Gipfeltreffen / EU-Staats- und Regierungschefs befassen sich mit strittigen Themen
Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs heute wieder persönlich zu ihrem Gipfeltreffen in Brüssel erscheinen werden, dürfte es ihnen leichter fallen, manche heikle Themen anzugehen. Denn es haben sich in den vergangenen Wochen einige strittige Fragen angestaut.
Das wohl größte Problem, mit dem sich die Europäische Union derzeit konfrontiert sieht, stand bis gestern nicht einmal auf der Tagesordnung des heute beginnenden Gipfeltreffens: der von Ungarn und Polen blockierte mehrjährige EU-Haushaltsplan samt der Wiederaufbauhilfe für Mitgliedstaaten, die wegen der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Die Regierungen in Budapest und Warschau hatten ein Veto gegen das 1,8 Billionen schwere Finanzpaket eingelegt, da sie verhindern wollen, dass einem EU-Staat bei künftigen Verstößen gegen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien die Gelder aus Brüssel gestrichen werden können. Nach wochenlangen Verhandlungen mit den beiden hat der derzeitige deutsche EU-Ratsvorsitz gestern eine Lösung in dem Streit gefunden. Dabei dürfte vermutlich der Umstand mitgewirkt haben, dass Ungarn und Polen eine Frist bis Dienstag gesetzt wurde, ihre Position aufzugeben. Andernfalls würden die anderen 25 Mitgliedstaaten zu „Plan B“ übergehen und den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds mittels der im Lissabonner Vertrag vorgesehenen „verstärkten Zusammenarbeit“ ohne die beiden einsetzen.
Allerdings wird sich nun zeigen müssen, ob die übrigen 24 EU-Staaten mit der Lösung einverstanden sind, die zwischen den drei vereinbart wurde. Vor allem aber bedarf es ebenfalls der Zustimmung des Europäischen Parlaments (EP), das ein vehementer Verfechter des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus ist. Im Rat beharren Länder wie Luxemburg, Frankreich oder die Niederlande, für die die mit dem EP ausgehandelte Verordnung ein absolutes Minimum ist, auf der Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geldern mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien.
Blockade aufheben
Gestern kamen die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in Brüssel zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um den Kompromissvorschlag zu erörtern. Am Gesetzestext selbst werde es keine Änderung mehr geben, hieß es anschließend. Zwischen dem EU-Ratsvorsitz einerseits sowie Ungarn und Polen andererseits wurde lediglich eine Erklärung ausgehandelt, die einige Präzisionen über die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus enthalte. So würde der Nachrichtenagentur AFP zufolge dieser Mechanismus möglicherweise erst nach den ungarischen Parlamentswahlen, die im Jahr 2022 stattfänden, angewandt werden können. Denn die beiden Veto-Länder haben jetzt noch die Möglichkeit, gegen die Verordnung vor dem Europäischen Gerichtshof Klage einzureichen. Ein Urteil dazu sei erst in ein bis zwei Jahren zu erwarten.
Ein Weiterkommen in dieser Angelegenheit ist insofern von Bedeutung, da die Blockade des mehrjährigen Haushalts aufgehoben werden muss. Nicht nur um einen Notfallhaushalt zu vermeiden. Finanziert werden müssen auch jene Programme, die sich die EU-Staaten zur Umsetzung ihrer Klimapolitik geben wollen, die ein anderes großes Thema beim Gipfel sein wird. Die 27 haben sich zum Ziel gesetzt, die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen und auf ihrem Weg dazu bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Dieses Ziel wird ausdrücklich auch von Luxemburg unterstützt. Die EU-Staaten wollen dazu die allgemeine Marschrichtung festlegen, während die EU-Kommission im kommenden Jahr die entsprechenden Gesetze vorlegen soll.
Problemfall Türkei
Einigen müssten sich die 27 bei ihrem Treffen in Brüssel ebenfalls darauf, wie sie auf die anhaltenden Provokationen der Türkei im östlichen Mittelmeer reagieren wollen. Dort lässt Ankara trotz Warnungen der EU weiterhin in griechischen und zypriotischen Gewässern Erkundungsbohrungen nach Gas und Erdöl vornehmen. Zudem wirft Athen der Türkei vor, an der gemeinsamen Grenze Flüchtlinge nach Griechenland zu schleusen. Angebote der EU zur Beilegung der Streitigkeiten wurden von Ankara offenbar noch nicht beantwortet. Die ausgestreckte Hand der EU habe bislang ins Leere gegriffen, hieß es gestern aus diplomatischen Kreisen in Brüssel.
Ob sich die 27 zur Verhängung von Sanktionen gegen die Türkei durchringen werden, ist fraglich. Zwar hätten sich die Positionen der EU-Staaten dazu in den vergangenen Wochen und Monaten angenähert. Dennoch scheint es noch keine Einigkeit zu geben. Während Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron jüngst persönlich vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angegriffen wurde, Sanktionen befürwortet, bremsen Länder wie Deutschland und Italien. Vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen. Luxemburg spricht sich für eine starke Haltung der EU gegenüber der Türkei aus. Das sei auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU, hieß es gestern weiter.
Brexit
Und auch der Brexit wird die EU-Staats- und Regierungschefs noch einmal beschäftigen, auch wenn dieses Thema ebenfalls nicht auf der Tagesordnung steht. Dennoch wird die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Runde über ihr Treffen am Vorabend mit dem britischen Premierminister Boris Johnson informieren. Beide sollten ausloten, inwiefern eine Lösung der feststeckenden Verhandlungen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen noch möglich ist, bevor Großbritannien Ende des Jahres endgültig aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion ausscheidet. Die 27 selbst werden keine Entscheidung bezüglich dieser Verhandlungen treffen. Dies sei allein Aufgabe der EU-Kommission, hieß es gestern von offizieller Seite. Allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit, da das Post-Brexit-Abkommen noch vom EU-Parlament ratifiziert werden muss. Ob auch die EU-Staaten zustimmen müssen, steht noch nicht fest.
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