Deutschland / Atom-Streit spitzt sich empfindlich zu: Union versus Habeck
Die Unionsfraktion will zeitnah entscheiden, ob sie einen Untersuchungsausschuss zum Atom-Aus beantragt. Wirtschaftsminister Habeck geht in die Offensive. Ein Brief aus seinem Ministerium spielt den Ball zurück an die Union.
Der neuerliche Streit zwischen der Union und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) um die Abschaltung der letzten drei deutschen Atommeiler spitzt sich zu. In dieser Woche will die Bundestagsfraktion der Union dem Vernehmen nach entscheiden, ob sie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen wird, der die Vorgänge rund um den Atom-Ausstieg im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) durchleuchten soll.
Kommt es so, will die Union untersuchen, ob Habeck und seine Parteifreundin, Umweltministerin Steffi Lemke, eine Atomkraft-Verlängerung aus ideologischen Gründen verhindert haben. Diesen Verdacht legt eine Berichterstattung des Magazins Cicero von Ende April unter dem Titel „Habecks Geheimakten – wie die Grünen beim Atomausstieg getäuscht haben“ nahe. Ob die Union tatsächlich einen Untersuchungsausschuss beantragen wird, steht und fällt mit Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). Womöglich könnte die Entscheidung bereits an diesem Montag im Vorstand fallen und dann offiziell in der Fraktionssitzung am Dienstag beschlossen werden. Die Stimmen mehren sich, die die Einsetzung für sehr wahrscheinlich halten.
Habecks Ministerium geht derweil in die Offensive und zeichnet ein größeres Bild, das über die Atom-Frage hinausweist. Man will aufzeigen, dass es allein die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas war, die Deutschland nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in eine schwere Energiekrise stürzte – und eben nicht das endgültige Aus der drei Atommeiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 am 15. April 2023. Das BMWK argumentiert, die von der Union geführte große Koalition habe diese Abhängigkeit von Russland sehenden Auges zugelassen.
Der Brief des Staatssekretärs
Konkret geht es um einen Brief des parlamentarischen Staatssekretärs im BMWK, Stefan Wenzel (Grüne), an den Obmann der Union im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, Thomas Gebhart (CDU). In dem elfseitigen Brief, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt, ordnet Wenzel „die Entscheidung der Bundesregierung, die Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke über den 31. Dezember 2022 hinaus zu verlängern, in den Gesamtkontext der Energiekrise“ ein. Der Brief ging an alle Mitglieder des Energieausschusses sowie die zuständigen Obleute.
Die Abhängigkeit von russischem Gas habe Deutschland „besonders verletzbar“ gemacht, schreibt Wenzel. Er erinnert an die Pipeline Nord Stream 2, die Deutschlands Abhängigkeit weiter verfestigt hätte, am Ende aber nie in Betrieb genommen wurde. „Die letzten Schritte zur endgültigen Genehmigung und Inbetriebnahme der Nord-Stream-2-Pipeline wurden auch dann noch fortgeführt, als im Jahr 2021 Russlands Truppen zu Manövern an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten und die deutschen Gasspeicher ungewöhnlich niedrige Füllstände aufwiesen“, schreibt der Staatssekretär an die Union. Habecks Ministerium stoppte die Zertifizierung der Pipeline noch im Februar 2022, zwei Tage vor der russischen Invasion in die Ukraine.
In dem Brief beschreibt Wenzel detailreich, welche Schritte das Ministerium unternahm, um eine noch schwerere Energiekrise zu verhindern – von neuer Gasbeschaffung über gesetzliche Verpflichtungen für volle Gasspeicher bis hin zum Bau von Flüssiggas-Terminals. Und schließlich legt der Staatssekretär ausführlich dar, was zur Entscheidung führte, die Atommeiler über das ursprüngliche Ausstiegsdatum Ende 2022 hinaus dreieinhalb Monate länger laufen zu lassen.
Vorangegangen waren Stresstests der Übertragungsnetzbetreiber, in denen verschiedene Szenarien der Energieversorgung durchgespielt wurden. Weil es innerhalb der Ampel-Koalition bis dahin keine Einigung über die sogenannte Einsatzreserve gab, machte im Oktober der Bundeskanzler von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Olaf Scholz (SPD) entschied damals, dass die Atommeiler zum 15. April 2023 laufen sollten, es aber darüber hinaus keine Laufzeitverlängerung geben würde.
Habeck bleibt gelassen
„Richtig ist, dass in der Debatte um die Frage eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke nur die Frage eine Rolle spielte, ob diese in der akuten Krise einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können“, heißt es in dem Brief. „Eine generelle Laufzeitverlängerung, also ein Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomkraft, wie es Ihre Partei jetzt wieder fordert, wurde nicht befürwortet und wird es auch nicht“, schreibt Wenzel. Heute habe Deutschland die „schlimmste Energiekrise seit Jahrzehnten weitgehend überwunden“. Für die hohe Abhängigkeit von Russland habe Deutschland „einen hohen Preis“ bezahlt. „Im April 2023 gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Seitdem ist der Strompreis deutlich gesunken; die Preise sind wieder weitgehend auf Vorkrisenniveau“, so Wenzel.
Spricht man dieser Tage mit Habeck, dann erlebt man einen Minister, der einem möglichen Untersuchungsausschuss betont gelassen entgegenblickt. Ein Sprecher des Umweltministeriums (BMUV) teilte mit, dass man sich an Spekulationen nicht beteiligen werde. Das Ministerium habe der Unionsfraktion und dem Parlament an diesem Samstag „die weiteren, am 2. Mai zusätzlich erbetenen Unterlagen zu den Abwägungs- und Abstimmungsprozessen im Jahr 2022 über eine Laufzeitverlängerung der seinerzeit noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke übermittelt“. Ob die Union sich davon abhalten lässt, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, darf jedoch bezweifelt werden.
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