Kino / Von Spukpuppen zum Mond: „Longlegs“ und „To the Moon“
Ein Film über einen gesuchten Mörder und einer über die NASA – auf den ersten Blick haben der Thriller „Longlegs“ und die romantische Komödie „To the Moon“ nichts gemeinsam. Doch in einem Punkt kommen sie sich doch näher als gedacht – und dies bezieht sich weniger auf die Handlung als auf die Regie und das Erzählsystem.
„Longlegs“: Der Schatten David Finchers
„Longlegs“, der neue Film des Regisseurs Oz Perkins, handelt um eine junge FBI-Agentin, die in einem verschlafenen Vorstadtort einen Serienmörder dingfest machen soll. Der Film ist eine unausgegorene Mischung aus Thriller und Horror, der sich nicht recht entscheiden kann, welcher Tendenz er wirklich angehören will. Nicolas Cage als psychopathischer Täter entwickelt dabei aber eine ungemein eindringliche Leinwandpräsenz.
Genrehybride sind im Kino keine Seltenheit mehr – tatsächlich gibt es heute mehr Mischformen, als es „reine“ Genrefilme gibt. „Longlegs“ ist eine solche Mischform, deren Zusammensetzung sich aber mehr und mehr zu einem Ausdruck mangelnder Konzeption entwickelt, als einer tatsächlich wirksam gestifteten Auflösung der Genregrenzen. Die Handlung ist zunächst sehr musterhaft angelegt, um sie der kriminalistischen Erzähltradition zuzuordnen: Eine aufgeweckte junge FBI-Agentin wird von ihrem Vorgesetzten angeworben, um bei der Untersuchung einer Reihe ungelöster Morde zu helfen. Von einem vergangenen Familientrauma verfolgt, taucht die Agentin Lee (Maika Monroe) in einen albtraumhaften Abgrund ein, der sich in grauen, verschneiten oder nebelüberhangenen Ecken einer amerikanischen Kleinstadt entfaltet. Dabei kommt sie dem gesuchten Mörder, Longlegs genannt, immer näher. Sie entwirrt nach und nach ein Netz aus okkulten Praktiken, wird mit ungeahnten Enthüllungen konfrontiert und muss sich schließlich selbst als Teil des Puzzles in den Blick nehmen.
Verstörende Krimis
Es ist wohl David Finchers Schatten, der über einer ganz spezifischen Form des filmischen Thrillers liegt: Mit „Seven“ (1995) oder noch „Zodiac“ (2007) hat er zwei überaus düstere und verstörende Kriminalgeschichten über einen Serienmörder geschaffen, die in ihrer Ästhetik prägend sein sollten für eine Vielzahl ähnlicher Filme des Genres, eine Tendenz, die sich nun mit „Longlegs“ bestätigt. Der Film von Oz Perkins verlässt dabei zunehmend die Gefilde des Thrillers und wendet sich dem Horror-Genre zu, lässt das Übernatürliche dort einfließen, wo zuvor noch das logische Diktat der faktischen Deduktion die Handlung bestimmte. Diese Wendung, die Konfrontation der Heldin mit dem Unerklärlichen und mithin das Aufbrechen der Genregrenzen ist freilich nicht sonderlich neu, so arbiträr und unzufriedenstellend, wie Perkins sie anlegt, kann letztlich nur in ein unausgegorenes Filmerlebnis münden.
Den mysteriösen und geistig gestörten Longlegs gibt hier Nicolas Cage, der Lichtblick dieses Films, in einer von ihm gewohnt körperbetonten und expressiven Weise, die an Filme des deutschen Expressionismus der Weimarer Zeit erinnert – eine exaltierte Darstellungsform, die für Cages’ Schauspiel immer schon eine bedeutsame Bezugsquelle gewesen ist. „Longlegs“ bringt im Laufe der Handlung Spukpuppen, codierte Hinweise und einen Serienmörder mit einer Verbindung zu Satan zusammen. Wie das Ganze zusammenhängt, lässt sich aber nicht ganz erschließen – zu sehr geht es dem Film um das Abrufen bekannter Standardsituationen des Genrekinos, die sich aber untereinander nicht stimmig verhalten. An der Auflösung seiner Mysterien ist der Film am Ende ohnehin nicht mehr wirklich interessiert. Die satanische Verehrung, die da aufgeworfen wird, ebenso wie andere eingeflochtene Handlungselemente verbleiben ohne wirkliche Entwicklung: Sie sind Indizien dafür, dass Osgood vermutlich die ganze Zeit blindlings gesteuert haben muss. Nie entwickeln sich aus diesen Einschüben wirkliche Denkansätze, nie wird eine Religionskritik da wirklich spürbar.
Wenig am Ende des Films ergibt Sinn oder befriedigt die Erwartungshaltungen. Die großen Sinnfragen, die der Thriller aufzumachen vermag und dem Genrefilm somit zur Größe verhilft, etwa der Identitätsverlust, der Riss in der Fassade des scheinbar Ordnungsmäßigen, des Gutbürgerlichen – all das kommt hier nicht zum Tragen. Ein Regisseur wie David Fincher hat entsprechende Themen für den Thriller sicherlich nicht erfunden, aber er hat sie in einer neuerlichen Filmsprache zu einem Höhepunkt gebracht. „Longlegs“ reiht sich indes in eine lange Liste von besseren Filmen ein.
Im Kinepolis Belval, Kinepolis Kirchberg und Ciné Utopia zu sehen.
„To the Moon“: Die Lüge als Gewissheit
Die Mondlandung gehört zu den größten Verschwörungstheorien weltweit. Mit „To The Moon“ nimmt Hollywood sich dieser im Rahmen einer romantischen Komödie an, die von einem anständigen NASA-Flugdirektor und einer zwielichtigen PR-Managerin in den 1960er-Jahren erzählt und dabei zwei verschiedene Perspektiven auf Geschichte entwickelt.
Gegensätze ziehen sich an: Sie ist die verschlagene PR-Managerin Kelly Jones (Scarlett Johansson), er der integre Flugdirektor Cole Davis (Channing Tatum) von der NASA, beide verlieben sich augenblicklich ineinander und müssen dann auch schon ein gemeinsames Problem bewältigen: Das Image der NASA ist angeschlagen, eine neue Kampagne soll das Ansehen der Raumfahrtbasis im Cape Canaveral wieder aufbessern – nicht zuletzt, weil die Sowjetunion mit der Sputnik-Mission ihre Vormachtstellung in der Eroberung des Weltalls eindrücklich bewiesen hat. Kelly Jones bietet sich eine lukrative Karrieremöglichkeit in der Person von Moe Berkus (Woody Harrelson), einem Vertreter des US-Geheimdienstes. Er will, dass sie die NASA und das Projekt der Mondlandung wieder salonfähig macht, wo doch der Vietnamkrieg und Bürgerproteste das Land in Atem halten. Zur Absicherung soll sie obendrein doch glatt die Mondlandung fälschen, damit in allen Fällen Bilder der Weltall-Eroberung live über die Fernsehbildschirme flimmern können. Cole Davis hingegen weiß nichts von entsprechenden Täuschungsmanövern und glaubt ganz an den Erfolg der echten Raumfahrtmission, die er unter enormem finanziellen Druck begleitet. Dass sich die NASA erneuern muss, darüber sind sich die beiden einig, nur nicht darüber, welche Wege man dafür einschlagen soll …
Von Unentschlossenheit und „Fake News“
„To The Moon“ entwickelt über sein Gegensatzpaar im Stile der romantischen Komödie zwei unterschiedliche Perspektiven auf Geschichtsschreibung: Es gibt die faktische Wahrheit und die alternative Möglichkeit, dabei kann sich der Film über weite Strecken hinweg nicht recht entscheiden, welcher Richtung er sich nun wahrlich zugehörig fühlen soll: Für ein Plädoyer über die amerikanische Heldenhaftigkeit, die in der Figur des Cole Davis auffällig affirmiert wird, liebäugelt dieses Werk von Regisseur Greg Berlanti dann doch zu sehr mit der Lüge. Er affirmiert sie weitläufig als die allumfassende, absichernde Gewissheit, die den Sieg im Kampf um die „wahre Ideologie“ sichern und das Gemeinschaftsgefühl der Amerikaner letztlich stärken soll. Das Erreichen des Mondes geht dabei mit der Fügung des Liebespaares einher, nur hat der Film in dieser Hinsicht ein spannungstechnisches Problem: Der Ausgang der Geschichte ist bekannt, die Mondlandung wird glücken, Neil Armstrongs Worte werden um die Welt zirkulieren und in die Geschichte eingehen.
Das, was Regisseur Damien Chazelle mit „First Man“ (2018) noch als den großen Triumph des Menschen über alle räumlichen und natürlichen Grenzen hinweg überaus pathetisch und pompös feierte, ist hier nur mehr Aufhänger für einen bitterbösen satirischen Hieb aus der Vergangenheit in Richtung von „Fake News“ und „Alternative Facts“ von heute, die den politischen Diskurs der Vereinigten Staaten bestimmen und das Präsidentenamt schwerlich beschädigen. Nicht die spannungsgeladenen emotionalen Wendepunkte eines Dramas bestimmen den Grundton dieser Erzählung, die humoristischen und spitzen Volten der romantischen Komödie indes auch nicht.
Weder Scarlett Johansson noch Channing Tatum können diesen Figuren wirklich Leben einhauchen, noch können sie eine wirkliche Leidenschaft zwischen einander beschwören, zu sehr sind sie bloße Wortgeber: fixe Zeichen in einem Erzählsystem, das sich selbst nicht zu positionieren weiß. Die aus beiden Richtungen strömende Präsentation von Geschichte verkauft „To The Moon“ als einen letztlich gemeinsamen und ordnungsstiftenden Ausdruck des gesamtamerikanischen Überlegenheitsgedankens, dessen entschiedener Pragmatismus alle Probleme zu beseitigen weiß – dass da am Ende die Wahrheit obsiegt und die Lüge ausmerzt, resultiert letztlich aus einer beidseitigen glücklichen Fügung.
Im Kinepolis Belval und Kinepolis Kirchberg zu sehen.
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