Neuer utopischer Roman aus Luxemburg / Wenn die toten Indigenen Nordamerikas den Lebenden zu Hilfe eilen
Die Science-Fiction- und Fantasy-Genres sind sein Steckenpferd. Als Kulturforscher und Indianerkenner hat der luxemburgische Autor René Oth zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Jetzt wechselt er das Genre und betritt mit seinem Debütroman „Die Rückkehr aus den ewigen Jagdgründen“ die Bühne der fiktionalen Literatur. Daisy Schengen hat den Autor zum Gespräch getroffen.
Herr Oth, im deutschsprachigen Raum kennt man Sie als Autor von Sachbüchern zur Geschichte der amerikanischen Ureinwohner. Jetzt haben Sie zur Belletristik übergewechselt und den utopischen Debütroman „Die Rückkehr aus den ewigen Jagdgründen“ vorgelegt. Wie kam es dazu?
René Oth: 1982 hatte ich beim Scherz Verlag ein Sachbuch als Brückenschlag zwischen Naturwissenschaft und Glaube veröffentlicht, das aufhorchen tat: „Gott auf dem Prüfstand. Die moderne Naturwissenschaft auf der Suche nach dem Schöpfer des Universums“. Dieses Werk zum Thema „Wir sind nicht nur von dieser Welt“ wollte ich in den Neunzigern aktualisieren, was sich als schwierig erwies, weil sich inzwischen diverse Astrophysiker an den von mir propagierten Stoff drangehängt hatten. Ein befreundeter Verlagsleiter von Droemer Knaur riet mir 1999, diesen Sachbuchinhalt als Roman zu verfassen. Damals hielt ich die Idee für verrückt und nicht umsetzbar. Je länger ich jedoch darüber nachdachte, desto klarer begann ich zu verstehen, wie ich diese Quadratur des Kreises lösen könnte. Davon zeugt mein Debütroman „Die Rückkehr aus den ewigen Jagdgründen“*, in den ich meine Expertise auf den zwei Gebieten der utopischen Epen und der Indianerhistorie eingebracht habe.
Wovon handelt Ihr Roman?
Im spannungsreichen und aktuellen Roman wächst unter den Indianern, die als Minderheit unter der Corona-Pandemie so viel härter leiden müssen als die Weißen, der Wille zum Widerstand gegen den ewigen Rassismus, die Brutalität der Polizei und des Militärs und die Ungerechtigkeit der Gesellschaft. Da die Lebenden allein ihre systematische Unterdrückung nicht zu beseitigen vermögen, kommen ihnen infolge einer alten Prophetie die Toten zu Hilfe. Die Auferstandenen unter der Führung von Crazy Horse sorgen für ein entsetzliches Chaos und eine Neuorientierung von Geschichte, Kultur und Umwelt der Vereinigten Staaten und setzen dem schon seit Jahrhunderten andauernden elenden Flüchtlingsdasein ihrer Völker ein Ende (Utopie aus indianischer Sicht und Dystopie aus weißem Blickwinkel, Anm. der Red.), was den ersten indianischen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Edward Spotted Tail, in helle Aufregung versetzt. Hin- und hergerissen zwischen seiner Weißenhörigkeit und der Loyalität seinem eigenen Volk gegenüber, lässt er die Powerfrau Jeanie Touch the Clouds, die Spezialagentin des Weißen Hauses, das Auftauchen der Millionen von Ureinwohnern, die an historisch bedeutsamen Orten wie aus dem Nichts hervorgetreten sind, genauer untersuchen. Mithilfe des weißen Icherzählers, der von den Indianern als einer der Ihren angenommen wird, setzt sie alles daran, das gefährliche Geheimnis der roten Auferstehung zu ergründen.
Stichwort Aktualität: Welche Konflikte der Menschheit zeigen Sie hier im Detail auf?
In diesem leidenschaftlichen Plädoyer gegen Rassismus, Umweltzerstörung und religiösen Fundamentalismus stoßen zwei gegensätzliche Universen aufeinander: die durch überhebliche Machtausübung und verletzenden Weltzugriff frevelnde Weltanschauung der Weißen und die von der Ehrfurcht vor Geschöpf und Umwelt geprägte Lebenssicht der Indianer. Gleichzeitig geht es auch um Vergangenheitsbewältigung. Verdrängtes und Belastendes, seelische und physische Verletzungen sowie traumatische Erlebnisse jeglicher Art, die sich ins Kollektivgedächtnis der roten Rasse eingebrannt haben, müssen bewältigt werden. Genozid (Völkermord), Ethnozid (kultureller Totschlag) und Ökozid (Umweltvernichtung, Anm. der Red.), denen die Indianer allzu lange ausgeliefert waren, haben tiefe Schneisen in ihre Erinnerung geschlagen. Es geht aber nicht nur um die seit Jahrhunderten währende Auseinandersetzung zwischen Weiß und Rot, sondern auch um einen noch zeitlich weiter zurückreichenden Krieg, den seit Ewigkeiten dauernden Konflikt zwischen den Göttern, die sich um das Menschengeschlecht raufen …
Lässt sich der utopische Roman auch auf anderen Ebenen lesen – zum Beispiel als eine Art alternative Geschichte, in der noch viel mehr steckt?
Ganz sicher. Die unbequeme Frage „Was wäre, wenn …?“ fasziniert. Was wäre, wenn alle nordamerikanischen Autochthonen, die je gelebt haben, aufgrund einer alten Verheißung plötzlich von den Toten auferstehen …? Mein Roman entwirft eine alternative Historie, die bis heute ungeschehen ist. Die Geschichte der aus dem Jenseits zurückgekehrten Indianer gründet auf dem unstillbaren Wunsch, dass es anders komme und besser werde. Es bleibt also die Vorstellung eines „So wie es ist, so soll es nicht sein“. Kein kindischer, aber ein kindlicher Wunsch. Es ist das, woraus Kunst, woraus Literatur ihre Energie zieht.
Sie haben Ihr Werk als leidenschaftliches Plädoyer gegen Rassismus, Umweltzerstörung und religiösen Fundamentalismus beschrieben. Alles Themen, die die Menschen derzeit bewegen …
Diese Motive liegen mir sehr am Herzen. Es sind die großen, epochalen Themen, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, die in diesem Roman eine neue, ungeahnte Form annehmen und so in ihrer grundsätzlichen Bedeutung plötzlich wieder grell aufleuchten: Welcher Gott ist der mächtigste, welche Religion die attraktivste, welches Jenseits das verheißungsvollste? Ob Juden, Christen oder Muslime: Legen sie nicht alle ihren Glauben demselben anthropomorph-patriarchalischen Unhold zugrunde, mit dessen von Schrecken und Gewalt geprägter Vaterreligion der indianische „Große Geist“ Manitu partout nichts zu tun haben will? Und weiter: Warum ist der moderne Mensch Natur und Umwelt ein Gräuel? Wie kann man den Klimawandel abwenden und die geschundene Erde wieder heilen? Wie kann man Tieren ihre Würde zurückgeben, Bäumen, Sträuchern und Pflanzen Lebensrechte einräumen? Weshalb ist die indianische Weltanschauung die einzige, die mit den allerletzten Erkenntnissen der Naturwissenschaften vereinbar ist? Wie kommt es, dass indianische Spiritualität und moderne Quantenphysik zwei Seiten ein und derselben Medaille sind? Wie können seit Jahrhunderten Verfolgte ihre Geschichte zurückgewinnen und ihren Stolz wiedererlangen? Wie können aus ihrer angestammten Heimat Vertriebene und Entwurzelte, in unheilvolle Konzentrationslager und Reservationen Abgeschobene sich aus ihrer jämmerlichen Exitenz befreien?
René Oth
René Oth hat nach dem Abitur Literatur, Philosophie und Geschichte in Nancy, Paris und London studiert. Von 1969 bis 2008 lehrte und forschte er als „professeur-docteur“ in Luxemburg. Seit mehr als 50 Jahren ist er als Kolumnist und Rezensent für luxemburgische Tageszeitungen tätig, darunter das Magazin im „Tageblatt“, wo er für die Rubrik „Quergelesen“ regelmäßig schreibt.
Der Autor ist Science-Fiction- und Fantasy-Experte, der u.a. bei Luchterhand zahlreiche Einführungen in die „speculative fiction“ veröffentlicht hat. Er ist aber vor allem Amerikanist, Indianerkenner und Autor vieler Sachbücher zur Geschichte und Lage der Völker Nord-, Zentral- und Südamerikas. Sein neuer Roman „Die Rückkehr aus den ewigen Jagdgründen“ ist sein 37. Werk.
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