/ Hongkongs Regierung nutzt Notstandsrecht: Vermummungsverbot erlassen
Nach der Gewalt bei den Protesten in Hongkong aktiviert die Regierung ausgerechnet ein altes koloniales Notstandsgesetz. Als erstes wird ein Vermummungsverbot verfügt. Wird es Demonstranten abschrecken?
In einem höchst kontroversen Rückgriff auf altes koloniales Notstandsrecht hat Hongkongs Regierung ein Vermummungsverbot bei Protesten erlassen. «Die öffentliche Ordnung ist in einem sehr gefährlichen Zustand», begründete Regierungschefin Carrie Lam am Freitag das verschärfte Vorgehen gegen die Demonstranten in der chinesischen Sonderverwaltungsregion. Das Verbot sollte um Mitternacht in Kraft treten. Wer dagegen verstößt, muss mit bis zu einem Jahr Haft rechnen.
Die Gewalt habe zugenommen, argumentierte Lam. Die Täter hätten meistens ihre Gesichter bedeckt. «Wir können nicht erlauben, dass die Situation immer schlimmer wird.» Lams Vorgehen ist aber umstritten, weil erstmals seit einem halben Jahrhundert ein Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit bemüht wird, das der Regierungschefin noch viel mehr Vollmachten einräumt.
Masken und Brillen
Demonstranten in Hongkong tragen Masken und dicht schließende Brillen, um sich vor Tränengas oder Pfefferspray zu schützen. Außerdem wollen sie verhindern, dass die Polizei sie identifiziert.
Das Verbot wird nach Einschätzung von Billy Li, Obmann der Gruppe progressiver Anwälte, wenig abschreckende Wirkung haben. Schon die Androhung von Haftstrafen für «ungenehmigte Versammlungen» und «Aufruhr» habe Hongkonger nicht daran gehindert, auf die Straßen zu gehen, wenn die Behörden beantragte Märsche untersagt hätten.
Die Ermächtigung über das Notstandsgesetz könnte auch vor Gericht gebracht und überprüft werden, argumentierte Li. So habe Hongkong seit 1922 viele internationale Menschenrechtsabkommen unterzeichnet wie die UN-Konvention über bürgerliche und politische Rechte, gegen die es verstoßen könnte. Das Vermummungsverbot an sich könne hingegen schwerer in Frage gestellt werden. So haben viele Länder solche Vorschriften, unter anderem Deutschland.
Kein „formeller“ Notstand
Die Argumentation der Regierungschefin wirkte widersprüchlich. So betonte Lam, dass sie nicht formell den Notstand erkläre, auch wenn sie sich auf das Notstandsrecht stütze. «Das bedeutet nicht, dass Hongkong im Notstand ist.» Ziel des Verbots sei, dass die sieben Millionen Einwohner zählende Wirtschafts- und Finanzmetropole wieder zu Frieden zurückkehre. Dem Parlament werde der Bann auf seiner nächsten Sitzung am 16. Oktober vorgelegt, um ihn zu einem Gesetz zu machen.
Grundlage des Vorgehens ist ausgerechnet das Gesetz «für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr», das die britischen Kolonialherren 1922 erlassen und seither nur zweimal angewandt wurde: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen, der den Hafen lahmgelegt hatte, sowie 1967 bei Unruhen und Protesten prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft.
Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht der Regierungschefin weitere Notstandsmaßnahmen, «die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden». Ausdrücklich genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.
Zensur und Ausgangssperren?
Die Regierungschefin schloss auf Nachfragen nicht aus, das auch Zensur oder Ausgangssperren verhängt werden könnten. Auch wenn die Regierung keine weiteren Maßnahmen ergreifen wolle, «muss sie angemessene Wege finden, um mit der Situation umzugehen», antwortete Lam unter Hinweis auf eine weitere Eskalation der Gewalt.
Empört demonstrierten wieder Tausende Hongkonger, darunter viele mit Gesichtsmasken. Die Proteste begannen schon gegen Mittag, als erste Informationen über das Verbot durchsickerten. Ausnahmen gelten für Personen, die aus beruflichen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen einen Gesichtsschutz tragen, aber auch für Journalisten, die über die Proteste berichten und sich auch mit Masken gegen Tränengas schützen. Die Polizei kann aber künftig jede Person in der Öffentlichkeit bei Verdacht auffordern, zur Identifizierung den Gesichtsschutz abzulegen. Wer dem nicht folgt, muss mit Strafen bis zu sechs Monaten Haft rechnen.
International regte sich Kritik. «Politischer Dialog ist der einzige Weg, um die Situation in Hongkong zu lösen», sagte der britische Außenminister Dominic Raab. Während Regierungen ihr Volk schützen sollten, müssten sie vermeiden, Spannungen noch zu verschärfen. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen, forderte Hongkongs Regierung auf, das Verbot zurückzunehmen. «Anstatt die Situation immer weiter zu eskalieren, sollte sie auf die Demonstranten zugehen, damit gemeinsam an einer politischen Lösung gearbeitet werden kann.»
Harte Hand gegen Demonstranten
Die harte Hand gegen die Demonstranten zeigte sich kurz nach dem Besuch von Lam in Peking, wo sie am Dienstag an der Militärparade zum 70. Gründungstag der Volksrepublik teilgenommen hatte. Die seit fünf Monaten anhaltenden Proteste in Hongkong waren an dem Tag eskaliert. Erstmals wurde ein Demonstrant angeschossen. Rund Hundert wurden verletzt. Auch wurden 269 Menschen festgenommen. Soviel wie nie zuvor an einem Tag. Bisher sind rund 2000 Menschen festgenommen worden.
Die Proteste richten sich gegen die Regierung und den wachsenden Einfluss der Pekinger Führung in Hongkong. Die Demonstranten fordern eine unabhängige Untersuchung von Polizeigewalt, einen Straferlass für die Festgenommenen, eine Rücknahme der Einstufung ihrer Proteste als «Aufruhr» sowie freie Wahlen.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» autonom regiert. Die Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber – anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik – mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.
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