Klangwelten / Musik-Special: Gesampelte Milchpumpe
Fünf Singles wurden vorab ausgekoppelt, um das Album möglichst intensiv zu bewerben und die Hörer auf die neuesten Songkreationen von Damon Albarn aufmerksam zu machen. Die Rede ist von „Cracker Island“ (7 Punkte), dem achten Studioalbum seiner virtuellen Band Gorillaz. Die reguläre Version enthält zehn Songs. Damit wäre schon die Hälfte vorab bekannt gewesen: der tanzbare Ohrwurm „Cracker Island“, der mit Stephen Lee Bruner alias Thundercat entstand, die verspielt-schwelgerische Tame-Impala/Bootie-Brown-Kooperation „New Gold“, die etwas müde Ballade „Baby Queen“, das mit Synthierock aufgepäppelte „Skinny Ape“ und das smarte „Silent Running“ mit Gastsänger Adeleye Omotayo. Vom Rest zählen „Oil“ mit der unnachahmlichen Stevie Nicks (Fleetwood Mac) und die Ballade „Possession Island“ (mit Beck) zu den besseren Songs eines insgesamt durchwachsenen Werks.
Spannend ist die Deluxe-Version, die eine deutliche Aufwertung darstellt. Sie enthält neben „Silent Running“ in der brillant-melancholischen 2D-Piano-Version und einem „New Gold“-Remix des House-DJs Dom Dolla drei weitere Songs: das stampfende „Captain Chicken“ mit Rapper Del The Funky Homosapien (hatte 1991 den Überhit „Mistadobalina“), „Controllah“ (mit MC Bin Laden) und „Crocadillaz“ mit den Gästen De La Soul und Dawn Penn. „Crocadillaz“ ist einer der letzten Songs, an denen David Jude Jolicoeur alias Trugoy The Dove mitgearbeitet hat. Der De-La-Soul-Rapper verstarb Mitte Februar viel zu früh – im Alter von 54 Jahren. Schön, dass er hier noch einen letzten Glanzpunkt setzen konnte.
Im Jahr 2018 hatte sie auf „In A Poem Unlimited“ mal an ABBA erinnert („Mad As Hell“), einen hypnotischen Dancepunk-Jazz-Marathon („Time“) serviert und mit dem psychedelischen Dancerocker „Incidental Boogie“ brilliert. Die aus Toronto stammende Musikerin Meghan Remy liebt das Experiment. Das war so auf „Heavy Light“ (2020) und ist auch auf „Bless This Mess“ (8 Punkte) der Fall. „Just Space For Light“ ist der Hit auf ihrem achten U.S.-Girls-Album. Der Song nimmt eine Minute Anlauf, um danach mit futuristischem Disco-Funk die Herzen der Hörer zu erobern. Das macht ebenso gute Laune wie der Disco-Synthie-Funker „Tux (Your Body Fills Me, Boo)“.
Entstanden ist das Album nach der Geburt ihrer Zwillinge und klingt wohl deshalb eher optimistisch. Das Personal wechselte häufig bei den Aufnahmen, weshalb die Songs sehr variantenreich sind. Für „So Typical Now“ hat sie anscheinend überlegt, wie Daft Punk mit Kylie Minogue klingen könnte. „RIP Roy G Biv“ erinnert phasenweise an die Tracks der vielen jungen Autotune-R’n’B-Künstlerinnen. Gleich im Anschluss überrascht sie mit der Akustik-Pop-Ballade „St. James Way“ und dem experimentellen Funk-Pop-Stück „Pump“, für das sie ihre Milchpumpe sampelte. Wie gesagt: Sie mag es experimentell.
Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und „G“ Hastings übrigens auch. Sie gründeten 2008 in Edinburgh die Young Fathers. Mit ihrem 2014er-Debütalbum „Dead“ gelang dem Artpop/Hip-Hop-Trio auf Anhieb ein großer Wurf: Sie gewannen den renommierten Mercury Prize. Und nachdem sie bereits 2013 für ihr Mixtape „Tape Two“ mit dem „Scottish Album Of The Year Award“ bedacht worden waren, konnten sie für ihr drittes Album „Cocoa Sugar“ diesen Preis ein zweites Mal entgegennehmen. Diese Preise sind kein Indiz für sich bestens verkaufenden Kommerz, sondern für außergewöhnlich gute Musik.
Womit wir bei ihrem vierten Album „Heavy Heavy“ (9 Punkte) wären. Es ist mit 33 Minuten etwas kurz geraten, aber jeder der zehn Songs zündet. Wo sich Albarn mit den Gorillaz mittlerweile im Mainstream festgefahren hat und ihm die Überraschungsmomente fehlen, springen Young Fathers ein. Sie arbeiteten in einem winzigen Heimstudio nur mit ein paar Geräten und Mikrofonen und ohne externen Produzenten und mischten unter ihren Hip-Hop Soul düsteres Dub-Wummern („Shoot Me Down“), cineastisch-sphärischen Postrock („Tell Somebody“), Exotisches („Ululation“) und eine Pianoballade, die sich zu einem wilden Song entwickelt („Be Your Lady“). Hier waren Genies am Werk.
„UK Grim“ (7 Punkte) („Britische Grimmigkeit“) heißt das neue Album der Sleaford Mods. Wo die Festlandeuropäer schon unter den aktuell schwierigen Lebensbedingungen ächzen, kommt auf der Insel noch das Eigentor Brexit hinzu. „Die Fäulnis hat eingesetzt. Es ist so sehr in unser Bewusstsein gedrungen, dass wir mit der konservativen Partei eins geworden sind. Wir sind jetzt alle konservative Abgeordnete, Diener dieser wirklich düsteren Art von Aldi-Nationalismus“, erklärt Jason Williamson, der seit 2007 mit Andrew Fearn Musik macht.
Die Aussichtslosigkeit und das Bedrücktsein haben sich in die Songs ihres zwölften Albums eingebrannt. „Death to your DIY“, rappt Williamson in dem Hip-Hop-Song „Dlwhy“. Ihre Punk-Seite offenbaren sie in „Tilldipper“, einem Highspeed-Rant, in „On The Ground“ (mit altbackenem Casio-Sound) und in „Pit 2 Pit“. Minimalitisch klingt „Smash Each Other Up“; „So Teendy“ wiederum äußerst schräg. Hier beweist sich Perry Farrell (Jane‘s Addiction) als Rapper. Florence Shaw (Dry Cleaning) ist in dem düsteren „Force 10 From Navarone“ zu Gast. Das Album endet mit „Rhythms Of Class“ – zu 80er-Jahre-Beats singt Williamson über die brutalen sozialen Unterschiede. Es sind bittere Zeiten auf der Insel.
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