Max-Ophüls-Festival / „Wir müssen uns verändern“
Trotz Online-Ausgabe und geschlossenen Kinos ist Festivalleiterin Svenja Böttger (32) diese Woche eine gefragte Person. Drehs, Festivalfunk und Interviews stehen auf der Tagesordnung. Ein Gespräch mit der Medienwissenschaftlerin über Wehmut, Kino auf dem Sofa und das, was fehlt.
Tageblatt: Was hat Blockchain mit Max Ophüls zu tun?
Svenja Böttger: Wir haben über Blockchain einen Sicherheitsmechanismus auf unserer Streaming-Plattform, auf der die Filme abrufbar sind, eingebaut. So sind sie bestmöglich im Internet geschützt, weil man das nicht hacken kann.
Da geht es um Rechte …
Da geht es um Rechte und gegen Piraterie, da wir die Filme ein Jahr vor Kinostart zeigen. Die Filme haben ja noch eine Reise vor sich auf anderen Festivals und bei Verleihern. Wir sind ein Premieren-, aber vor allem ein Uraufführungsfestival und wollen, dass die Filme ins Kino kommen.
Das Luxembourg City Film Festival behält sich eine Hybridform vor, die Berlinale vertröstet die Besucher auf Freiluftkino im Juni: Warum habt ihr euch entschlossen, das Festival zu gewohnter Zeit online durchzuziehen?
Wir haben seit Sommer 2020 sechs Szenarien durchdacht. Wir hätten gerne hybrid gearbeitet, was unter den gegebenen Umständen leider nicht möglich ist. Wir haben uns von Anfang an entschieden, nicht zu verschieben und nicht abzusagen, weil für uns das Leben und Arbeiten mit der Pandemie im Vordergrund steht und nicht das Abwarten. Das Signal für Publikum wie Filmschaffende, „wartet doch mal, bis es vorbei ist“, fanden wir kein gutes. In Luxemburg besteht nach wie vor die Hoffnung, das Festival im März hybrid machen zu können. Das hängt natürlich von der allgemeinen Lage und den Infektionszahlen ab.
Und Berlin?
Das ist eine ganz andere Größenordnung. Es ist das weltweit größte Publikumsfestival, das es gibt. Sie haben einen sogenannten A-Festival-Status, der ihnen untersagt, die Filme online zu zeigen. Bei der Größenordnung ist es absolut richtig, auf Juni zu gehen. Zu dem Zeitpunkt besteht hoffentlich die Möglichkeit, dem Publikum physisch Filme zeigen zu können.
Totgesagte leben länger: Wird sich das Kino nach den langen Monaten der Schließung erholen? Sie sind eine Kennerin der Szene, wie ist Ihre Prognose?
Meine Prognose ist, dass wir uns verändern müssen. Wir müssen lernen, Kino und Streaming zusammen zu denken. Das ist machbar. Ich bin davon überzeugt, dass das Kino wiederbelebt werden wird, denn das Kino ist nicht tot. Alle Zuschauer, die letztes Jahr nicht ins Kino gehen konnten und das Festival jetzt online mitmachen, sind genauso wehmütig wie wir. Die persönlichen Begegnungen fehlen, das Zufällige der Bekanntschaften unter den Filmfans sowie die Begegnung mit den Filmschaffenden. Angesichts dieser Ausgabe ist allen klar geworden, was das Kino leistet und wie wichtig physische Erlebnisse sind.
Bequemlichkeit siegt: Werden die Menschen, nachdem sie das Streaming kennengelernt haben, immer auf der Couch schauen wollen?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt sicherlich Momente, wo man sich bewusst dafür entscheidet, auf der Couch einen Film zu schauen. Es gibt aber genauso gut die Momente, wo man die physische Präsenz nicht missen will. Die Herausforderung für uns wird sein, beides zu ermöglichen.
Es laufen weniger Filme im Wettbewerb. Hat bei der Auswahl der Filme eine Rolle gespielt, dass man sie dieses Jahr nur auf einem viel kleineren Medium sehen kann und nicht auf der großen Kinoleinwand?
Wir haben unser Programm insgesamt verkleinert. In den Wettbewerben haben wir ein bisschen, in den Nebenreihen dafür stärker gekürzt. Das trägt dem Wunsch Rechnung, dass wir online die bestmögliche Präsentation schaffen wollen, die wir unter den gegebenen Umständen ermöglichen können. Mit 98 Filmen und 47 Programmen haben wir immer noch ein sehr ansehnliches Programm.
Auf der anderen Seite stehen die Filmemacher. Müssen sie sich zukünftig schon beim Drehen daran gewöhnen, dass ihre Filme auch im Wohnzimmer funktionieren?
Das müssen sie teilweise jetzt schon. Aber es wird darauf angekommen, wie die Branche das generell sieht. Deswegen starten wir während des Festivals einen europäischen Thinktank, bei dem etwa Fragen behandelt werden, was Kino und Film aktuell bedeuten und wie es in der Zukunft aussieht. Es wird darum gehen, was das „Pandemic-Cinema“ und was das „Post-Pandemic-Cinema“ ist.
Zum ersten Mal in seiner langen Geschichte wurde das Festival mit einem Dokumentarfilm eröffnet. Ist das ein Tribut an die wachsende Bedeutung des Genres?
Absolut. Es ist auch eine kleine Liebeserklärung an den Dokumentarfilm. Für uns ist der Dokumentarfilm genauso wichtig und gleichwertig wie der Spielfilm. Es war eine bewusste Entscheidung, so zu eröffnen, und eine bewusste für „A Black Jesus“, weil dieser Film gut zum Festival passt.
Vor allem der Dokumentarfilm-Wettbewerb fällt mit sehr politischen Themen auf. Ist der Jahrgang 2021 politischer als die vorherigen?
Politischer nicht, sehr engagiert ja! Wir sind in einer Phase, in der die Gesellschaft um uns herum sehr polarisiert ist. Für das, was alles in der Welt passiert ist, stellt die Pandemie nur noch das Brennglas dar.
Der goldene Fanpass, das All-inklusiv-Ticket, war schon vor Beginn des Festivals ausverkauft. Am Sonntag gab es noch Tickets zu allen Filmen. Wie lief der Vorverkauf insgesamt?
Bei den Pässen lief er sehr, sehr gut. Das hätten wir so nicht gedacht. Auch bei den Einzeltickets läuft es gut. Es gibt aber nach wie vor noch welche! Über die Reichweite können wir noch nichts sagen, denn man muss bedenken, dass bei einem gekauften Online-Ticket eventuell mehrere Personen schauen. Die meisten Leute sitzen zu zweit zu Hause, kaufen aber nur ein Ticket. Im Kino hätte jeder Zuschauer ein eigenes Ticket gekauft.
Am Tag 2 des Festivals: Gibt es schon eine Lehre aus der Online-Ausgabe, die ins nächste Jahr integriert wird? Oder ist es noch zu früh?
Wir müssen einfach abwarten, ob wir 2022 wieder ein reines Besucherfestival machen können oder ob wir ein Hybridkonzept brauchen, wie es sich Luxemburg auch vorbehält. Uns ist klar, wir werden alles versuchen, ins Kino zurückzugehen, und wir werden alles dazu tun, es als ein Publikumsfestival durchzuführen. Aber ob wir das dann schon dürfen, bleibt abzuwarten. Wir sind auf alles vorbereitet. Ein paar Teile der Online-Edition werden wir sicherlich behalten.
Was vermissen Sie persönlich am meisten dieses Jahr?
Ich vermisse es total, mit meinem Team in einem Büro sitzen zu können. Seit Start des Lockdown light sitzen wir in voller Mannschaft, das sind über 30 Leute, jeder für sich im Home-Office. Der Flurfunk fehlt. Und ich vermisse den Austausch mit den Filmschaffenden und den Zuschauern vor Ort: Die zufälligen Treffen auf der Straße auf dem Weg von A nach B, das Zusammensitzen nach einem Film, um darüber zu reden, das fehlt mir sehr.
Max-Ophüls-Festival
Das Festival findet in diesem Jahr zum 42. Mal statt. Zum ersten Mal ist es eine reine Online-Ausgabe wegen der Covid-19-Pandemie. Es ist das bekannteste und größte Festival im deutschsprachigen Raum für den Filmnachwuchs und präsentiert Abschlussarbeiten angehender Filmemacher. ffmop.de
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