Corona-Tagebuch (25) / Mittwoch, 15. April: Der Feind ist unsichtbar
Das Coronavirus beherrscht das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch des Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.
Vier Wochen lang leben wir nun schon im „Ausnahmezustand“, vertrauen dir, liebes Tagebuch unsere Gedanken und Gefühle an. Meine Überlegungen an dich kommen heute aus der Geschichte, sie sind der Versuch eines Vergleiches.
„Es ist wie im Krieg“, sagte neulich die Dame, die mit mir auf entsprechender Distanz plauderte, um die – gefühlt ewig lange – Wartezeit vor der Metzgerei zu verkürzen. „Es ist nicht so schlimm wie der Krieg. Letztendlich steht keine Gestapo vor der Tür, um dich abzuholen“, sagte hingegen eine andere, eine Überlebende des Zweiten Weltkrieges. Beide haben irgendwie recht. Seit 70 Jahren brauchte hierzulande keiner mehr Schlange zu stehen, um Nahrungsmittel einzukaufen. Ganz im Gegenteil. Wir wurden in den letzten 20 Jahren geradezu verwöhnt mit Öffnungszeiten und Angeboten. Die Gefahr einer willkürlichen Gefangennahme und Verschleppung besteht auch nicht.
Einen Feind gibt es dennoch. Veranschaulicht durch eine rosa Kugel mit Stacheln. Er führt auf der ganzen Welt Krieg gegen uns. Nicht mit Waffen, sondern mit seiner unsichtbaren Präsenz. Er ist überall. Am Sportler, der gerade schwitzend an uns vorbeikeucht? Am Obst und Gemüse, das vor uns schon jemand angefasst hat? Bei den Freunden, mit denen Anfang März noch zusammen gefeiert und die üblichen Küsschen ausgetauscht wurden? Vielleicht haben wir ihn aus dem Wintersport mitgebracht? Oder von einer Fernreise? Er ist umso unberechenbarer, als er erst mit einer gewissen Verzögerung zuschlägt und deshalb nur mehr schwer nachvollziehbar ist.
Dennoch ist das, was wir momentan gegen ihn führen, ein richtiger Krieg. Angesichts der Breite der Pandemie sogar ein Weltkrieg. An der Front stehen keine Panzer und schwer bewaffneten Soldaten, sondern Mediziner und Wissenschaftler. Ihre Uniformen sind Brillen, Masken und Schutzkleidung, um deren Beschaffung mittlerweile auch schon eine Schlacht ausgebrochen ist. Ihre Waffen sind Teststäbchen, Intensivpflege und Beatmungsgeräte. Auf Hochtouren wird an der entscheidenden Waffe, dem richtigen Medikament, geforscht. Bis ein Impfstoff da ist, werden allerdings noch weitere „Kriegsmonate“ vergehen. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, ein Wettlauf gegen die Zeit – und eine Situation, die der Truppe alles abverlangt.
So gesehen geht es den meisten im erzwungenen Zwangsurlaub noch gut. Ihnen wird Geduld abverlangt und Vorsicht im Umgang mit anderen Menschen. Deshalb sollten wir uns bei den direkt engagierten Soldaten in Weiß, vorne an der Front, genau wie all denen, die trotz Einschränkungen in der zweiten Linie für unser tägliches Wohlergehen sorgen, bedanken. Sei es beim täglichen Beifall-Rendezvous um 20 Uhr oder einfach an der Ladentheke, wenn die Warteschlange ein Ende hat.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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