Lust zu lesen / Andersrum betrachtet
Vor genau fünfzig Jahren verstarb der größte Maler des 20. Jahrhunderts. Selbstredend erscheinen aus diesem Anlass jede Menge Bücher. Mit „Göttinnen und Fußabstreifer. Die Frauen und Picasso“ von Rose-Maria Gropp stellt unser Autor Thomas Koppenhagen eines der interessantesten aus dem Stapel an Neuveröffentlichungen vor.
Völlig zu Recht bemerkt die Autorin, dass zu Pablo Picasso (1881-1973) meterweise Sekundärliteratur erschienen ist und man sich einen triftigen Grund einfallen lassen muss, um der Masse an Publikationen eine weitere folgen zu lassen. Was Rose-Maria Gropp interessiert, ist das Verhältnis Picassos zu den Frauen in seinem Leben. Auch diese Frage ist nicht wirklich neu, wohl aber der Blick, den Gropp aus der Perspektive besagter Frauen auf den Maler zu werfen versucht.
Elf Frauen wählte sie für diesen „kategorialen Wechsel der Perspektive“ aus, beginnend mit Fernande Olivier, die Anfang des letzten Jahrhunderts etwa sieben Jahre mit dem gerade seine Karriere startenden Picasso oben auf dem Pariser Montmartre-Hügel zusammenlebte, um als „la belle Fernande“ in schwacher Erinnerung zu bleiben.
Gleich mit der zweiten Frau, die Rose-Maria Gropp aus Picassos Leben auswählt, sorgt sie für eine Überraschung. Denn Gertrude Stein war allenfalls platonisch an Picasso interessiert, was ihn dennoch nicht davon abhielt, den scharfen Verstand der amerikanischen Schriftstellerin und Kunstsammlerin sowie deren großartiges Talent, Leute miteinander zu verbandeln, zu schätzen. Von Stein wird er in der Anfangszeit ihrer beider Freundschaft als „gutaussehender Schuhputzer“ bezeichnet: „er war schlank dunkelhaarig, lebhaft mit großen Augentümpeln und einer heftigen aber nicht groben Art“. Das Verhältnis zwischen den beiden war zeitweise so eng, dass Gertrude Stein die Patenschaft bei dessen Sohn Paulo übernahm. Und im Gegensatz zu den anderen Frauen in Picassos Leben sollte er mit ihr bis zu deren Tod 1946 eng befreundet bleiben. Dass dem so war, mag wohl auch daran liegen, dass ihre Funktion für ihn nie als „erloschen“ bzw. ihre Person als Inspirationsquelle nie als „verschlissen“ bezeichnet werden konnte, wie Rose-Maria Gropp dies für Fernande Olivier, und mehr oder weniger auch für Picassos anderen Frauen bis hin zur berühmten Dora Maar – der Malermuse par excellence – konstatiert.
Ja, und dann kam Françoise Gilot, die Picasso noch während des Zweiten Weltkriegs kennenlernte. Sie lehrte ihm sozusagen Mores. Einfach, weil sie bei aller Zurückhaltung ihr eigenes Leben hatte und sich dies auch nicht durch seine teilweise an Sadismus grenzenden Sperenzien, mit denen er für gewöhnlich seine Beziehungen befrachtete, wegnehmen ließ. Nach zehn Jahren und zwei gemeinsamen Kindern verließ sie den vierzig Jahre älteren Mann und veröffentlichte 1964 ihre Erinnerungen unter dem Titel „Leben mit Picasso“. Der Skandal-Bestseller, aus dem Rose-Maria Gropp ausgiebig zitiert, liefert tiefe Einblicke in den Alltag mit dem damals schon als größten Künstler seiner Zeit verehrten Schöpfer weltberühmter Werke wie dem großformatigen „Guernica“ (1937) oder jener, „Femme qui pleure“ genannten Bildserie, der Gropp ein eigenes Zwischenkapitel widmet, weil in den Darstellungen ihrer Meinung nach sowohl Picassos „fragile Identität“ als auch sein egomanisches, nur scheinbar vergötterndes Verhältnis zu Frauen zum Ausdruck kommt: Hier zerstört jemand etwas, das er liebt. Gleichzeitig liebt er die Zerstörung! Natürlich hatte Picasso auch nach Françoise Gilot noch Beziehungen zu Frauen. Die letzte, Jacqueline Roque, brachte sich nach seinem Tod sogar um, weil sie ein Leben ohne ihn sinnlos fand. Gropp dazu: „Bis heute ist der Dienst am berühmten Gatten in den Augen eher schlichter Geister gleichsam Schicksal, gilt Hingabe als Kardinaltugend.“
Rose-Maria Gropps Perspektivwechsel lässt Picassos Frauen nicht länger Beiwerk sein und entblößt gleichzeitig die Sicht auf die misogyne Seite in dessen Leben und Arbeiten.
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