Brüssel / Europa-Perspektiven der Frankreich-Wahlen: „Die Angst einer Zerstörung der EU ist real“
Rechtspopulisten sehen nach den Auftaktergebnissen mit großen Erwartungen der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen entgegen, Politiker der demokratischen Mitte mit Befürchtungen und Appellen für ein Zusammenstehen.
Noch sind die genauen neuen Kräfteverhältnisse in der französischen Nationalversammlung dem zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag vorbehalten. Doch der Auftakt hat die Brüsseler Befürchtungen bestätigt: Die liberalen Kräfte von Präsident Emmanuel Macron sind vom ersten auf den dritten Platz abgerutscht, haben den Rechtsnationalen die Spitzenposition abgetreten. Viel hängt nun davon ab, ob es für die Partei von Marine Le Pen zur absoluten Mehrheit reicht und sie damit Macron in eine Zusammenarbeit mit einem rechtsnationalen Regierungschef zwingen kann.
Die direkten EU-Auswirkungen hängen von dem Ergebnis im zweiten Wahlgang entscheidend ab. Kann eine rechtspopulistische Regierung verhindert werden und Macron etwa mit einem aus Technikern oder Experten gebildeten Kabinett ein Angebot an die Nationalversammlung ohne klare Mehrheit machen, wird Frankreich zwar in jeder Ministerratssitzung auf EU-Ebene nicht von Angehörigen der Le-Pen-Partei vertreten. Ob sie jedoch eine verbindliche Umsetzung des EU-Rechtes in Frankreich zusagen können, bleibt selbst dann offen. Bekommt die Partei Rassemblement National (RN) die absolute Mehrheit, entsendet sie ihre Leute nicht nur in alle Ministerien in Paris, sondern auch in alle Ratsgremien in Brüssel. Marine Le Pen mischt auf diese Weise nicht nur im Parlament über ihre gestärkte ID-Fraktion mit, sondern auch im Rat über ihre Minister.
Blockaden rücken näher
Blockaden durch Rechtspopulisten rücken immer näher. Wenn sich derzeit das von der Rechtspopulistin Giorgia Meloni regierte Italien und das Ungarn des Rechtspopulisten Viktor Orbán zusammentun, erreichen sie bei weitem nicht die Größe einer Sperrminorität, die etwa bei erforderlichen qualifizierten Mehrheiten im Rat alles verhindern könnte. EU-Recht braucht unter diesen Umständen die Zustimmung von 72 Prozent der Mitgliedstaaten mit 65 Prozent der Bevölkerung. Blockieren könnten Länder mit zusammen 158 Millionen. Mit Frankreich kämen Ungarn und Italien auf 137 Millionen. Gewinnen im Herbst die Rechtsnationalen in Österreich, sind es schon 146 Millionen. Und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat ein neues Bündnis mit dieser FPÖ und Tschechiens Ano geschmiedet, die dann zusammen mit Italien und Frankreich haarscharf an der Blockadeschwelle kratzen.
Psychologische Effekte sind nicht zu unterschätzen. Noch hat Orbáns neues Bündnis zwar nur genügend Abgeordnete zusammen, um eine Fraktion im Europaparlament bilden zu können, aber noch nicht genügend Nationen versammelt. Macht auch die AfD dort mit, fehlen nur noch Abgeordnete aus drei weiteren Ländern, und es gibt im Europaparlament nicht nur Le Pens Identitäre und Demokraten (ID) und Melonis Europäische Konservative und Reformer (EKR), sondern auch Orbáns Patriotische Europäer. Konstituieren sich in Straßburg in drei Wochen somit drei rechtspopulistische Fraktionen, haben diese ähnlich viel Redezeit wie die demokratischen Kräfte der Mitte. Durch eine Rückbindung in die Regierungen steigt zumal ihr Selbstbewusstsein und Drohungspotenzial. Gerade zum Auftakt der ungarischen Ratspräsidentschaft dürfte Orbán das als Bestätigung seines Anti-Brüssel-Kurses verstehen.
Große Befürchtungen im Europaparlament brachte der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, auf den Punkt: „Die Angst, dass der RN in der Lage sein könnte, Frankreich zu regieren oder zu lähmen und damit die EU langsam aber sicher zu zerstören, ist real“, analysierte der Sozialdemokrat. „Angesichts des Krieges in der Ukraine, der Klimagefahr, der sozialen Krise und der möglichen Rückkehr von Donald Trump an die Spitze der Vereinigten Staaten brauchen wir ein starkes Europa und damit ein Frankreich im Lager der Demokratien“, erklärte Repasi. Eine absolute Mehrheit für den RN in der Nationalversammlung wäre aus seiner Sicht „ein historischer Tiefpunkt für das Frankreich, das wir kennen und als unseren festen Partner schätzen: das Frankreich der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“.
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