Corona-Tagebuch (33) / Mittwoch, 22. April: Fernweh
Das Coronavirus beherrscht weiter das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, jedoch nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch im Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.
Liebes Tagebuch. Heute Morgen weckte mich eine Push-Nachricht. Stau auf der Autobahn. Aha, es geht wieder los, denke ich. Irgendwie freue ich mich über den Stau. Ich muss ja schließlich nicht raus. Nicht, dass es Schadenfreude wäre, nein, mitnichten. Diese Meldung zeigt mir, dass Luxemburg so langsam aus dem Corona-Schlaf erwacht.
Schuld am Stau sind wahrscheinlich die Baustellen, die jetzt wieder loslegen. Nein, nicht ganz. Baustellen an sich erzeugen keinen Stau. Es sind die zahlreichen Fahrzeuge, die zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung fahren, die den Stau erzeugen. Und wer sich im Stau über den Stau aufregt, ist selber schuld, weil er Teil des Staus ist und ihn ja eigentlich mit verursacht. Nun aber genug zu den Staus, liebes Tagebuch.
Seit etwas mehr als fünf Wochen leben und arbeiten wir im „Bleif doheem“-Modus. Eigentlich haben wir Glück, dass uns in Luxemburg keine totale Ausgangssperre wie in Italien oder Spanien aufgebürdet wurde. Dort darf man ohne Genehmigung nicht vor die Tür gehen. Nicht mal zum Spaziergehen, Fahrradfahren oder Joggen. Hier schon. Wir brauchen den Spaziergang nicht zu rechtfertigen und brauchen auch keinen schriftlichen Beleg dafür. Es geht uns gut.
Ein Teil meiner Familie lebt in einer süditalienischen Großstadt. Dort gibt es keine Häuser, nur mehrstöckige Apartmentgebäude. Manche haben einen Balkon, andere nicht. Garten? Fehlanzeige! Man hockt also drinnen. Eingesperrt in der Großstadt. Seit rund zwei Monaten. Draußen erwacht der Frühling, der sich in diesen südlichen Graden schon recht heiß anfühlen kann. Und niemand darf raus. Bislang ist noch nicht klar, wann der Spuk ein Ende haben wird. Die Menschen dort werden zunehmend nervös.
Langsam, aber sicher bekomme ich Fernweh. Der Wohnwagen steht bereit und wartet auf die nächste Tour. Aber wir dürfen nicht weg. Ich liebe Italien, besonders den Süden. Aber jetzt bin ich trotzdem lieber in Luxemburg. Und im Sommer? Tja, mich in eine der zurzeit viel diskutierten Plexiglas-Kabinen an den Strand zu legen und statt Schnorchelausrüstung die Atemschutzmaske anzuziehen, um ins Meer gehen zu dürfen, schreckt mich, ganz ehrlich gesagt, ziemlich ab.
Mal schauen, welche Länder ihre Grenzen bis dahin überhaupt öffnen werden. Österreich hat bereits angekündigt, dass es Touristen einiger bestimmter Länder hereinlassen würde, um dem Sektor unter die Arme zu greifen. Tja, liebes Tagebuch, aber in Österreich gibt es leider kein Meer.
Zurzeit dürfen wir uns nicht mal im Benelux-Raum bewegen. Sogar unser lieber Bruder Belgien hat die Grenzen zu uns dichtgemacht. Schöne Geschwisterliebe. Schönes Europa. Und jeder kocht weiter sein eigenes Süppchen. Als würde das Virus Grenzen kennen und sich daran halten. Corona ist ein Freund der Globalisierung und des Turbo-Kapitalismus. Dort, wo beides herrscht, fühlt es sich wohl und kann gedeihen. Fahren wir alles runter, können wir es eindämmen.
Nun müssen wir schauen, wie wir da wieder rauskommen, liebes Tagebuch. Wir brauchen einen Impfstoff. Dass dieser noch im Jahr 2020 zum Einsatz kommen wird, ist allerdings sehr unwahrscheinlich.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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