Forum / Welchen Stellenwert hat der Non-Profit-Sektor für Sie, Herr Frieden?
Caritas und christlich-soziale Volkspartei – eigentlich zwei Organisationen, die sich historisch nahestehen. Seitdem ein Millionenbetrug bei der Caritas öffentlich wurde, hängt der Haussegen allerdings schief. Es ist klar, dass angesichts der überaus unübersichtlichen Situation bei der Caritas und ihrer damit verbundenen finanziellen Lage der Staat „nicht einfach mal“ die Bankschulden der Organisation übernimmt.
Und dennoch. Dass gerade der Premierminister und Parteipräsident der CSV auf den Caritas-Skandal mit einer solchen Härte und Wortwahl reagiert, überrascht dann doch, wurde die Caritas doch Opfer von beispiellosem kriminellem Vorgehen. Mehr noch: Für Frieden ist die Caritas lediglich ein „Dienstleister“ wie jeder andere auch.
Doch entspricht diese Darstellung der Realität? Welche Rolle spielen Organisationen wie die Caritas in Luxemburg? Und was sollte jetzt getan werden, um den Non-Profit-Sektor zu stärken?
Non-Profit-Sektor ist nicht nur einfacher Dienstleister
Die soziale und erzieherische Arbeit in Luxemburg entwickelte sich von den katholischen Kongregationen, die im 19. Jahrhundert aktiv waren, über erste staatliche Einrichtungen wie die Hospize zu gewerkschaftlichen Initiativen hin zur Entstehung der ersten Non-Profit-Organisationen um den Ersten Weltkrieg herum. Die bis heute größten Sozialträger sind das Luxemburger Rote Kreuz und die Caritas.1)
Der Sektor ist in der Vergangenheit maßgeblich gewachsen, nicht zuletzt dadurch, dass der Luxemburger Staat zahlreiche öffentliche Aufgaben, ganz nach dem Prinzip des subsidiären Wohlfahrtstaates, an Organisationen der sozialen Arbeit abgegeben hat. Zahlreiche theoretische Modelle sprechen vom Drei-Sektoren-Modell und nennen den Staat, den privaten Markt, also gewinnorientierte Unternehmen, und den Dritten Sektor, die Non-Profit-Organisationen2). Diese Organisationen sind wichtige Akteure der Zivilgesellschaft. Sie arbeiten nicht profitorientiert, sondern verfolgen ihre Mission, indem sie sich an Werten orientieren. Das Entscheidende: Sie übernehmen Aufgaben, die weder der Staat noch der private Markt in dieser Form leisten könnten. Konkrete Beispiele hierfür sind beispielsweise Kinderheime, Flüchtlingseinrichtungen oder Einrichtungen für Senioren.
Ohne diesen dritten Sektor wäre unser Land ganz schön aufgeschmissen. Das Engagement zahlreicher Mitarbeiter sowie vieler Tausender Ehrenamtlichen ist viel mehr als nur eine simple Dienstleistung für den Staat. Dies müsste der Premierminister als ehemaliger Vizepräsident des Luxemburger Roten Kreuzes eigentlich besser wissen.
Wenn jetzt in aller Munde Governance, Compliance und Management zahlreicher Non-Profit-Organisationen diskutiert werden, sollte die wichtige – nein, unersetzbare – Arbeit dieser Strukturen und ihrer Vertreter nicht vergessen werden. Sie sind oft Vorreiter bei innovativen Lösungen, erarbeiten Konzepte für einen besseren Sozialstaat, mischen sich konstruktiv in die öffentliche Debatte ein, sind agiler und engagierter als der Staat es selbst sein kann.
Ohne sie hätte die Zivilgesellschaft unseres Landes keine so laute Stimme, wäre die Professionalisierung der sozialen Arbeit nicht so vorangegangen und wären nicht so viele Brücken zu einer besseren Integration, Prävention und Vernetzung gebaut worden.
Studium im Non-Profit-Management in Luxemburg
Natürlich müssen strukturelle Fehler aufgearbeitet werden; es wäre jedoch falsch und sogar fatal, den ganzen Non-Profit-Sektor nun pauschal infrage zu stellen. Viel wichtiger ist es, den Organisationen die nötigen Mittel zu geben, um ihre Governance und ihre Strukturen sicher, transparent, professionell und nachhaltig aufzustellen.
Einen Ausbildungszweig im Non-Profit-Management an der Uni Luxemburg einzurichten, wie es ihn in zahlreichen anderen Ländern bereits gibt, wäre hier ein wichtiges Signal. Die Leitung von sozialen Organisationen ist nun mal, wie das gesamte System, komplexer und professioneller geworden – darauf muss auch die Aus- und Weiterbildung reagieren. Um es in Luc Friedens Vokabular auszudrücken: Talente anziehen ist das eine, Talente ausbilden und sie mit dem nötigen Wissen und den Kompetenzen auszustatten, das andere.
„Congé bénévolat“: Good Governance braucht Zeit
Und wenn wir von Governance sprechen – also der Rolle und Arbeit der Vorstände von Non-Profit-Organisationen, jenen Menschen, die Verantwortung tragen über Organisationen und Vereine, ihre Tätigkeiten, ihre Mitarbeiter, ihre Finanzen – dann sprechen wir in sämtlichen Fällen von ehrenamtlichen Menschen, die sich in ihrer Freizeit für diese Organisationen einsetzen.
Sie tragen eine enorme Verantwortung, machen es aus Idealismus und Überzeugung, und das über mehrere Jahre, während vieler Stunden die Woche, neben ihrer Arbeit und Familie. Für diese Menschen, die bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen, sollte ein zusätzliches „Congé bénévolat“ eingeführt werden.
Wenn der Staat und wir als Gesellschaft in Zukunft eine „Good Governance“ im Non-Profit-Sektor haben wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass jene freiwilligen, engagierten Menschen auch das nötige wöchentliche Stundenkontingent bekommen, um ihren Aufgaben und Verantwortungen nachzukommen. Wir brauchen auch in Zukunft das Engagement jener Menschen und sollten alles tun, um ihnen die Kompetenzen, die Weiterbildung und die Zeit zu geben, um diesen Missionen gerecht zu werden.
Staat muss Verantwortung übernehmen
Das Luxemburger Sozialmodell beruht auf dem Dreiklang des Staates, des privaten Marktes und des Non-Profit-Sektors. Der Non-Profit-Sektor beruht auf einer starken und engagierten Zivilgesellschaft, die den Ärmsten hilft, die auf Prävention setzt, die integriert und Ungleichheiten aufdeckt. Der Sektor ist wichtig für das Funktionieren unseres Landes, die Arbeit der tausenden Mitarbeiter:innen und Ehrenamtlichen ist unabdingbar und die strukturelle Unterstützung für einen gut aufgestellten, kompetenten, professionellen Non-Profit-Sektor vonseiten des Staates, gerade jetzt, von größter Wichtigkeit.
Der Staat macht es sich zu einfach, wenn er einerseits staatliche Aufgaben an Dritte abgibt, im Falle von Problemen aber keine Verantwortung übernehmen will. Gerade angesichts der derzeitigen Schwierigkeiten gilt es, statt großspurigem Auftreten den Stellenwert des Non-Profit-Sektors anzuerkennen und diesen mit konkreten Maßnahmen wie einem besseren Ausbildungsangebot sowie dem „Congé bénévolat“ für die Zukunft zu stärken.
Bleibt zu hoffen, dass der Premierminister sein von sozialer Kälte geprägtes Selbstverständnis des wirtschaftsliberalen CEO Luxemburgs ablegen kann, um in seiner Rolle als Premier und Präsident einer immerhin christlich und sozialen Volkspartei die nötige Verantwortung zu übernehmen.
1) Métamorphoses de l’intervention sociale 1939-1940, P. Zahlen, J. Schoos, S. 31-61. In: Handbuch der sozialen und erzieherischen Arbeit in Luxemburg. H. Willems, G. Rotink, J. Schoos, M. Majerus, N. Ewen, M.A. Rodesch-Hengesch, C. Schmit (Hrsg.), Band 1, Editions Saint-Paul 2009.
2) NPOs: Abgrenzungen, Definitionen, Forschungszugänge, M. Meyer, R. Simsa, S. 3-14. In: Handbuch der Nonprofit-Organisation. R. Simsa, M. Meyer, C. Badelt (Hrsg.), Scäffer-Poeschel 2013.
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