Künstliche Intelligenz / Wenn Maschinen kreativ sind
In einer Welt, in der künstliche Intelligenzen immer besser werden, erobern sie sich auch Bereiche, die man vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hat. Bereits jetzt komponieren KIs Musik und erfinden neue Rezepte. Selbst wenn Maschinen damit ein menschliches Monopol brechen, ist das aber nicht das Ende der Welt.
Kann eine künstliche Intelligenz kreativ sein? Als ich diese Frage einem Freund stellte, der gerade seinen Doktortitel in dem weiten Feld macht, das populärwissenschaftlich immer als künstliche Intelligenz bezeichnet wird, war seine erste Reaktion wenig eindeutig. „Das ist wohl eher eine philosophische Frage“, meinte er.
Wie immer ist es wichtig, sich zuerst die Begrifflichkeiten anzusehen. „Kreativ“ ist einer dieser Begriffe, von denen jeder zu wissen glaubt, was sie bedeuten, wenn in Wirklichkeit jeder ein wenig etwas anderes darunter versteht. Es genügt, mit einer kleinen Gruppe in ein Museum für zeitgenössische Kunst zu gehen, um zu sehen, wie das gemeint ist.
Der in solchen Fällen oft bemühte Duden definiert das Wort „kreativ“ als „schöpferisch; Ideen habend und diese gestalterisch verwirklichend“. Tatsächlich gibt es dazu eine Menge Forschung und eine Flut unterschiedlicher Ansätze. Der Intelligenzforscher Joy Paul Guilford sah in der Kreativität eine spezielle Form des Denkens, die er als „divergentes Denken“ bezeichnet hat. Diese Art zu denken umfasst mehrere Dimensionen und dazu gehört, Probleme selbstständig zu erkennen und in kurzer Zeit mit mehreren Lösungen aufzuwarten. Genauso wie die Fähigkeit, ausgelutschte Denkweisen hinter sich zu lassen und zu improvisieren.
Obst und Gemüse
Genauso kompliziert wie um die Kreativität steht es um den Terminus „künstliche Intelligenz“. Wissenschaftler meiden dieses Wort, weil es unpräzise ist – ein vager Oberbegriff für eine ganze Reihe von Computerprogrammen, die sich zum Teil sehr voneinander unterscheiden. Der Begriff passt sich darüber hinaus dem Fortschritt der Technik an. Ein Programm, das früher als unglaublich intelligent galt, ist heute eher lahm. Wenn heute von künstlicher Intelligenz die Rede ist, sind meistens Neuronale Netzwerke (NN) gemeint. Dabei handelt es sich um Programme, die die Funktion des menschlichen Gehirns vage imitieren sollen. Sie können „trainiert“ werden, um eine Aufgabe zu erfüllen. Der Onlineversandhändler Amazon etwa hat 2017 ein NN darauf trainiert, beschädigtes Obst und Gemüse zu erkennen. Die Idee sei entstanden, als Amazon frische Lebensmittel ins Sortiment genommen hat und habe den Vorteil, dass die Qualitätskontrolle konsistenter ist, als wenn menschliche Qualitätstester die Ware unterschiedlich streng beurteilen, heißt es in einem Video des Unternehmens.
In den Neunzigerjahren, als der PC auch in Luxemburg in den meisten Haushalten Einzug hielt, wurde fast gebetsmühlenartig das Mantra wiederholt: „Computer können den Menschen nicht ersetzen, schließlich können sie nur Befehle ausführen.“ Einerseits stimmt dies noch. Selbst die besten künstlichen Intelligenzen sind heute auf eine spezifische Aufgabe festgelegt. Zum Beispiel darauf, Text zu übersetzen. Andererseits ist es aber eine Spezialität von künstlichen Intelligenzen, aus riesigen Datenmengen Muster herauszulesen und neue Muster zu schaffen.
So kann heutige KI bereits Aufgaben durchführen, auf die schöpferische Kraft des Menschen vor wenigen Jahren noch ein Monopol hatte. Darunter fallen so unglaubliche Dinge wie Musik schreiben und Rezepte für Mahlzeiten erfinden, zwei Fähigkeiten, die man vor wenigen Jahren einem Computer noch nicht zugerechnet hätte.
Schönes schaffen
Der IBM-Computerexperte Arvind Krishna macht in einem Bericht über dieses Thema darauf aufmerksam, dass man eine Maschine zwar anhand von Beispielen darauf trainieren kann, was nach Meinung ihrer Erschaffer schön ist. Allerdings sei es eine viel schwierigere Aufgabe, sie dann dazu zu befähigen, selber von Grund auf etwas Schönes zu schaffen.
Der KI-Experte Jürgen Schmidhuber ist unter anderem bekannt für seine „Formale Theorie des Spaßes, der Neugier und der Kreativität“. Darin diskutiert er, was Menschen und Maschinen antreibt, sich zu verbessern und warum sie kreativ sind. Dabei spielt die intrinsische Motivation eine Rolle. Mit anderen Worten: das gute Gefühl, etwas Neues geschaffen zu haben. Dieses „Freudensignal“ kann man Schmidhuber zufolge künstlichen Intelligenzen einprogrammieren. Wenn ein künstlicher Wissenschaftler oder ein künstlicher Komponist ein neues Muster findet, dann motiviert ihn das, weiterzumachen und „… durch weitere Suche etwas zu finden, was die Regeln des Alten bricht und Neue hinzufügt“, wie Schmidhuber 2017 in einem Interview mit dem Tageblatt erklärte.
Neben der Obst-Sache arbeitet der Online-Versandhändler Amazon an vielen Fronten an der Entwicklung von künstlichen Intelligenzen. 2017 berichtete die MIT Technology Review über die Bemühungen des Internetriesen, KI in der Mode zu nutzen. So arbeitete ein Team daran, eine KI zu entwickeln, die feststellen kann, ob ein Outfit als modisch gilt. Ein anderes Team hat parallel dazu an einer KI gearbeitet, die einen bestimmten Modestil anhand von Bildern kennenlernt und dann von Grund auf neue Kleidungsstücke in einem ähnlichen Stil erstellen kann.
Food-Truck
Der Computerriese IBM machte vor einigen Jahren schon mit seiner KI Watson auf sich aufmerksam. Bekanntheit erlangte Watson dadurch, dass sie erfolgreich beim Fernsehquiz „Jeopardy!“ gegen menschliche Kontrahenten angetreten ist. Eine weniger bekannte Qualität des IBM-Programms sind seine Skills in der Küche. Die Maschine ist dazu fähig, selbstständig neue Rezepte zu kreieren. IBM machte dafür Werbung, indem der Konzern mit einem Food-Truck tourte, in dem die neuen Rezepte präsentiert wurden.
Und was bedeutet es, wenn Computer auf einmal Kunstwerke schaffen können? Dürfen diese Erzeugnisse als solche bezeichnet werden? Ist das schlecht für menschliche Künstler? Zeuge einer solchen Diskussion wurde im Jahr 2017 das junge Luxemburger Unternehmen Aiva. Dieses hat ein Programm entwickelt, das eigenständig neue Musikstücke schreiben kann, nachdem es mit Hunderten von Werken (von menschlichen Komponisten) gefüttert wurde. Damals wurde Aiva damit beauftragt, ein neues Stück für den Nationalfeiertag zu komponieren. Die Vereinigung der Komponisten kritisierte diese Entscheidung. Eine Aussprache zwischen der Firma und der Organisation der Komponisten glättete die Wogen. Aiva ist inzwischen eine fest etablierte Größe in Luxemburg und hat vor kurzem erst eine neue Finanzrunde erfolgreich abgeschlossen.
Gute Manieren
In seinem vor zwanzig Jahren erschienenen Roman „Blicke windwärts“ beschreibt Iain Banks eine Unterhaltung zwischen dem Komponisten Ziller und der künstlichen Intelligenz Hub. Ziller ist im Begriff, sein neuestes Opus zu vollenden und fragt sich, was sein Schaffen wert ist, wenn eine künstliche Intelligenz eine Oper in der Zeit schreiben kann, die ein Wimpernschlag dauert. Nachdem der zynische Komponist seine Bedenken zugegeben hat, bemüht die freundliche Maschine den Vergleich zu einem Bergsteiger: „Manche Menschen brauchen Tage, schwitzen eimerweise, ertragen Schmerzen und Kälte und riskieren Verletzungen und – in einigen Fällen – den dauerhaften Tod, um den Gipfel eines Berges zu erreichen, nur um dort eine Gruppe ihresgleichen zu entdecken, die frisch mit dem Flugzeug angekommen ist und ein leichtes Picknick genießt.“ Als Ziller daraufhin erwidert, dass ihm das gar nicht gefallen würde, sagt Hub: „Nun, es gilt als ziemlich unhöflich, ein Flugzeug auf einem Gipfel zu landen, den sich die Menschen in diesem Moment auf die harte Tour erkämpfen, aber es kann und wird geschehen. Gute Manieren legen nahe, dass das Picknick geteilt werden sollte und dass diejenigen, die mit dem Flugzeug angekommen sind, Ehrfurcht und Respekt vor der Leistung der Bergsteiger zum Ausdruck bringen. Es geht natürlich darum, dass die Leute, die Tage verbrachten und eimerweise schwitzten, auch mit einem Flugzeug zum Gipfel hätten fliegen können, wenn sie nur die Aussicht hätten genießen wollen. Es ist die Herausforderung, nach der sie sich sehnen. Das Erfolgserlebnis wird durch den Weg zum und vom Gipfel erzeugt, nicht durch den Gipfel selbst. Es ist nur der Falz zwischen den Seiten.“
KI-Experte Schmidhuber glaubt daran, dass künstliche Intelligenzen die Menschen nicht verdrängen werden. Im Interview mit dem Tageblatt drückte er es wie folgt aus: „Sie können auch in einer total rationalen Welt ständig neue Quellen der Schönheit und des Glücks finden. Leute und KI werden nach wie vor Musik komponieren. Sie werden neue Muster schaffen, zur Erbauung anderer und der Komponisten selbst. Es gibt nach wie vor unendliche neue Quellen des Entzückens.“
Jetzt kommen bestimmt wieder die üblichen Verdächtigen und fragen:
Kann denn ein Computer wirklich große Literatur schreiben oder ein Meisterwerk komponieren?
Da fragt man immer: Können SIE das denn als echter Mensch?