/ Kurz, der Krisengewinnler? Österreichs Kanzler inszeniert sich als Troubleshooter
Wer hofft, der Ibiza-Orkan würde auch Sebastian Kurz hinwegfegen, sollte auf eine Enttäuschung gefasst sein. Der 32-jährige Kanzler und ÖVP-Chef inszeniert sich als Krisenmanager – mit dem Bundespräsidenten als Sekundanten und mit dem Sanktus der Kirche.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Die Opposition in Wien wünscht ihn der ÖVP ebenso wie SPD-Chefin Andrea Nahles: den ganz großen Denkzettel am EU-Wahlsonntag und dann bei der vorgezogenen Nationalratswahl im September. Kurz soll büßen dafür, dass er die FPÖ entgegen allen Warnungen in eine Regierung geholt und damit eine Staatskrise mitzuverantworten hat, wie sie Österreich seit 1945 nicht erlebt hat.
Die FPÖ wird vom Wähler die mehr oder weniger hohe Rechnung für Ibiza-Gate präsentiert bekommen. Daran besteht kein Zweifel, auch wenn das Ausmaß des Absturzes eingefleischte FPÖ-Gegner wahrscheinlich nicht ganz zufriedenstellen wird. Denn die ohnehin für Verschwörungstheorien aller Art immer offene Hardcore-Fangemeinde saugt gerade dankbar die Opfertheorie auf, mit der sich Heinz-Christian Strache zu exkulpieren versucht.
Der Ex-Parteichef und Vizekanzler ist nach dem Ibiza-Video nicht etwa vor Scham im Erdboden versunken, sondern liefert seiner Facebook-Fangemeinde, die lediglich um 1.200 auf 799.000 Mitglieder geschrumpft ist, täglich Argumentationshilfen. So postete er dankbar die – freilich auf keinerlei Fakten beruhende – Mutmaßung des deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) über die Provenienz des Skandalvideos: „Irgendwie riecht’s nach irgendwas wie ein Geheimdienst.“ Erste Umfragen lassen die FPÖ hoffen, dass die alte Opfermasche zieht: Wenn nicht noch eine weitere Bombe platzt, könnte das Urteil der Wählerschaft einigermaßen milde ausfallen.
Staatschef auf Kurz-Kurs
Schon gar nicht schaut es derzeit nach einer Erfüllung des oppositionellen Wunsches nach der Ohrfeige für den Kanzler aus. Denn der weiß die Megakrise besser für sich zu nutzen als die Sozialdemokraten, die als größte Oppositionspartei eigentlich logischer Profiteur der Malaise sein müssten. Schließlich hatten sie schon immer gewusst und gesagt, dass sich Kurz aus reinem Machtkalkül mit charakterlosen Gesellen ins Koalitionsbett gelegt hat.
Doch nach der eindrucksvollen Bestätigung ihrer Kritik irren die Genossen nun eher verstört durch die erbebende Politlandschaft. Als vorigen Samstag die empörten Massen auf den Ballhausplatz strömten, drängten auch Oppositionsgranden vor die Kameras, nur eine ward nicht gesehen: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.
Die konnte sich zunächst nicht einmal zur Forderung nach Neuwahlen durchringen. Unklar bleibt zudem, wie es die Genossen wirklich mit der FPÖ halten: Im Burgenland lässt sich der mit den Blauen regierende SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil mit der angekündigten Neuwahl Zeit bis Januar. Heiß diskutiert, aber auch nicht entschieden ist die Frage, ob man am kommenden Montag gemeinsame Sache mit der FPÖ machen und Kurz per Misstrauensvotum stürzen soll.
Weder Nervosität noch Hektik
Während die SPÖ den aufgelegten Elfmeter zu vergeben droht, bietet Kurz die Krisenmanager-Show: Mit ruhiger Hand in Hand mit Bundespräsident Van der Bellen steuert er sich und das Land durch die turbulenten Tage. Obwohl er den Abgrund vor Augen hat, lässt er sich weder Nervosität noch Hektik anmerken, spricht ruhig, sachlich, zeigt bisweilen sein bubenhaftes Lächeln und setzt die staatstragend ernste Miene auf, wenn er über die untragbaren Verfehlungen seines Ex-Koalitionspartners spricht.
Der Bundespräsident, ein ehemaliger Grüner und noch früher ein Sozialdemokrat, war gewiss kein Freund der zerborstenen Regierung, aber jetzt bildet er – auch aufgrund verfassungsmäßiger Vorgaben – mit dem Kanzler ein Stabilitätsduo.
Van der Bellens zunehmende Popularität hebt dessen Autorität, was wiederum Kurz nützt. Der Staatschef überhörte nicht nur den Ruf der SPÖ, gleich die ganze Regierung durch ein Experten-Kabinett zu ersetzen, sondern entscheidet sich für die vom Kanzler vorgeschlagene Variante: Nur die FPÖ-Minister werden durch Experten ersetzt.
So gelobte Van der Bellen am Mittwoch die vier Neuen an: den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, Eckart Ratz, als Innenminister, den pensionierten Spitzenbeamten Walter Pöltner als Sozialminister, den Vize-Generalstabschef Johann Luif als Verteidigungsminister und die Chefin der Flugsicherung „Austro Control“, Valerie Hackl, als Infrastrukturministerin. Die Agenden des zurückgetretenen Vizekanzlers Strache übernimmt ÖVP-Familienministerin Juliane Bogner-Strauß.
Schon vor der Angelobung hatte Van der Bellen die Erwartung geäußert, diese Regierung möge nicht gleich am Montag vom Parlament gestürzt werden. „Denken Sie jetzt nicht daran, was Sie für Ihre Partei kurzfristig herausschlagen können, sondern denken Sie daran, was Sie für Österreich tun können“, appellierte er in einer TV-Rede an die politischen Akteure. Am Mittwoch ergänzte er den Aufruf mit einem wohl für Kurz gedachten Appell zum „gelebten Kompromiss“.
Kirche erteilt Kurz ihren Sanktus
Sogar die katholische Bischofskonferenz glaubt in dieser Staatsoperette eine Rolle spielen und Kurz die Mauer machen zu müssen: „Die Bundesregierung steckt in einer ernsthaften Krise“, heißt es in einer Erklärung der Oberhirten, in der sie davor warnen, dass „dem Land schweren Schaden zufügen“ könne, „wer dabei leichtfertig die staatlichen Institutionen schwächt, um kurzfristig politische Vorteile für sich zu erhoffen“. Viel deutlicher hätte man den Appell, die Regierung zu stützen, nicht formulieren können.
Ob sie sich dem präsidial-klerikalen Druck beugen werden, haben weder SPÖ noch FPÖ abschließend entschieden. Die Genossen schwanken noch zwischen ihrem Anspruch, staatstragend den Wunsch des Bundespräsidenten zu erfüllen, und ihrem Bedürfnis nach Abrechnung mit dem angeschlagenen Kanzler. Bei der FPÖ ist die Unklarheit weniger eine Frage der Staatsräson als die einer Machtprobe: Der neue Parteichef Norbert Hofer gibt den sanften Kuschelpopulisten, während der geschasste Innenminister Herbert Kickl brachialoppositionell gegen die „Machtversoffenheit“ der ÖVP zu Felde zieht. Hofer widersprach Kickl, als dieser das Ja der FPÖ zum Misstrauensantrag schon für fix erklärt hatte.
Selbst wenn diese neue Kurz-Regierung schon am Montag wieder Geschichte sein sollte, bedeutet das für Kurz, der dann Ex-Kanzler wäre, noch keinen Beinbruch. Die entsprechende Erzählung wird schon vorbereitet: Ob er am Dienstag nach der EU-Wahl am wichtigen EU-Gipfel teilnehmen werde, sei „nicht allein unsere Entscheidung“, sagt Kurz. Die Botschaft nach einem verlorenen Misstrauensvotum ist klar: Aus parteipolitischen Interessen hätten SPÖ und FPÖ das Chaos verschärft und gegen die Interessen Österreichs gehandelt. Kurz wird als Opfer von charakterlosen und vaterlandslosen
Gesellen geframt. Und diese Rechnung könnte sogar aufgehen.
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Man müsste alle einmal austauschen, sagt mein Freund Herbert aus Innsbruck. In allen Parteien liegen tote Fische herum, vor allem bei den „Saubermänner“ Parteien.