich das Darstellerpaar gegenseitig, immer wieder wird eine neue Facette der Charaktere offengelegt, bis die Doppeldeutigkeiten das gesamte Geschehen bestimmen: Jede Geste, jede mimische Regung ist da plötzlich unheilvoll aufgeladen. JT Mollners „Strange Darling“ zeigt, dass filmische Konventionen und Erzählweisen auf spielerisch-spannende Weise auch heute noch unterwandert werden können.
„Strange Darling“, u.a. im Ciné Utopia und Kinepolis Kirchberg.
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