Libanon / Hisbollah attackiert Israel bei Großangriff mit Hunderten Raketen und Drohnen
Knapp vier Wochen nach der Tötung ihres Militärchefs hat die Hisbollah einen Großangriff auf Israel ausgeführt – ihn nach wenigen Stunden aber bereits wieder für beendet erklärt.
Die pro-iranische Schiitenmiliz griff den Norden Israels nach eigenen Angaben am Sonntagmorgen mit mehr als 300 Raketen an. In Israel wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, die israelische Armee meldete Präventiv-Angriffe auf Hisbollah-Ziele im Libanon.
Mit ihrem großangelegten Angriff übe sie Vergeltung für die Tötung ihres Militärchefs, erklärte die Hisbollah. Es handele sich um eine „erste Reaktion“ auf den Tod von Fuad Schukr, der am 30. Juli bei einem israelischen Luftangriff in Beirut getötet worden war.
Die Hisbollah feuerte nach eigenen Angaben unter anderem mehr als 320 Katjuscha-Raketen vom Libanon aus auf „feindliche Stellungen“ in Israel ab und sprach von einem „Erfolg“. Wenig später erklärte sie: „Der Militäreinsatz heute ist abgeschlossen und vollendet.“
Nach israelischen Angaben feuerte die Hisbollah „Hunderte Raketen“ und Drohnen ab. Der Beschuss sei „Teil eines größeren geplanten Angriffs“ gewesen, der aber mit Präventivangriffen „zu einem großen Teil vereitelt werden konnte“, sagte Armeesprecher Nadav Schoschani.
Präventivschläge im Libanon
Angaben der israelischen Armee zufolge wurden bei den Präventivangriffen auf Hisbollah-Ziele im Libanon rund hundert Kampfjets eingesetzt. Die meisten der zahlreichen im Südlibanon getroffenen Raketenwerfer der Miliz seien auf Nordisrael gerichtet gewesen. Einige hätten aber auch das Zentrum Israels im Visier gehabt.
Zuvor hatte die israelische Armee mitgeteilt, dass sie Vorbereitungen für eine „groß angelegte“ Attacke der Hisbollah beobachte und Stellungen der Miliz im Südlibanon bombardiere. Die Angriffe dienten dazu, „die gegen die Bürger Israels gerichteten Bedrohungen zu beseitigen“, erklärte Armeesprecher Daniel Hagari.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu versprach nach dem Hisbollah-Angriff, „alles zu tun“, um sein Land zu schützen. Es gelte die „einfache Regel: Wer auch immer uns wehtut, dem tun wir weh“, erklärte er vor einer Zusammenkunft seines Sicherheitskabinetts. Aus dem Libanon wurden drei Tote durch die israelischen Angriffe gemeldet, darunter war laut der mit der Hisbollah verbündeten militante Amal-Gruppierung einer ihrer Kämpfer.
Zu Opfern oder Schäden in Israel lagen zunächst keine Angaben vor. Die Regierung verhängte einen 48-stündigen Ausnahmezustand. Der Flugbetrieb auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion wurde vorübergehend eingestellt. Mittlerweile wurde der Betrieb wieder aufgenommen.
Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen infolge des Großangriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober haben auch die Gefechte im israelisch-libanesischen Grenzgebiet massiv zugenommen. Die Hisbollah beschießt Israels Norden nahezu täglich vom Libanon aus, Israel reagiert darauf mit Angriffen auf Hisbollah-Ziele im Libanon.
Hamas begrüßt Angriffe
Die pro-iranischen Huthis im Jemen begrüßten den Hisbollah-Angriff. Sie kündigten zudem ihre eigene „definitive“ Antwort auf einen israelischen Angriff auf einen wichtigen jemenitischen Hafen im Juli an. Die Huthis sehen sich ebenso wie die Hamas und die Hisbollah als Teil einer vom Iran unterstützten, gegen Israel gerichteten „Achse des Widerstands“. Deren erklärtes Ziel ist die Vernichtung Israels. Auch die Hamas begrüßte die Hisbollah-Angriffe und sprach von einem „Schlag ins Gesicht“ für Israel.
US-Außenminister Lloyd Austin bekräftigte derweil laut Pentagon in einem Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Yoav Gallant „das eiserne Bekenntnis der Vereinigten Staaten zur Verteidigung Israels gegen jegliche Angriffe des Iran und seiner regionalen Partner und Stellvertreter“.
Unterdessen gingen in der ägyptischen Hauptstadt die Gespräche über ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas zu einer Waffenruhe und der Geisel-Freilassung im Gazastreifen weiter. Israel und die Hamas verhandeln nicht direkt miteinander; die USA, Katar und Ägypten treten in den indirekten Gesprächen als Vermittler auf. Das israelische Verhandlungsteam war bereits letzte Woche zu Gesprächen nach Doha gereist, die Hamas hingegen lehnte eine Teilnahme ab. Streitpunkt ist insbesondere die von Israel beanspruchte Kontrolle des Philadelphi-Korridors, der südlichen Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. (AFP)
Die „Eiserne Kuppel“
Hunderte Drohnen und Raketen hat die Hisbollah-Miliz bei ihrem Großangriff vom Libanon aus auf Israel abgefeuert – und doch gab es offenbar kaum größere Schäden. Grund dafür ist unter anderem der israelische Raketenabwehrschirm namens Iron Dome. Mit der „Eisernen Kuppel“ schützt sich Israel seit 2011 gegen Raketenangriffe. Die erste Batterie des Systems wurde 2011 nahe der Großstadt Beerscheba in der Negev-Wüste installiert. Die israelische Regierung hatte zuvor nach dem Libanonkrieg 2006 zunächst auf eigene Faust mit der Entwicklung des Systems begonnen. Später trugen die USA mit militärischem Know-how und Milliarden Dollar an finanzieller Unterstützung dazu bei. Heute hat der Iron Dome nach Angaben des an seiner Entwicklung beteiligten israelischen Rüstungsunternehmens Rafael eine Erfolgsquote von rund 90 Prozent beim Abfangen von Geschossen. Die Iron-Dome-Abwehreinheiten haben darin die Aufgabe, Raketen und Mörsergranaten mit einer Reichweite von bis zu 70 Kilometern abzufangen.
Jede Iron-Dome-Einheit hat drei Hauptbestandteile: ein Radarsystem, einen Computer, der die Flugbahn der eintreffenden Rakete berechnet, und eine Abschussvorrichtung, die eine Abfangrakete abfeuert, wenn eine zuvor erkannte Rakete auf bebautes oder strategisches Gebiet treffen könnte. Jede Iron-Dome-Einheit verfügt über bis zu 20 solcher Abschussvorrichtungen. Die Einheiten sind mobil, können also relativ schnell dorthin verlegt werden, wo sie gerade benötigt werden.
Die Kosten eines einzelnen Iron-Dome-Abfanggeschosses belaufen sich der in Washington ansässigen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies zufolge auf zwischen 40.000 bis 50.000 Dollar.
Neben dem Iron Dome gehören zur israelischen Raketen- und Marschflugkörper-Abwehr inzwischen weitere Systeme: das System Arrow (zu Deutsch: Pfeil), das auf die Abwehr ballistischer Raketen ausgerichtet ist – und das System David’s Sling (Davids Steinschleuder), mit dem Mittelstreckenraketen und Mittelstrecken-Lenkflugkörper abgefangen werden sollen. (AFP)
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