Leserforum / Der Geschichtsrevisionismus der AfD
In einem Live-Talk mit dem US-Milliardär Elon Musk behauptete die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, dass die Nazis als politisch links zu verorten seien und Hitler ein Kommunist gewesen sei. Dass ihre Aussage sich gegen jede wissenschaftliche historische Evidenz stellt und deshalb von allen namhaften Historikern als Unfug bezeichnet wird, interessiert die AfD-Vorsitzende nicht. Ihr geht es nur um das strategische Bestreben der AfD, die Geschichte des NS-Regimes umzudeuten und seine Menschheitsverbrechen zu verharmlosen. Seit Jahren gehört diese Vorgehensweise zur DNA dieser Partei; man erinnere nur an die Bagatellisierung des Dritten Reichs als „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte, an Höckes Verunglimpfung des Holocaust-Mahnmals in Berlin und seine Forderung nach einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad sowie an die Verharmlosung der SS durch den Europa-Spitzenkandidaten Krah.
Wenn man selbst, wie die AfD, eine autoritäre, völkische, und in weiten Teilen extrem rechte Agenda verfolgt, dann muss man versuchen, diese eigene Ideologie vom Makel der nationalsozialistischen Verbrechen reinzuwaschen. Das genau ist das Anliegen der AfD; darum sollen die NS-Verbrechen den Linken in die Schuhe geschoben werden, damit heutige Rechtsextreme sich von jeglicher Verantwortung reinwaschen können.
Ganz im Gegenteil zum kommunistischen Gleichheitsideal, beruhte das wahre ideologische Fundament der Nazis auf der Ungleichwertigkeit der Menschen. Der allgemeine, radikale Rassismus und der biologische Antisemitismus wurden 1935 in den Nürnberger Rassengesetzen in gesetzliche Normen gegossen. Nur „arische“ Deutsche waren vollwertige Reichsbürger, während Juden und Sinti und Roma offiziell zu Menschen minderen Rechts degradiert wurden. Die menschenverachtende NS-Ideologie führte zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit dem Ziel der Eroberung neuen Lebensraums für die arische Rasse und schließlich zum singulären Zivilisationsbruch des Holocaust. Hitler war der wichtigste Inspirator dieses Völkermords, nicht als Kommunist, wie absurderweise von Weidel behauptet, sondern als rassistischer Fanatiker, der den Juden schon am 30. Januar 1939 prophezeit hatte, dass im Fall eines neuen Weltkriegs das Resultat nicht „die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein (werde), sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“.
Seit September 1939 waren zudem „arische“ deutsche Staatsbürger, die aus Sicht der Nazis durch ihre geistige oder körperliche Behinderung das Recht auf Leben verloren hatten, im Rahmen des Euthanasieprogramms die ersten Opfer systematischer Tötungen geworden. Dies alles sind fundamentale Wesenszüge des an Menschenverachtung nicht zu übertreffenden Nazi-Regimes, das die Vernichtung von rassisch minderwertigem und behindertem Leben zum Staatsziel erhoben hatte.
Der zweite ideologische Schwerpunkt der Nazis war der Antibolschewismus, der hasserfüllte Kampf gegen Kommunisten, Marxisten und insgesamt gegen die politische Linke. Antibolschewismus und Antisemitismus vereinigten sich in der sogenannten „Dolchstoßlegende“, laut welcher von Juden gesteuerte linke Kräfte durch Verrat die Schuld an der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg getragen hätten. Aus dieser Verschwörungstheorie heraus richtete die NSDAP während der gesamten Weimarer Republik ihren gewalttätigen Kampf gegen Linke, insbesondere gegen Kommunisten. Wohl verkaufte die NSDAP sich in dieser Zeit aus propagandistischen Gründen auch als Partei des kleinen Mannes mit einer antikapitalistischen Rhetorik. Der Hauptvertreter dieser sozialrevolutionären Strömung, Gregor Strasser, wurde in den Säuberungsaktionen nach dem vermeintlichen Röhm-Putsch, wahrscheinlich auf Anordnung Hitlers, am 30. Juni 1934 ermordet.
Dies sind die historischen Tatsachen, von denen es keine Erlösung durch dreiste Geschichtsfälschung geben kann. Hitler als Kommunisten zu bezeichnen ist eine infame Verhöhnung des kommunistischen Widerstandes gegen das NS-Regime, es ist eine Verhöhnung der Tausenden politisch links gesinnten Menschen, die unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 in die Konzentrationslager verschleppt wurden.
Nach anfänglicher Verdrängung der NS-Schrecken hat das demokratische Nachkriegsdeutschland sich weltweit als liberale Demokratie Respekt erworben, gerade weil es sich in einem breiten gesellschaftlichen Konsens seiner Vergangenheit gestellt und für ein verantwortungsvolles Geschichtsbewusstsein eingetreten ist. Jedoch, wenige Tage vor den 80. Jahrestagen der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau (27. Januar) und der Ermordung von 110 luxemburgischen Refraktären und Resistenzlern in Sonnenburg (30./31. Januar) und im KZ-Sachsenhausen (1./2. Februar), müssen wir feststellen, dass in Deutschland mehr als jeder fünfte Wähler der AfD, trotz oder gerade wegen ihrer geschichtsrevisionistischen Ausrichtung, seine Stimme geben will. Indem breite Wählerschichten eine völkische, EU- und NATO-feindliche sowie Putin-freundliche Partei unterstützen, kündigen diese den Grundkonsens der demokratischen Mitte und erheben das Radikale zur Normalität.
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