Klangwelten / Absolut keine Beginner: Sufjan Stevens und Angelo de Augustine veröffentlichen „A Beginner’s Mind“
Man hat sich mittlerweile schon fast daran gewöhnt: Neben seinen Solowerken veröffentlicht der in letzter Zeit vor Kreativität überbordende Sufjan Stevens zahlreiche Nebenprojekte – manche davon alleine, andere in Zusammenarbeit mit befreundeten und geschätzten Musikern. So wurde das elektronische, überlange und verblüffend gute „The Ascension“ (2020) von dem mit Stiefvater Lowell Brams zusammen geschriebenen, instrumentaler New-Age-Musik huldigenden „Aporia“ (2020) und dem Fünf-Platten-Instrumentalwerk über den Tod seines biologischen Vaters („Convocations“, Mai 2021) umrahmt.
Knapp vier Monate nachdem er 150 Minuten neue Musik veröffentlicht hat, erscheint „A Beginner’s Mind“, seine Zusammenarbeit mit Singer-Songwriter Angelo De Augustine, der bereits auf Stevens’ Label Asthmatic Kitty Musik veröffentlichte, die der des Stachanowisten Stevens nicht unähnlich ist. Sufjan Stevens Nebenprojekte kommen oft mit mehr oder weniger verschwurbelten Konzepten daher, weswegen sich Stevens und De Augustine in eine Hütte verzogen, um sich dort abends Horrorfilme anzuschauen und tagsüber das Material in Songs zu transzendieren. Wer sich jetzt erwartet, dass die Platte so furchteinflößend wie Thom Yorkes Songmaterial zu Guadagninos Dario-Argento-Remake „Suspiria“ anhört, liegt gehörig falsch: „A Beginner’s Mind“ wird allen, denen „The Ascension“ zu sperrig und elektronisch war – sprich: allen, denen die Platte nicht genug nach dem intimen, akustischen „Carrie & Lowell“ klang –, gefallen. Stevens zeigt sich hier wieder zartbesaitet, die Songs sind klar durchstrukturiert und meist wunderschön. Weil sich Stevens’ und De Augustines Stimmen sehr ähneln und das Songwriting schön symbiotisch abläuft, klingt es oft so, als würde Stevens sich selbst begleiten.
„A Beginner’s Mind“ erinnert in seiner Stimmung an die akustischen Werke von Stevens, fällt trotz einiger fast schon klassischen Fingerpicking-Songs wie „Murder And Crime“ doch opulenter und facettenreicher, dafür vielleicht insgesamt weniger homogen als Werke wie „Carrie & Lowell“ oder „Seven Swans“ aus: „Lady MacBeth In Chains“ beginnt mit melancholischem Sufjan-Stevens-Vers, kippt dann in einen lebensbejahenden, an die Surfermusik von Jack Jones erinnernden Chorus, „Back to Oz“ hätte mit seinem Xylofon definitiv auch auf „Illinoise“ fungieren können und mündet gen Ende in ein unpeinliches E-Gitarrensolo. Auf einem der zahlreichen Album-Highlights, „The Pillar of Souls“, ist der elektronische Einschlag stärker spürbar, auf anderen Tracks wie dem ausgezeichneten „Cimmerian Shade“ oder auch „Lost the World“ verbinden die beiden Musiker gekonnt Lagerfeuerromantik und Intimität der akustischen Sufjan-Werke mit der elektronischen Avantgarde von „The Ascension“ und „The Age Of Adz“. Da, wo diese elektronischen Elemente auf den Soloplatten teilweise als Störfaktor eingesetzt wurden, fügen sie sich hier jedoch, ein bisschen wie auf der „Carrie & Lowell“-Live-Platte, nahtlos ins Songwriting ein.
Anfänger sind hier ganz bestimmt nicht am Werk, dafür sind die 14 Songs qualitativ ausnahmslos hochwertig. Dass der Musiker in so kurzer Zeit qualitativ Hochwertiges leistet, ist schlicht und einfach beeindruckend, hat aber sicherlich auch damit zu tun, dass er seinen Klangkosmos immer wieder der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern öffnet. Im Gegensatz zu „The Ascension“ entdeckt der Zuhörer hier zwar keine neue Facette von Stevens’ Schaffen, dafür stellt „A Beginner’s Mind“ aber eine berührende Verzahnung seiner zweier Klangwelten dar.
Bewertung: 9/10
Anspieltipps: Back To Oz, The Pillar Of Souls, (This Is) The Thing, Fictional California, Cimmerian Shade, Lost In The World
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