Kino / Von queerem Film noir bis zum Racheakt: „Love Lies Bleeding“ und „Le Comte de Monte-Cristo“
Neon-Noir-Ästhetik auf der einen, Mantel-und-Degen-Welt auf der anderen Seite: Wie schneiden die Neuerscheinungen „Love Lies Bleeding“ und „Le comte de Monte-Cristo“ ab?
„Love Lies Bleeding“: Schweiß, Muskeln und Pistolen
Die britische Regisseurin Rose Glass („Saint Maud“, 2019) präsentiert mit „Love Lies Bleeding“ ihren zweiten Spielfilm: Eine queere Liebesgeschichte, die zunehmend Mut zur erzählerischen Offenheit beweist, dafür aber umso mehr eine formalästhetische Noir-Welt beschwört, die stark an die Stilistik des 80er-Jahre-Kinos angelehnt ist und von der Schauspielerin Kristen Stewart in der Hauptrolle getragen wird.
Die bizarr-martialischen Motivationssprüche haben in ihrer Archaik fast etwas Bizarr-komisches: „Nur Loser geben auf“ und „Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt“ heißt es da in großen Lettern von den schäbigen Wänden eines herabgekommenen Fitnessstudios. Die Besitzerin dieses Studios ist Lou (Kristen Stewart), sie lebt in einem verschlafenen Ort im US-Staat New Mexico und führt ein ganz trostloses Dasein. Sie verliebt sich in die Bodybuilderin Jackie (Katy M O’Brian), die als Kellnerin in einem Schießstand arbeitet, der ausgerechnet von Lous zwielichtigem Vater (Ed Harris) geführt wird, der Verbindungen zur Unterwelt und dem illegalen Waffenhandel hält, zu seiner Tochter aber überhaupt keinen Kontakt mehr hat.
Obwohl Lou dieser männerdominierten Hölle schon längst entschwunden sein möchte, hält es sie dort, gerade weil ihre Tante Beth (Jena Malone) von ihrem gewalttätigen Mann JJ (Dave Franco) regelmäßig misshandelt wird. Es ist ein ganz spannungsgeladenes Beziehungsgefecht, in das das Publikum da hineingeworfen wird; es braucht nicht viel, bis sich die körperliche Gewalt Bahn bricht und die zunächst absehbar anmutende Liebesgeschichte zu einer wilden Gangstergeschichte wird, ganz im Stile einer modernen Neon-Noir-Ästhetik mitsamt Elementen des Roadmovies – ein wilder Genremix, der gegen Ende sogar Exkurse ins Fantastische bereithält.
Gegen toxische Stereotypen
Es ist ein Zeichensystem aus Schweiß, Muskeln und Pistolen, das zunächst irritiert. Denn nicht alles wird in „Love Lies Bleeding“ auserzählt: Bewusst lässt Glass Uneindeutigkeiten stehen, belässt es bei Andeutungen und setzt vielmehr auf den Sogeffekt, der durch seine Stilsicherheit ausgelöst wird und in den Bann dieser formbetonten Welt ziehen soll. Die Regisseurin Rose Glass inszeniert diese queere Liebesgeschichte in einem sehr pointierten Stilverfahren: Blut- und Gewaltexzesse werden in ein Bad aus harten Schatten und Neonlicht getränkt, dazu poppige Elektromusik von Komponist Clint Mansell. Es ist unverkennbar die Ästhetik des Kinos der 80er-Jahre, auf die sich in „Love Lies Bleeding“ berufen wird – sie wird zelebriert und ihre ganze Künstlichkeit präzise auf die Oberfläche des Gezeigten gesetzt.
„Love Lies Bleeding“ ist Rose Glasses zweite Regiearbeit nach „Saint Maud“ (2019), einem Film über eine junge, tiefreligiöse Krankenschwester, die in ihrer Beziehung zu einer lesbischen Tanzchoreografin mit dem Unheimlichen und Übernatürlichen konfrontiert wird; ein Film, der bereits dediziert eine Frauenperspektive entgegen den Stereotypen des Horrorgenres inszenierte. In „Love Lies Bleeding“ zielt Glass nun ebenso auf eine Unterwanderung der männerdominierten Genrecodes ab. Die Männlichkeitssymbole, die da prangen, sind derart überzeichnet, dass sie nur noch als ironisch gebrochen aufgenommen werden können, ja, sie werden durch die der Weiblichkeit gleichsam überschrieben.
Gezielt wird hier entgegen stereotypen weiblichen Körperbildern im Kino inszeniert – wenn Jackie im Fitnessstudio ihre Muskeln trainiert, bekundet die Kamera ein augenfälliges Interesse an diesen. Diese ins Groteske gesteigerte Wahrnehmung des Körpers erinnert an die Body-Horror-Motivik, die besonders David Cronenberg in den 80er-Jahren populär machte. Bezüge zu David Lynch, Nicolas Winding Refn oder noch Ridley Scott lässt der Film wohl zu, jedoch formt er diese Bezüge zu einer neuartigen queerfeministischen Sprache: Der Ausbruch aus der Kleinstadtödnis, das Auflehnen gegen die toxische Männlichkeit kommt auch mit einer freimütigen Sinnlichkeit zwischen den beiden Frauen im Zentrum der Erzählung daher, die man so im gegenwärtigen US-Kino nur selten sieht.
Zu sehen im Kinepolis Belval und im Ciné Utopia.
„Le comte de Monte-Cristo“: Rache als Gerechtigkeit
Das populäre französische Kino scheint seine großen Klassiker der Abenteuerliteratur wiederzuentdecken: Nach dem Zweiteiler „Les trois mousquetaires“ (2022, 2023) erscheint nun „Le comte de Monte-Cristo“, eine weitere Mantel-und-Degen-Geschichte nach einem Roman von Alexandre Dumas. Die Neufassung dieser Racheerzählung setzt Pierre Niney in die Hauptrolle.
Wenn „Les trois mousquetaires“ als eine Geschichte um die Brüderlichkeit und den Zusammenhalt der Gruppe gegenüber der politischen Intrige gelten darf, dann ist „Le comte de Monte-Cristo“ eine verschobene Perspektive auf den Mantel-und-Degen-Stoff: Hier nämlich geht es um den einsamen Rächer, der seine besudelte Ehre mit äußerster Unerbittlichkeit zu verteidigen sucht. Es geht um den jungen Edmond Dantes (Pierre Niney), dem zunächst Ruhm und Anerkennung zuteilwerden: Als erfolgreicher Schiffsfahrer hält er um die Hand der angesehenen Mercédès (Anaïs Demoustier) an, doch aufgrund eines Komplotts wird er unschuldig unter Anklage gestellt und auf Lebzeiten in ein Gefängnis gesperrt. Doch das Schicksal will es anders, Dantes entkommt und gelangt zu neuem Reichtum: Fortan spinnt er unter einer neuen Identität, als Graf von Monte Christo, eine große Racheintrige, die seine einstigen Feinde unerbittlich ins Visier nimmt.
Mit seinem Netz aus schurkischen Intrigen, dramatischen Wendungen, gefühlsbetonter Sentimentalität und einer guten Portion Action bot „Le Comte de Monte-Cristo“ selbstredend reichhaltiges Adaptionspotenzial für den Film. Tatsächlich wurde der Roman von Dumas schon etliche Male unter diversesten Schwerpunktsetzungen für die Leinwand adaptiert: Nach einer Reihe von Adaptionen aus Hollywood, die sich freilich mehr Freiheiten im Umgang mit der Vorlage erlaubten, waren es gerade die beiden französischen Varianten von 1954 und 1961, die sich wieder näher an eine werkgetreue Aneignung hielten.
Das Regieduo Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte nimmt die Vorlage ebenso ernst, formt sie wohl stellenweise um, gestattet sich aber kaum humorvolle Einlangen, so sehr wird hier die Rache als eine amoralische Form der Gerechtigkeit gelesen. Für eine Figur, die so ambivalent tragisch ist wie der von Pierre Niney verkörperte Dantès, ist hier kein Raum für die herzhafte Leichtigkeit eines Swashbucklers. Die vorwiegende Abwesenheit komödiantischer Färbung mag zunächst verwundern, sind doch die beiden Regisseure besonders für ihre Film- und Theaterarbeiten wie „Le prénom“ und „Un dîner d’adieu“ bekannt.
Klassiker, neu interpretiert
Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte waren zuvor am Drehbuch der neuerlichen zweiteiligen Musketier-Verfilmung beteiligt und da wie hier wird gleicherweise breit und schauprächtig inszeniert, was auf der Ebene der visuellen Gestaltung durchaus seinen Reiz hat, in der Dramaturgie aber eher vage und zitathaft bleibt. Wie in Dumas‘ Roman dreht sich die Rachemechanik des Grafen von Monte Christo vor allem um ein Spiel mit Verkleidungen; ein Spiel aus Maske und Täuschung, in dem alles auf die gefühlsbeladene finale Enthüllung und die Verwirrung hinausläuft, die durch das Auftauchen eines Wiedergängers ausgelöst wird. Denn auch dieser episch breit angelegte Film lebt vorrangig von seiner affektierten Erzählhaltung: Durch und durch perfide ist die Verschwörung, die da im Schulterschluss aus Militär, Staatsfinanz und Justiz gesponnen wird, schurkisch und nichts als schurkisch ist das intrigante Vorgehen des Generals Fernand de Morcerf, herzzerreißend ist die unmögliche Liebe Dantes‘ zu Mercedes, tragisch sind die dramatischen Wendepunkte vom höchsten Glück zu tiefstem Leid, Auf- und Abstieg sind ganz unweit voneinander entfernt.
Die erfahrene Schmähung und das unsägliche Leid reproduzieren indes – und darin liegt die ganze erzählerische Virtuosität von Alexandre Dumas’ Roman – die gleichen manipulativen und berechnenden Verhältnisse. So sehr der Stoff die Rache als unbedingte, aber ambivalente Form der Gerechtigkeit sieht, ja als eine Anmaßung, als eine Erhebung über Gott, so sehr stellt sie ihren letztlich leeren Gehalt aus. Die Rachegelüste des Grafen sind so unstillbar, wie seine Rückkehr zu einem früheren Selbst aussichtslos ist.
Zu sehen im Kinepolis Belval, Kinepolis Kirchberg und Ciné Utopia.
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