/ Willkommen zur Speckweg-Show – Der Debütroman von Entertainer Jürgen von der Lippe
Mehr als zwei Tonnen Gewicht bringen die 20 Kandidaten zusammen auf die Waage, doch das soll sich schleunigst ändern. Das Fernsehen kümmert sich um ihr stattliches Problem auf seine Weise: Es macht ein serielles Format daraus.
Von Oliver Seifert
In der „Speckweg-Show“ vom Sender High5 triezen fünf Trainer unterschiedlicher Sportarten die willigen Moppel-Ichs so lange, bis genügend sendefähiges Material für zehn Folgen zusammengekommen ist. Das Konzept macht aus allen Gewinner: aus den Dicken (die schwitzend leiden), den Doofen (die amüsiert zugucken), den Dreisten (die davon profitieren).
Das Leben als fiese Challenge, sich endlich mehrheitsfähigen Idealen anzunähern, ist ein ziemlich unwirtlicher, stressiger Ort, aber solange Fachorgane wie „Frau im Koma“ oder „Farbig“ ausgiebig davon berichten, ist alles halb so schlimm.
Jürgen von der Lippe kennt sich bestens aus mit Klatschpresse, Privatfernsehen und Übergewicht, deshalb ist er kompetent genug, darüber ein Buch zu schreiben.
Dass allerdings 70 Lebensjahre verstreichen mussten, damit sein Debütroman „Nudel im Wind“ erscheint, überrascht doch ein wenig, bisher nahmen wir an, der gewiefte Entertainer, Moderator, Komiker und Musiker hätte sich über die Jahrzehnte gründlich ausgetobt auf allen Kanälen. Aber Pustekuchen.
Buch vom Hawaiihemden-Model
Was er nicht alles gemacht hat: Messdiener, Leutnant, Lehramtsstudent (zum Lehrer hat es nicht gereicht), Gründungsmitglied der Gebrüder Blattschuss, Hawaiihemden-Model in TV-Sendungen wie „Donnerlippchen“, „Geld oder Liebe“, „Extreme Activity“ oder „Was liest du?“, lustige Radiosendungen, Kinofilme, Theaterstücke, Internet-Formate, alberne Alben und Bücher am Fließband, aber ein Roman? Fehlt tatsächlich noch. Also liefert Hans-Jürgen Hubert Dohrenkamp, als der er 1948 in Bad Salzuflen geboren wurde, mit „Nudel im Wind“ sein spätes Debüt als Romancier; kein Problem, er schreibt täglich an Texten, die angefangenen Geschichten stapeln sich auf und vor seinem Schreibtisch, daraus lässt sich was machen.
Die vorgefundenen Zutaten dieser im besten Sinne Unterhaltungsliteratur sind nach einfachem Rezept kräftig verquirlt, deftig abgeschmeckt und zünftig serviert. Skurrile Figuren, schräge Handlungsstränge und absurde Wendungen, knallige Dialoge und haufenweise Gags lassen keinen Zweifel zu: Der Autor macht ernst mit einer Mediensatire, die seine Interessen als hobbykochender, kampfsportinteressierter, sprachverliebter Insider gnadenlos ausspielt – und die er zusätzlich noch mit einer Krimigroteske kombiniert.
Neid und Missgunst
Denn die drei befreundeten Romanhelden, der kluge und reiche Gregor (als Formaterfinder), die heiße und freche Lisa (als Visagistin) und der starke und herzensgute Justus (als Trainer), müssen sich als erfolgreiches Gespann der „Speckweg-Show“ mit Neid und Missgunst herumschlagen. Die Konkurrenten sind hemmungslos, sie schrecken selbst vor einer Entführung nicht zurück. Verdächtig machen sich viele, doch wer steckt genau dahinter?
Dass alle Unklarheiten am Ende dieser „ziemlich unglaublichen Geschichte“, wie sie im ersten Satz angekündigt wird, beseitigt sind, verdanken wir einem sich mächtig ins Zeug legenden Jürgen von der Lippe, der nicht nur viele schnuckelige Liebespaare (für kurz oder länger) zusammenbringt, sondern auch da beherzt zupackt, wo die Plausibilität der Geschehnisse in Gefahr gerät – und mit einer gehörigen Portion Zufall der Wahrscheinlichkeit „plötzlich“ auf die Sprünge hilft.
Bei derart viel Spannung und Spaß, Drama und Action werden gütigerweise regelmäßig Verschnaufpausen eingebaut, dann spielt der Autor mit seiner Rolle als Ich-Erzähler und lässt seine Frau über Form und Inhalt der Kapitel meckern und motzen, dass die ironische Volte erst zur Ansage verleitet: „Das ist immer noch mein Buch“, um dann später die größte Kritikerin mit einem kleinen Auftritt darin zu versorgen. Wer letztlich die mit 100.000 Euro beschenkten Sieger der Dickenparade sind, wird in all dem inszenierten Trubel fast zur Nebensache. Immerhin: Das ist ein bisschen wie im wahren TV-Leben.
Jürgen von der Lippe: „Nudel im Wind“, Penguin Verlag 2019, 240 Seiten, 18 Euro
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