Vertrauensfrage in Deutschland / Die politische Waffe, die nach hinten losgehen kann
Olaf Scholz wird an diesem Montag die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Ob sich danach noch Mehrheiten im Bundestag für verbleibende Vorhaben bilden lassen, ist fraglich. Die Vertrauensfrage als politisches Instrument haben schon einige Kanzler mehr oder weniger geschickt angewandt.
Es wird ein historischer Tag: Am Montagmittag um 13 Uhr wird der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Sein Ziel: Die Abstimmung durch die Abgeordneten verlieren, um den Weg für Neuwahlen am 23. Februar freizumachen. Ein weiteres Ziel des Kanzlers ist es, noch einige Vorhaben in dieser Wahlperiode abzuschließen. Da SPD und Grünen nach dem Ampel-Bruch keine Mehrheit mehr im Bundestag haben, wären die Stimmen der Union oder des Ex-Koalitionspartners FDP nötig.
Oppositionsführer und CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte die grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, noch über mögliche Vorhaben zu sprechen – allerdings erst nach gestellter Vertrauensfrage. Doch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zerschlug diese Hoffnung nun. „Wir sind nicht bereit, die Trümmer der zusammengebrochenen Ampel zu kitten“, sagte Dobrindt unserer Redaktion. „Der Rest-Ampel fallen gerade jeden Tag neue Themen ein, die noch dringend geregelt werden sollen.“ Das sei nicht glaubwürdig, „weil sie diese Dinge in den vergangenen drei Jahren längst hätte regeln können, doch sie hatte nicht die Kraft dazu“.
„Scholz ist gescheitert“
Auch die Fraktion der FDP, die Koalitionsbruch und Vertrauensfrage erst ermöglichte, will dem Bundeskanzler das Vertrauen entziehen. „Olaf Scholz ist gescheitert, weil SPD und Grüne nicht bereit waren, die dringend notwendigen Reformen für das Land mitzutragen“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr unserer Redaktion. „Anstatt mit uns die überfällige Wirtschaftswende einzuleiten, wollte Scholz den einfacheren Weg gehen und über neue Schulden an das Geld der Menschen“, so Dürr.
Da die verbliebene Koalition keine Mehrheit mehr habe, gebe es „keinen Automatismus“ mehr für Vorhaben, die während der Ampel-Koalition als Kompromisse vereinbart worden seien, sagte Dürr. „Die von uns jetzt durchgesetzten Entlastungen, mit dem Abbau der kalten Progression, weiteren Steuererleichterungen und der Erhöhung des Kindergeldes zeigen, dass wir für unsere Überzeugungen einstehen“, so der FDP-Politiker. „Auch bei anderen Gesetzen, die noch in dieser Legislatur beraten werden können, wird unsere Zustimmung davon abhängen, ob sie tatsächlich notwendig sind und ob sie Entlastungen und Bürokratieabbau bringen“, betonte Dürr.
Die Vertrauensfrage
Ursprüngliches Ziel der Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes war es, dem Kanzler ein Instrument in die Hand zu geben, sich seiner Mehrheit im Bundestag zu versichern. Sie kann gerade in schwierigen Situationen disziplinierend auf die Regierungsparteien wirken. Denn wenn der Kanzler keine Mehrheit bekommt, „kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen“, wie es in Artikel 68 heißt. Dann müssten innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Alternativ könnte der Bundespräsident zwar auch die Auflösung verweigern oder die Parlamentsmehrheit könnte jemand anderen zum Bundeskanzler wählen. Beide Varianten gelten in der aktuellen Lage aber als ausgeschlossen. Erklärtes Ziel von Scholz sind Neuwahlen. Und mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist bereits der Wahltermin am 23. Februar vereinbart.
September 1972 – Willy Brandt (SPD)
Im September 1972 stellt Willy Brandt als erster Kanzler die Vertrauensfrage. Er will Neuwahlen herbeiführen. Denn seine Ostpolitik mit der faktischen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hatte auch in der sozialliberalen Koalition zu großen Verwerfungen geführt. Die Kritiker halten Brandt zudem vor, dass eine absichtlich verlorene Vertrauensfrage nicht dem Geist des Grundgesetzes entspreche. Brandt verliert die Abstimmung am 22. September dann wie beabsichtigt. Bei Neuwahlen im November 1972 holt seine SPD ihr bis heute bestes Ergebnis. Brandt kann seine sozialliberale Koalition mit klarer Mehrheit fortsetzen.
Februar 1982 – Helmut Schmidt (SPD)
Schmidt stellte die Vertrauensfrage mit der ursprünglich vorgesehenen Absicht, sich der Mehrheit seiner sozialliberalen Koalition im Parlament zu versichern. Hintergrund war neben dem Streit über die Wirtschaftspolitik der wachsende Widerstand in der SPD gegen die Nachrüstung infolge des NATO-Doppelbeschlusses. Schmidts Kalkül ging auf: Er bekam die Zustimmung sämtlicher Koalitionsabgeordneter. Allerdings zerbrach Schmidts Regierung im September am Konflikt mit der FDP über die Wirtschaftspolitik. Er wurde dann im Oktober durch ein konstruktives Misstrauensvotum der Opposition gestürzt.
Dezember 1982 – Helmut Kohl (CDU)
Kohl nutzte die Vertrauensfrage, um zur Vergrößerung seiner Machtbasis Neuwahlen herbeizuführen. Kritik an dem Vorgehen, sich trotz vorhandener Mehrheit durch die Vertrauensfrage stürzen zu lassen, wies er zurück. Er verwies dabei auf das Ziel, das Land aus der „schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik“ herauszuführen. Dazu brauche es einen „entschiedenen Wählerauftrag“. Kohl verliert die Vertrauensabstimmung wie vorgesehen, bei den Neuwahlen im März 1983 gewinnt die Union klar. Der Streit um die „unechte“ Vertrauensfrage landet vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Richter billigen Kohls Vorgehen jedoch.
November 2001 – Gerhard Schröder (SPD)
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wird die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Einsatz zur Zerreißprobe für die rot-grüne Koalition von Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Als erster und bisher einziger Kanzler verbindet er das Vertrauensvotum mit einer Sachfrage. Schröder gewinnt am 16. November die Vertrauensfrage, der Bundestag stimmt dabei der deutschen Beteiligung an der internationalen Operation „Enduring Freedom“ zu, die insbesondere auf Afghanistan zielt.
Juli 2005 – Gerhard Schröder (SPD)
Nach Niederlagen der SPD bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kündigt Schröder eine vorgezogene Bundestagswahl an. Er begründet dies mit den Widerständen gegen seine weiteren Reformpläne nach der Verabschiedung der umstrittenen Agenda 2010. Dafür brauche es eine „stetige Mehrheit“ im Bundestag. Der Bundestag stimmt am 1. Juli 2005 über die Vertrauensfrage ab, Schröder verliert sie wie geplant. Bei den Wahlen im September unterliegt die SPD dann knapp der Union.
- Polizei meldet Sprengung eines Geldautomaten in Reisdorf - 17. Januar 2025.
- Nach Autopsie: Ministerin Hansen gibt weitere Details zu Todesursache - 17. Januar 2025.
- Navid Kermani: „Die großen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht national lösen“ - 16. Januar 2025.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos