Lust zu lesen / Hahn im Korb
Nach einem eher mäßig erfolgreichen Auftritt der Opernsängerin Marianne Zoff wartet Ende Dezember 1920 vorm Stadttheater Augsburg ein schmales Bürschchen auf sie. Er stellt sich als Bertolt Brecht vor und lädt sie zu einem Spaziergang durch seine nächtliche Heimatstadt ein.
„Von dem kleinen Mann geht, je mehr er fabuliert, eine seltsame Faszination aus“, schreibt Unda Hörner in ihrer stark komprimierten Abhandlung über Brechts weithin als „Vielweiberei“ verpöntes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht.
Was reizte die Frauen gerade am jungen Brecht, „diesem dünnen Hering in Lederjacke, der lauter Geschichten erzählte und fortwährend rauchte“? Seine „ungepflegte Erscheinung“ dürfte bei seiner Jugendliebe Paula Banholzer wie bei Marianne Zoff in Augsburg sowie bei Helene Weigel, die Anfang der 1920er Jahre in Berlin bereits erste Bühnenerfolge erringen konnte, maximal Mitleid erregt haben.
Mitte des Jahrzehnts kommt Elisabeth Hauptmann als „persönliche Assistentin“ und Geliebte des mittlerweile berühmten Dramatikers und Lyrikers hinzu, und an Margarete Steffin, dem tuberkulösen Arbeiterkind aus Rummelsburg, scheint Brecht in den frühen 1930ern geradezu einen Narren gefressen zu haben. Sie wird ihm, Helene Weigel und den beiden Kindern ins dänische Exil folgen. Als dort mit Ruth Berlau ernstzunehmende Konkurrenz auftaucht, schreibt sie an Walter Benjamin; „Hier sind weit und breit bloß Weiber, b ist bei Kaffeetafeln ‚Hahn im Korb‘ u. fühlt sich scheints nicht sehr wohl dabei.“
Bei der weiteren Flucht vor den Nazis wird die Steffin in Moskau zurückgelassen, sterben. Brecht soll über ihren Tod so unglücklich gewesen sein, dass er ein Jahr lang nicht mehr schreiben konnte. Weitere Freundinnen sollten folgen, für einige wie beispielsweise Isot Kilian bleibt in Unda Hörners Buch „Brecht und die Frauen“ grade mal Platz für den Namen. Was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, da sich die Autorin bei ihrer Darstellung ganz auf die Kernaussage „Brechts Werk ist weiblich“ konzentriert. Womit der „dialogische, der lebendige Arbeitsprozess“ gemeint ist, bei dem Ideen beispielsweise von Elisabeth Hauptmann zur „Dreigroschenoper“ eingebracht und gemeinsam zur Bühnenreife weiterentwickelt wurden. Brechts „Schreibwerkstatt“, in der auffällig viele Frauen mitarbeiteten, ist das genaue Gegenteil vom bürgerlichen Entwurf des einsamen Genies, das in völliger Abgeschiedenheit Werke von Weltrang erschafft. Brecht und seine Frauen bewiesen, dass das auch anders geht.
thk
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