/ „Unbequeme Wahrheit“: Warum Europas Flüchtlingspolitik teilweise hypokritisch ist
„Dass ihr Deutschen Europa wirtschaftlich führt, wissen wir. Dass ihr es seit einiger Zeit auch politisch führen wollt, haben wir lernen müssen. Aber sag mal, wollt ihr uns jetzt auch moralisch führen?“
Klingt nach Ungarns Viktor Orban oder Rumäniens Liviu Dragnea? Weit gefehlt. Die Kritik stammt aus einem persönlichen Gespräch zwischen Frankreichs Ex-Premier Manuel Valls und Sigmar Gabriel, dem ehemaligen Vizekanzler Deutschlands. Auf dem Höhepunkt der Migrationsbewegungen wurde es selbst den Franzosen 2015 zu bunt. Gabriel gibt dies mittlerweile offen zu. In seinem jüngst veröffentlichten Buch bricht er mit dem Narrativ, dass sich nur die vermeintlich zurückgebliebenen Osteuropäer mit Flüchtlingen und Migranten schwergetan hätten. Im Gegenteil: All jene Staaten, die Deutschland während der Finanz- und Wirtschaftskrise unter Druck setzte, hätten sich an die deutsche Gleichgültigkeit erinnert.
Italien habe beispielsweise doppelt einstecken müssen, nachdem Berlin es jahrelang mit dem überlebten Dublin-System alleine gelassen habe und Rom während der Schuldenkrise wie ein fauler Südeuropäer behandelt worden sei. Die Finanzkrise und die damit verbundene Politik hätten einen schweren Vertrauensverlust zur Folge gehabt: Die kriselnden Staaten und die Wähler der Sozialdemokraten hätten sich verraten gefühlt. Das Problem sei aber nicht, dass Berlin seinerzeit die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet habe, die über Österreich nach Deutschland gelangen wollten. Es sei vielmehr durch den deutschen Alleingang der Eindruck entstanden, dass für Banker und Flüchtlinge Geld da sei, nicht aber für jene Menschen mit niedrigen Renten und Löhnen. Gabriel rechnet demnach mit seiner eigenen Politik, aber auch mit jener von Ländern wie Luxemburg ab. Er lieferte sich etwa diese Woche hierzulande mit Außenminister Jean Asselborn eine Debatte über die Frage, was wichtiger in der Politik sei: Werte oder Interessen? Dass die beiden Sozialdemokraten keinen gemeinsamen Nenner finden konnten, verdeutlicht ein Problem, das weit über deutsche Polit-Solos hinausgeht: Die Kluft zwischen programmatischen Visionen und praktischer Regierungsarbeit ist ein parteiübergreifendes Phänomen, mit dem so ziemlich jeder Politiker früher oder später konfrontiert wird.
So bringt der schönste Flüchtlingsdiskurs nichts, wenn die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung oder die nötige Infrastruktur fehlt. Umgekehrt ist es keine Entschuldigung, Menschen an Grenzen im Stacheldraht verrecken zu lassen, weil nationalistischen Hirngespinsten eine höhere Priorität als dem Völkerrecht eingeräumt wird. Insofern übertreibt Gabriel, wenn er ironisch anmerkt, er ersticke gelegentlich an der Moral Deutschlands. Man ist kein Moralapostel, wenn Migranten nicht im Mittelmeer ihrem Schicksal überlassen werden oder verhindert wird, dass sie in Lkws in den Tod geschickt werden. Ein Vorwurf Gabriels ist jedoch mit Blick auf den viel beschworenen Schutz der EU-Außengrenzen nicht von der Hand zu weisen: „Zur unbequemen Wahrheit gehört, dass uns erst die Zäune von Viktor Orban Luft verschafft haben.“ Luft für eine weiterhin stagnierende europäische Politik.
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Wo genau in Europa lässt man „Menschen an Grenzen im Stacheldraht verrecken“?
Und was schwebt den Moralisten genau vor? Offenen Grenzen nach Europa für alle, mit der Garantie jeden zu retten der sich auf den Weg macht? Oder um alle potentielle Gefahren auszuschließen, eine direkte Abholung vor Ort, wo dieser auch immer liegt? Die moralisierende Presse macht sich es zu einfach die Politiker zu schelten die Realpolitik umsetzten müssen und dabei einen Grunkonsens wahren müssen.