LuxFilmFest / Zum Bersten voll: „Air Conditioner“ von Fradique
Magischer Realismus trifft auf jazzige Soundkulisse in diesem Science-Fiction-Wettbewerbsbeitrag, in dem ein unter PTSD leidender Hausmeister das Rätsel um herunterfallende Klimaanlagen mithilfe von Telepathie lüftet. So durchgeknallt wie seine Prämisse ist dieser langsame, poetische Film nicht, der hinter einer traumweltähnlichen Lo-Fi-Ästhetik eine politische Parabel entfaltet.
Wer sich noch an die erste Episode der dritten Staffel von „Fargo“ erinnert, weiß, wie tödlich eine Klimaanlage sein kann. In „Ar Condicionado“ („Air Conditioner“) sind die weißen Kühlkästen noch tödlicher, der Film verzichtet aber auf die explizite Gewaltdarstellung der US-amerikanischen Serien zugunsten einer verträumten Ästhetik, die (etwas zu) viele Interpretationsräume schafft: Fradiques’ erste Fiktion ist eine ökologisch-politische Parabel, die sich so langsam und schräg wie ein halluzinogener Tagtraum entfaltet und bereits auf den Rotterdamer Filmfestspielen für Aufmerksamkeit gesorgt hat.
Die Handlung ist dabei so abgedreht wie nebensächlich: Selbst während der kältesten Jahreszeit sterben außergewöhnlich viele Einwohner der angolanischen Hauptstadt Luanda. Schuld daran sind nicht nur die immer noch extrem hohen Temperaturen, sondern auch der unerklärliche Ausfall der Klimaanlagen, die sich nach und nach von den Häuserfassaden lösen und auf ahnungslose Bürger oder Autos herunterwirbeln.
Während diese besorgniserregenden Geschehnisse immer wieder in Radiosendungen kommentiert werden – jemand fordert den Rückzug der Regierung und eine Wohnungspolitik, die den Klimabedingungen des Landes gerecht würde, zudem wird die Möglichkeit einer von China orchestrierten Sabotage zugunsten des Exports von asiatischen Ventilatoren erwähnt –, fokussiert sich der Film auf die Figur des Hausmeisters Matacedo (José Kiteculo), der von dem Dienstmädchen Zezinha (Filomena Manuel) damit beauftragt wird, die Klimaanlage ihres aggressiven, ungeduldigen Chefs zu reparieren. Der unbekümmerte Matacedo lässt das defekte Teil jedoch in „Mr. Mino’s Shop“, der laut Zezinha mehr „schwarzes Loch“ als Laden ist, reparieren und scheint mehr daran interessiert, sich via Telepathie mit seinen Mitbürgern zu unterhalten und die Zeit mit Brettspielen und Biertrinken zu vertreiben.
Schwarze Löcher und Sci-Fi-Gadgets
Während die Bevölkerung an der Hitze und den herabstürzenden Klimaanlagen zugrunde geht, denkt der reiche Wohnungsbesitzer nur an den eigenen Komfort: Die Darstellung des Klassenkampfs mag etwas dick aufgetragen sein, im Laufe des Filmes eröffnen sich aber so viele Interpretationsräume, dass einem fast schwindelig werden könnte. Die Klimaanlagen purzeln herab, weil sie, so sieht es zumindest Ladenbesitzer Mino (David Caracol), unsere Erinnerungen aufzeichnen und sich wie reife Früchte von den Fassaden lösen, wenn sie vor Andenken bersten.
In diesem surrealen Bildnis verdichtet sich nicht nur eine soziologische Metapher (die Klimaanlage ist in Wahrheit ein Überwachungsgerät), sondern liest sich auch eine Verbildlichung einer kollektiven politischen Unterdrückung: Über die Kluft zwischen Reich und Arm wird im Alltag genauso wenig geredet wie über die angolanische Vergangenheit (hinter dem Pseudonym Fradique versteckt sich Mario Bastos, der die portugiesische Kolonialvergangenheit Angolas sowie den 30-jährigen Bürgerkrieg in seinem Dokumentarfilm „Independencia“ thematisierte). Trotzdem werden beide Themenfelder in den spärlichen Dialogen und in der Ästhetik des Films umrissen und wirken so allgegenwärtig.
Auch formal ist „Ar Condicionado“ ein wildes Experimentierfeld. Während die Kamera dem Hausmeister durch das wirre Labyrinth der Hauptstadt folgt, legt sich der teils verspielte, teils dissonante Soundtrack von Aline Frazao, bei dem der stets schön knarzende Kontrabass an die langsameren Komposition von Go Go Penguin erinnert, über Zeitlupensequenzen, in denen das poetische Spiel mit Licht und Schatten mit bewusst trashigen Sci-Fi-Elementen kollidiert – so wirkt Minos Laden wie das Hauptquartier eines verrückten Professors, der einem Spielfilm der 80er entlaufen ist.
Der beklemmende Alltag in einer Hauptstadt, die wie ein Labyrinth ohne Ausgang dargestellt wird, wird durch die wilde, schier unendliche Freiheit der Fiktion transzendiert. Auch wenn „Ar Condicionada“ teilweise etwas orientierungslos und überladen wirkt und seine Figuren etwas dünn gezeichnet sind: Die Bilder dieses Patchwork-Films sind prägend, die Atmosphäre dicht. Für den zweiten Spielfilm wünschen wir uns vielleicht etwas mehr Substanz
„Ar Condicionado“, im Wettbewerb
Bewertung: 3/5
Läuft
Online – bis Montag 10.00 Uhr
Sonntag 16.30 Uhr im Ciné Utopia
Dienstag 19.00 Uhr in der Cinémathèque
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