Großbritannien / Commonwealth-Gipfel bringt London wegen riesiger Reparationssummen unter Druck
Lassen sich die Sünden der lange zurückliegenden Vergangenheit mit Geldzahlungen sühnen? Über die Frage streitet das frühere Mutterland Großbritannien auf dem Commonwealth-Gipfel in Samoa mit einer Vielzahl seiner Ex-Kolonien.
„Wir sollten nach vorn schauen“, findet der britische Labour-Premier Keir Starmer und wehrt jedes Gespräch über die geforderten Milliarden-Zahlungen an die Nachfahren von Sklaven ab. Die Position werde sich schon noch ändern, gibt sich hingegen der Außenminister der Bahamas überzeugt: „Es mag eine Zeit lang dauern, aber irgendwann wird die britische Regierung ihre Meinung ändern müssen“, teilte Frederick Mitchell der BBC mit.
Seit längerem verfolgen 15 Kleinstaaten der karibischen Gemeinschaft (Caricom) Milliarden-Ansprüche gegen ihre früheren Kolonialmächte, darunter auch gegen Großbritannien. Die Rede ist von Schuldenerlass, mehr Entwicklungshilfe sowie Ausbilder für Lehrer und Ärzte. Zur Allianz zählen Staaten wie Jamaika oder Grenada, deren Staatsoberhaupt der britische König Charles III bis heute ist.
Allesamt gehören sie zum Commonwealth, dem englischsprachigen Club von derzeit 56 souveränen Staaten, darunter auch Länder wie Mosambik, Ruanda oder Togo, die nie Teil des Empire waren. Die Repräsentanten einiger der größten und bevölkerungsreichsten Länder der Welt wie Kanada, Indien und Malaysia treffen dort auf die Kolleginnen von Zwergen wie die Pazifikstaaten Kiribati (60.000 Einwohner) oder Tuvalu (12.000) – und eben Samoa, das diese Woche als Gastgeber des alle zwei Jahre steigenden Treffens der Staats- und Regierungschefs (CHOGM) fungiert.
Diesmal sollte vor allem die Nachfolge der umstrittenen Generalsekretärin Patricia Scotland im Mittelpunkt stehen; darum bewerben sich eine Frau und zwei Männer aus Afrika. Stattdessen dominiert die Sklaverei und die dafür diskutierten Ausgleichszahlungen („reparatory justice“) die Diskussionen. Schätzungen sprechen von elf Millionen Schwarzafrikanern, die aus ihrer Heimat verschleppt und als Entrechtete über den Ozean gebracht wurden; viele weitere Millionen wurden schon in Afrika oder auf der Reise getötet. Das kaum vorstellbare Unrecht dauerte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Ausgleichsfonds für Profite mit Sklaven
Die anglikanische Staatskirche ist an die Debatte längst gewöhnt. Ihr höchster Geistlicher, der Erzbischof von Canterbury, steht gleichzeitig der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft mit rund 80 Millionen Gläubigen vor. Im vergangenen Jahr richtete die Church of England zur Buße für „unsere beschämende Vergangenheit“ einen Ausgleichsfonds von 100 Millionen Pfund (120 Mio. Euro) ein. Das Geld stammt aus einem Investitionsfonds, der im 18. Jahrhundert erheblich von den sagenhaften Profiten der mit Sklaven handelnden Südsee-Gesellschaft (South Sea Company) profitierte. Das Geld war damals zur Unterstützung notleidender Pfarrer gedacht; der Ausgleichsfonds soll Gruppen und Gemeinden in den früheren Kolonien zugutekommen, die vom Sklavenhandel im britischen Empire betroffen waren.
„Mit geerbtem Reichtum“, sagt der Empire-Historiker David Olusoga, „geht Verantwortung einher“. Nach dieser Devise geben prominente britische Familien, beispielsweise die Nachfahren des Premierministers William Gladstone (1809-98), von ihrem Reichtum ab, der zu Teilen auf Sklaverei-Profiten besteht. Wie die Kirche hat auch das Guardian-Verlagshaus einen Ausgleichsfonds eingerichtet. Die Universitäten von Cambridge und Glasgow lassen die Verbindungen historischer Gönner zum profitträchtigen transatlantischen Menschenhandel ebenso untersuchen wie Charles selbst: Das Königshaus finanziert das Forschungsprojekt einer Doktorandin an der Uni Manchester, die den finanziellen Verstrickungen der Monarchie in den Sklavenhandel zwischen 1660 und 1775 untersucht.
Zweifel an Bedeutung des Commonwealth
Unterdessen wachsen die Zweifel an der Bedeutung des Commonwealth. Viele Staats- und Regierungschefs scheuten die weite Reise in die Leere des Pazifiks. Cyril Ramaphosa (Südafrika) und Narendra Modi (Indien) ließen sich, ebenso wie die Kollegen aus Bangladesch und Sri Lanka, lieber vom russischen Kriegsherrn Wladimir Putin bewirten. Kanada mochte weder Premierminister Justin Trudeau noch Außenministerin Mélanie Joly entsenden.
Akut gefährdet ist seit Jahren eine der wichtigsten Institutionen des kuriosen Clubs, die alle vier Jahre steigenden Commonwealth-Spiele. Der australische Bundesstaat Victoria hat die Gastgeberrolle für 2026 aus Finanznot zurückgegeben, nun steigt ein stark abgespecktes Event im schottischen Glasgow. Was vier Jahre später zur 100-Jahrfeier geschehen soll, steht einstweilen in den Sternen. Die kanadische Provinz Alberta jedenfalls hat ihre Bewerbung zurückgezogen. Zudem beklagen Top-Athleten schon seit Jahren, die Vorbereitung auf die global vergleichsweise unbedeutenden Spiele koste zu viel Zeit und Energie.
Mag König Charles auch zäh am Commonwealth als Symbol der weltweiten Bedeutung des britischen Königshauses festhalten – für das Mutterland wird die Vereinigung ein Problem bleiben. Alle drei Kandidaten für die Nachfolge der umstrittenen britischen Generalsekretärin Patricia Scotland machten sich vorab für Sklaverei-Reparationen stark. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung.
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